Die Komödie

Andula – Besuch in einem anderen Leben

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 2 Min.

Die fast leere Bühne des Prager Weinbergtheaters: Nur das Kostüm der einst Umjubelten, ein edles, weißes Damenkleid, steht an der Rampe. Die Schauspielerin, die es trug – was wird man über sie erfahren? Über der Figurine senken sich blutrote Bahnen vom Schnürboden herab. Auf ihnen prangt drohend-schwarz das Hakenkreuz. »Sieg Heil!«-Gejohle ist zu hören. – Mit der ersten Szene ist das Thema umrissen: »Andula – Besuch in einem anderen Leben« von Fred Breinersdorfer und Anne Worst. Ein ungewöhnlich und sehr sorgfältig inszenierter, stark emotional wirkender Dokumentarfilm. Über das Schicksal der Prager Schauspielerin Anna Letenská, genannt Andula, die am 24. Oktober 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet wurde. Ein Porträt wird gezeichnet, stellvertretend für die vielen Leben, die durch die brutalen, zynischen Machthaber und auf wirtschaftliches Fortkommen bedachte Kollaborateure zerstört wurden.

Knapp und scharf das Psychogramm des von Hitler »zum Durchgreifen« in die Tschechoslowakei gesandten Reinhard Heydrich, der als »Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren« ein Terrorregime errichtete. Nach dem Attentat auf Heydrich – ein irrwitzig-gnadenloser Rachefeldzug folgte, dem nicht nur die Dorfbewohner von Lidice und Lezaky zum Opfer fielen – war die Deportation der populären Schauspielerin in ein KZ bereits beschlossen. Aber sie hatte im Sommer 1942 weiter in einer »kriegswichtigen« Komödie zu spielen. Mit leichter Unterhaltung sollte die Bevölkerung des besetzten Landes ruhiggestellt werden. »Gute Laune ist ein Kriegsartikel«, so Goebbels' Diktum.

Für Anna Letenská, die sich der persönlichen Bedrohung während der von den Nazis überwachten Dreharbeiten zu »Ich komme gleich« bewusst war, wurde die Komödie letzte Lebensstation, wurde zur Tragödie. Zeitzeugen wie der Filmregisseur Otakar Vávra, ihr Sohn Jiri Letenský und Schauspielkolleginnen berichten.

Das dokumentarische Material wird aus dem Off von der jungen Schauspielerin Hannah Herzsprung kommentiert, Texte der Trauer, der Anklage. In die Dokumentarszenen geschnitten ihr stummer Gang in heutiger Alltagskleidung zur Kirche der gläubigen Letenská, zu den Gedenkstätten Theresienstadt, Mauthausen. Ein Besuch in einem anderen Leben. Dank ihrer physiognomischen Ähnlichkeit mit Letenská wird sie eine fiktive Andula. Für den Zuschauer sind diese Szenen identifikationsstiftend. Als seien es eigene Erinnerungen, die wir Heutige wieder aufrufen. Was in der immer mehr ins Abstrakte und ins Vergessen gleitenden Zeit der nationalsozialistischen Verbrechensherrschaft geschah – hier wird es wachgehalten.

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