Ja wo ist er denn nun, der Röstigraben?

Bergauf und bergab entlang der »Grenze« zwischen französisch- und deutschsprachiger Schweiz

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.

Peter nennt es »ein bisschen einlaufen«, als wir nachmittags am Schwarzsee aufbrechen. Gut sechs Kilometer sowie 570 Höhenmeter liegen vor uns. Und das Wissen, die Alphütte »Les Cerniets« auf 1525 Meter Höhe unbedingt vor Sonnenuntergang erreichen zu müssen. Denn da oben gibt's keinen Strom und somit auch kein elektrisch Licht.

Peter ist Bergführer und wird mit uns drei Tage durch den Röstigraben, der fiktiven Sprachgrenze zwischen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz in der Region Fribourg wandern. Schon nach kurzer Zeit ist sich die Wandergruppe, drei Flachlandtiroler, einig darüber, dass Peter in direkter Linie von Gämsen abstammen muss. Denn: Während wir uns bei brütender Hitze mühsam den Berg hochquälen, spaziert er locker vornweg und hat noch genug Puste, um uns die Landschaft zu erklären. Sicher, sie ist traumhaft, aber dass wir sie alle paar Schritte abfotografieren, hat nur einen Grund: Wir können kurz verschnaufen und berufliche Notwendigkeit vortäuschen ohne zugeben zu müssen, dass der schweißtreibende Aufstieg die Luft nimmt und die Lunge pfeifen lässt. Peter lächelt vielsagend vor sich hin.

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Nach knapp drei Stunden haben wir unser Ziel erreicht und lassen uns fix und fertig auf die erstbeste Bank fallen. Nicole Feyer, die im Sommer hier auf der Alphütte ab vom Schuss gemeinsam mit ihrem Mann Elmar, den Töchtern Kim, Lia und Nina sowie rund 100 Ziegen, Kaninchen, Hühnern, Kühen, Schweinen, Katzen und Hunden lebt, bringt erst einmal etwas zur Stärkung – Ziegenfrischkäse, Brot und Apfelmost. Köstlich! Peter schmiert uns ein paar Komplimente um die Backe, wahrscheinlich will er uns Mut für die kommenden Tage machen. Denn schon am nächsten Morgen ruft der Euschelpass, über den wir hinweg wollen. Nach ein, zwei »Kaffeefertig« – wenig Kaffee, viel hochprozentiger Selbstgebrannter und reichlich Doppelrahm – krabbeln wir todmüde in unsere Schlafsäcke, die wir auf der Tenne überm Ziegenstall ausgerollt haben. Peter und Thomas schlafen sofort ein, irgendwann auch Axel. Ich zähle Schäfchen. Erst als Thomas endlich den letzten Baum abgesägt hat, falle ich in einen bleiernen Schlaf. Im Traum erscheint mir Peter, der immer, wenn wir mit letzter Kraft auf einen Gipfel ankommen, schon dort steht und fröhlich ruft: »Ich bin schon da!«

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Als ich aufwache, ist es draußen noch dämmerig. Doch Elmar und Kim sind schon im Stall und melken die Ziegen. Eine Stunde später sitzen wir gemeinsam mit der Familie am Frühstückstisch. Zum Abschied steckt uns Nicole noch Brot und Käse als Wegzehrung in den Rucksack. Zwölf Kilometer liegen heute vor uns. Zuerst geht's auf einem schmalen, steinigen Weg rund 200 Höhenmeter aufwärts, dann über den Pass hinweg 300 Höhenmeter abwärts – vom Röstigraben keine Spur. Noch seien wir im Breccaschlund auf der deutschsprachigen Seite, erklärt uns Peter. Vor allem aber sind wir allein zwischen Spitzfluh, Kaisereck, Schopfenspitz und wie die Berge sonst noch heißen. Nur manchmal stürmen in der Ferne ein paar Gämsen vorbei.

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Als wir am Nachmittag unser Tagesziel, die »Alp Ritzli«, erreichen, haben wir den Röstigraben noch immer nicht erreicht. Doch im Moment sind uns die Röstis, die die Hüttenwirtin serviert, ohnehin lieber. Von der Terrasse aus hat man einen tollen Blick auf die Gastlosen, eine Bergkette, die Peter als »meinen Spielplatz« bezeichnet. Dort klettere er gern an den senkrecht aufsteigenden Felsen, um sich fit zu halten für »richtige« Bergtouren, die der 70-Jährige gern mit anderen im Himalaja, in den Anden oder Patagonien macht. Das Angebot, uns mal mit ihm auf einer Schnuppertour in die Seile zu hängen, lehnen wir dankend ab.

An diesem Abend halten wir uns lange am Weinglas fest, die Aussicht auf eine weitere Nacht im »Sägewerk« ist wenig verlockend. Irgendwann aber siegt die Müdigkeit.

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Tag drei beginnt regnerisch. Irgendwo auf den 16 Kilometern bis zum Ziel unserer Wanderung in Charmey werden wir auf den Röstigraben treffen, verspricht Peter. Doch zunächst geht's von der »Alp Ritzli« zwei Stunden lang immer bergab bis ins Dörfchen Jaun, wo längst wieder die Sonne lacht.

Dort kann der Graben nicht mehr weit sein, denn Jaun ist gewissermaßen eine deutschsprachige Enklave inmitten französischsprechender Dörfer. Die meisten der 720 Einwohner können sich in beiden Sprachen perfekt verständigen. Das Dorf hat aber noch mehr zu bieten, als nur seine besondere Lage. Den Friedhof zum Beispiel. Die Gräber geben nicht nur darüber Auskunft, dass in Jaun fast alle Leute Buchs, Mooser oder Schuwey heißen, das eigentlich Sehenswerte sind die hölzernen Grabkreuze. Eines sieht wie das andere aus. Die meisten wurden von einem hergestellt, der zufällig nicht Buchs, Mooser oder Schuwey, sondern Cottier hieß. Er versah jedes mit einer selbstentworfenen Christusfigur und schnitzte einen Hinweis auf Beruf oder Hobby des Verstorbenen ins Kreuz. Seit er 1995 starb führen junge Nachfolger dieses Kunsthandwerk fort. Die größte Attraktion des Orts aber ist sein Wasserfall. Viele Jahre war er geheimnisumwittert, weil niemand wusste, woher das Wasser stammt, das mit bis zu 6000 Liter pro Sekunde aus dem Fels stürzt. Bis Forscher während einer Trockenzeit einen Einstieg wagten und auf einen unterirdischen See stießen. Dem Wasserfall sagt man magische kraftspendende Eigenschaften nach. Die wollen wir unbedingt noch mitnehmen, bevor wir die letzten zehn Kilometer angehen.

Die sind nun wirklich nur noch ein Spaziergang, immer am Jaunflüsschen entlang. Als wir ihn ganz in der Nähe von Charmey überqueren, bleibt Peter in der Mitte der Brücke stehen und sagt ganz feierlich: »Wir überschreiten gerade den Röstigraben«.

Jetzt, da wir ihn erreicht haben, überkommt uns so etwas wie ein bisschen Traurigkeit. Denn es bedeutet nicht nur das Ende einer schönen Wandertour, sondern bald auch den Abschied von Peter.

  • Infos: Schweiz Tourismus, Postfach 16 07 54, 60070 Frankfurt am Main, Tel.: (00800) 100 200-30, Fax: -31 (beides gebührenfrei),
  • E-Mail: info@myswitzerland.com,www.MySwitzerland.com
  • oder www.fribourgregion.ch
  • Wanderführer Peter Kropf , Gassera, 1716 Schwarzsee,
  • Tel.: +41 (0)796 68 68 31, E-Mail: piotrkropf@bluewin.ch
  • Alphütte Cerniets, c/o Elmar Feyer, Haselholz 51, 1719 Zumholz/FR, Tel.: +41 (0)26 412 12 87,
  • Ritzli-Alp, 1656 Jaun, Tel.: +41 (0)26 929 81 24, www-ritzli-alp.ch
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