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Ständige Anti-AKW-Vertretung

Umweltorganisationen vernetzen sich über SMS

  • Susanne Götze
  • Lesedauer: 4 Min.
Für die Anti-AKW-Bewegung geht es jetzt um alles oder nichts. Sie rüstet nach der Ankündigung einer schwarz-gelben Regierung zum Widerstand. In Berlin soll es während der Koalitionsverhandlungen täglich zu Anti-Atom- Aktionen kommen. Gestern wurde damit begonnen.

Die Anti-Atom-Bewegung läuft sich in Berlin warm. Am Montag joggten zahlreiche Aktivisten von der CDU-Bundeszentrale durch den Tiergarten. Der 1,6 Kilometer lange Protestlauf soll nur der Auftakt für zahlreiche große und kleine Aktionen in den kommenden Wochen sein, während CDU und FDP ihr Regierungsprogramm aushandeln. Die Organisatoren des Protestnetzwerkes »ausgestrahlt« wollen die schwarz-gelbe Harmonie stören und Druck von der Straße aufbauen.

Die Widerstandszentrale von »ausgestrahlt« liegt im Weißenseer Kulturhaus Kubiz. Schon zwei Tage nach dem Wahlsonntag wurde die »Ständige Vertretung der Anti-AKW-Bewegung« ins Leben gerufen. Noch sind es erst gut 20 Anti-Atom-Protestler, die hier regelmäßig vorbeikommen. In den nächsten Tagen soll es aber richtig losgehen. Im Vorraum des Kulturzentrums stehen schon riesige Kochtöpfe der Volksküche »Wan Kat«, am Wochenende wurde schon mal probegekocht. Herz der Widerstandszentrale ist eine Nähmaschine: Hier soll in den nächsten Wochen das längste Anti-Atom-Transparent der Welt entstehen. Eine ältere Frau mit Brille und Strickjacke sitzt inmitten von Transparenten und näht Laken an Laken. Um sie herum unzählige Plakate »Gegen Atomkraft«, »Atomanlagen sofort abschalten«.

Was in den nächsten Tagen und Wochen passieren soll, wissen die Organisatoren von »ausgestrahlt« selber noch nicht so genau. An einer Pinnwand haben die Aktivisten aber schon mal Ideen für Aktionen festgehalten: Atommüll verschenken, nuklearer Eierlauf, Pfeifkonzert und Sitzblockaden stehen zur Debatte. »Viele Aktionen werden sehr kurzfristig geplant und leben von ihrem spontanen Charakter«, so Wiebke Hansen vom Organisationsteam. Die meisten Unterstützer der »Belagerung« seien sogenannte »Schläfer«. Immer wenn die »Ständige Anti-AKW-Vertretung« eine Aktion machen will, sendet sie Sammel-SMS an hunderte Atomkraftgegner. »Das Wichtigste ist, dass sich die Leute in unsere Verteiler eintragen, dann über spontane Aktionen schnell informiert sind und vorbeikommen«, erklärt die Atomkraftgegnerin. So erhofft man sich eine große Mobilisierung – auch von Unterstützern, die nicht die ganze Zeit im Kubiz dabei sein können.

Ob sie glauben, mit ihren Aktionen wirklich das Schlimmste, nämlich das Ende des unter Rot-Grün ausgehandelten Atomkonsenses, zu verhindern? »Uns geht es in erster Linie nicht darum, den Atomkonsens zu verteidigen«, erklärt Jürgen Fahrenkrug von »ausgestrahlt«. »Wir haben von Anfang an gesagt, dass der nichts taugt und das zeigt sich jetzt.« Doch ganz aufgegeben habe man die Hoffnung noch nicht: Immerhin seien die »großen Töne« pro Atomkraft auch in den Reihen von Union und FDP nun etwas verhaltener geworden, meint Fahrenkrug. Nun versuchten beide Parteien, sich mit der vorgeblichen Förderung der erneuerbaren Energie durch die »Zusatzgewinne« aus den Atommeilern herauszureden. »Doch niemand sagt, ab wann es überhaupt Zusatzgewinne sind, und wie viel tatsächlich in Erneuerbare fließen soll, schon gar nicht.« In einer Erklärung des Protestnetzwerkes heißt es, dass es Zusatzgewinne frühestens geben könne, wenn die bisher im Gesetz garantierte Laufzeit abgelaufen sei. In den nächsten zwei Jahren betreffe das aber nur zwei der ältesten Atommeiler. Für die Bewegung ist dieses Trostpflaster deshalb nicht nur lächerlich, sondern auch gefährlich: Denn es müssten ja gerade die ältesten Meiler weiterbetrieben werden, um überhaupt Zusatzgewinne einzufahren.

Das dürfte sich aber auch schlecht mit der Ankündigung der Koalitionspartner in spe vertragen: Diese hatten betont, nur die Laufzeiten der AKW zu verlängern, die zweifelsfrei sicher seien. Die Aktivisten der »Ständigen Anti-AKW-Vertretung« haben dazu eine klare Meinung: »Wir sind überzeugt davon, dass es im Normalbetrieb keine 100 Prozent sicheren Atommeiler geben kann«, so Wiebke Hansen.

Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat starke Zweifel an der Sicherheit deutscher Atommeiler. Am Montag wies die Organisation neuerlich auf ein ungelöstes Sicherheitsproblem in Druckwasserreaktoren hin. Dabei handelt es sich um das so genannte »Sumpfsiebproblem«, das durch eine Verstopfung der Notkühlpumpen die Gefahr einer Kernschmelze berge. Diese sei nach einem Defekt im Kühlkreislauf besonders groß, da sich von der Isolierung gelöstes Material in den Pumpen verfangen könne. Laut Information des Bundesgeschäftsführers der DUH, Rainer Baake, fehlten aus diesem Grund Sicherheitsnachweise für acht Kernkraftwerke beim zuständigen Bundesumweltministerium.

Wenn derartige Horrormeldungen über Vertuschungen, Störfälle und unüberschaubare Risiken nicht abebben, dürfte es der neuen Regierung nicht so leicht fallen, einen Pro-Atom-Kurs durchzusetzen. Zudem hat die Anti-Atombewegung erst Anfang September auf der größten Protestkundgebung seit über 20 Jahren bewiesen, dass sie problemlos bis zu 50 000 Menschen auf die Straße bekommt. Viele Gründe also, warum man in der Ständigen Anti-AKW-Vertretung im Kubiz trotz der schwarz-gelben Regierung derzeit hoch motiviert ist.

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