Rückgrat der ländlichen Räume

Beratung von Linkspolitikern forderte mehr Unterstützung für Agrarbereich

  • Rosi Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Agrarpolitik und Entwicklung des ländlichen Raums sollten Chefsache in der Linkspartei sein. Darüber waren sich Praktiker, Wissenschaftler und Fachpolitiker bei einer Veranstaltung dieser Tage in Berlin einig.

Droht der ländliche Raum – insbesondere in den neuen Bundesländern – zu verarmen, zu vergreisen, zu verdummen? Dies zumindest befürchtet Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Wie dieser Prozess aufgehalten werden kann, untersuchte eine Tagung der zuständigen Bundesarbeitsgemeinschaft des Parteivorstandes.

Das Thema ist nicht neu. Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren zitierte ND den Bürgermeister der schwäbischen Gemeinde Creglingen: »Nackte Existenzangst geht um, immer mehr Landwirte sind unter das Sozialhilfeniveau geraten, das Dorf blutet aus.« Und in einer BRD-Fernsehreportage hieß es: »Diese Dörfer sterben lautlos, unbeachtet. Man hat sie abgeschrieben.« Wenn auch damals in der DDR dieses Problem nicht akut war, weil Bildung, Produktionswachstum und verbesserte Lebensumstände für Belebung sorgten – hinter verschlossenen Türen wurde sehr wohl über befürchtete Entleerung der Dörfer diskutiert.

Wie differenziert die Entwicklung der ländlichen Räume in Ost und West heute ist, erläuterte der Agrarpolitiker Wolfgang Jahn an Hand von Zahlen. Von den 36 Landkreisen mit unter 80 Einwohnern je Quadratkilometer liegen 25 in den neuen Ländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, und 11 in den alten. Die Landkreise mit den höchsten Flächenanteilen an Land- und Forstwirtschaft sind nicht zugleich die am dünnsten besiedelten.

Doch wichtiger als Flächen sind die Lebensverhältnisse. Von den 37 Landkreisen mit einem Bevölkerungsverlust von mehr als 500 je 10 000 Einwohner zwischen 2003 bis 2007 gehören 35 zu den neuen und nur zwei – Wunsiedel (Bayern) und Holzminden (Niedersachsen) – zu den alten Bundesländern. Jahn liest daraus ab, dass die Probleme im Westen mehr der Vergangenheit angehören, in den peripheren, strukturschwachen Landkreisen Ostdeutschlands als Folge der Deindustrialisierung nach der Wende sich noch ausprägen. Technische, soziale, kulturelle Infrastrukturen geraten hier an ihre Grenzen. Die Produktionsstruktur der ostdeutschen Landwirtschaft weise eine hohe Arbeitsproduktivität, aber eine zu geringe Wertschöpfung und Beschäftigung auf – das Kardinalproblem des Ostens.

Die Agrarwirtschaft bildet mit mindestens vier Millionen Arbeitsplätzen das Rückgrat der ländlichen Räume, betonte der Agrarwissenschaftler Hans Lindenau. Er verwies darauf, dass Boden und Wasser die wichtigsten Produktionsmittel der Agrarwirtschaft und die Mutter des gesellschaftlichen Reichtums sind. Somit falle die Reproduktion des natürlichen Reichtums im rohstoffarmen Deutschland in erster Linie der Agrarwirtschaft zu. Förderung lokaler und regionaler Wirtschaftsbeziehungen von der Primärproduktion bis zum Absatz einschließlich Energiewirtschaft auf dem Binnenmarkt sei nur eine notwendige Maßnahme.

Götz Brandt von der Ökologischen Plattform forderte mit Blick auf Klimawandel, wachsende Weltbevölkerung, Verknappung und Verteuerung der Ressourcen andere Verzehrgewohnheiten mit weniger Fleisch. Nötig seien die Hinwendung zur ökologischen Landwirtschaft mit Akzeptanz von Ertragseinbußen und Energieautarkie der Bauern (Raps in Traktorentanks und Biogas ins Netz).

Für Kurt Krambach, Leiter des Arbeitskreises Ländlicher Raum der Rosa-Luxemburg-Stiftung, schließt linke Politik die Unterstützung der Dorfbewohner bei neuen Formen der Selbstorganisation und Selbstgestaltung ein. Dabei geht es um den Erhalt der lokalen Infrastruktur (Kitas, Schule, Dorfkonsum), um familien-, jugend-, seniorenfreundlich zu bleiben, lokale Lösungen für Energie- und Abwasserprobleme zu finden.

Das ist bei aller Initiative nicht ohne Geld zu schaffen. Darum müsse die Finanzierung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum anders geregelt werden als in den Großstädten, so Kirsten Tackmann. Barbara Glaß aus Thüringen schlug die Bildung eines zentralen Fördergremiums vor, doch nicht ohne Mitsprache- und Entscheidungsrecht der Akteure vor Ort.

Die Beratung diente der Vorbereitung einer Bundeskonferenz im nächsten Jahr zum Thema. Diese soll die Linkspartei noch mehr für Land, Landschaft und Landwirtschaft sensibilisieren.

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