»Nicht in Strömungen schwimmen«

Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser sieht ihre Koalition als eine Werkstatt für die Zukunft

  • Lesedauer: 6 Min.
Die Slawistin Kerstin Kaiser sitzt seit 1999 im Landtag.
Die Slawistin Kerstin Kaiser sitzt seit 1999 im Landtag.

ND: Wochenlang machte Brandenburg nur mit einem Thema Schlagzeilen: mit den Stasi-Fällen in der Landtagsfraktion der Linkspartei. Hat die rot-rote Koalition noch Nerven für andere Themen?
Kaiser: Ja. Die Minister machen engagiert ihre Arbeit. Es gibt auch viel zu tun. Unser Finanzminister Helmuth Markov arbeitet beispielsweise am Landeshaushalt. Akribisch sucht er nach Gestaltungsspielräumen. Das bewundere ich, und ich bin froh, dass wir gerade ihn in dieser Funktion haben. Justizminister Volkmar Schöneburg kümmert sich um die Vorbereitung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes, Wirtschaftsminister Ralf Christoffers bemüht sich, den kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Finanzkrise mit schnellen Krediten zu helfen und auch Gesundheitsministerin Anita Tack hat viel zu tun, nicht nur mit der Impfaktion gegen die Schweinegrippe.

Gäbe es etwas anderes zu berichten als Stasi, Stasi, Stasi?
Natürlich. Über viele wichtige Probleme Brandenburgs wird vor allem in den überregionalen Zeitungen gar nicht mehr geschrieben. Es geht doch jetzt angesichts der angeblichen Steuergeschenke der schwarz-gelben Bundesregierung beispielsweise darum, welchen Gestaltungsspielraum die Bundesländer in Zukunft überhaupt noch haben werden. Es geht um die Frage, ob die Erhöhung des Kindergeldes wirklich denen zugute kommt, die es brauchen – das tut es nämlich nicht. Gerade jetzt – in der Wirtschaftskrise – müssen bedrohte Arbeitsplätze gerettet werden. Und die Menschen müssen von ihrem Einkommen auch leben können. Darum bereitet Rot-Rot in Brandenburg unter anderem ein Vergabegesetz vor, dass Mindestlöhne zur Bedingung für die Erteilung staatlicher Aufträge macht. Im Frühjahr soll das Gesetz kommen.

Der Koalitionsvertrag stand auch in der Linkspartei in der Kritik. Es gab den Vorwurf, die LINKE sei in den Verhandlungen mit der SPD umgefallen, habe sich blamiert wegen eines würdigenden Satzes zum Lissabonvertrag und weil sie der SPD nichts abgetrotzt habe, was die klimaschädliche Verstromung der Braunkohle betrifft. Genießt Rot-Rot überhaupt Rückhalt im Bundesvorstand und in den anderen Landesverbänden?
Ja. Es gibt aber dennoch Debatten, Kritik und eine Menge Fragen zum Schrittmaß der Veränderungen. Uns wird vorgeworfen, wir hätten in den Verhandlungen mit der SPD zu wenig herausgeholt. Das sehen wir anders. Es gibt schließlich mit der neuen Landesregierung eine Abkehr von der neoliberalen Ausgabenkürzung. Anders als früher setzt Helmuth Markov konkrete politische Prioritäten und fordert ausdrücklich die Mitsprache der Ressorts.

Die Erarbeitung einer langfristigen Personalbedarfsplanung ist eine der größten und zugleich schwierigsten Herausforderungen des neuen Finanzministers. Angesichts der Schuldenlast Brandenburgs, der sinkenden Einnahmen und der Vereinbarung im Koalitionsvertrag gilt es, Stellen zu streichen und im Jahr 2014 eine Zahl von 45 500 Stellen zu erreichen. Weil jedoch viele Mitarbeiter in den Ruhestand treten werden oder den Landesdienst aus anderen Gründen verlassen, müssen gleichzeitig Mitarbeiter eingestellt werden. So ist es möglich, die ausgebildeten Polizisten auch zu übernehmen.

Haben Sie die innerparteiliche Kritik als unzulässige Einmischung empfunden?
Es steht außer Frage, dass die bundespolitische Glaubwürdigkeit der Linkspartei durch das Agieren einer rot-roten Landesregierung keinesfalls in Gefahr gebracht werden darf, und das wird sie mit unserem Koalitionsvertrag nicht. Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit und wir sind die Friedenspartei in Deutschland. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Daran müssen wir uns halten. Doch alles, was darüber hinaus geht, sollte Sache der Landesverbände sein. Politik muss von unten nach oben gestaltet werden können. Natürlich sind viele Probleme in einem dünn besiedelten ostdeutschen Flächenland wie Brandenburg ganz andere als die in Nordrhein-Westfalen. Demzufolge müssen auch andere Antworten gefunden werden.

Würden Sie sich wünschen, in Ruhe gelassen zu werden?
Nein! Jeder kann und sollte sich auch einbringen. Die Bundespartei könnte das, was in Berlin und Brandenburg passiert, als eine Werkstatt für die Zukunft betrachten. Die Regierungsbeteiligungen müssen nicht mit Misstrauen beobachtet werden. Sie sind eine Chance für die LINKE. Die Menschen wählen uns dafür, dass wir tatsächlich gestalten und ihnen helfen; und nicht nur sagen, was wir tun könnten. Wir sollten uns aber nicht gegenseitig Rezepte ausstellen. Es kann kein Konzept von oben geben, das alle Fragen beantwortet, denen sich ein Politiker der Linkspartei auf Landesebene oder in einer Kommune stellen muss. Ich glaube nicht, dass es einem unserer Bürgermeister weiter hilft, wenn er in der Antikapitalistischen Linken oder beim Forum Demokratischer Sozialisten organisiert ist. Wir sollten nicht in politischen Strömungen schwimmen, sondern uns über konkrete Themenfelder wie Umwelt oder Bildung austauschen.

Gehören Sie einer Strömung an?
Nein, mit Absicht. Das finde ich für mich überflüssig und politisch eher hinderlich.

Wenn der Koalitionsvertrag in Ordnung ist und die Regierung gut arbeitet, woher kommen die Irritationen in der Partei?
Ich denke, das hat mit fehlenden Informationen zu tun. In Gesprächen lässt sich das zumeist ausräumen. Außerdem gibt es Unsicherheit, wenn wir speziell von Landesverbänden in Westdeutschland reden. Dafür habe ich Verständnis. Diesen Landesverbänden fehlt auch noch Erfahrung in einer Regierung, zum Teil sind sie in den Landtagen noch nicht einmal vertreten. Ich denke wirklich nicht, dass es sich hier um einen Ost-West-Konflikt handelt. Es gibt sehr wohl Genossen im Westen, die hinter unserer rot-roten Koalition stehen, und es gibt auf der anderen Seite auch kritische Äußerungen aus ostdeutschen Reihen.

Rechneten Sie vor der Regierungsbildung mit den scharfen Angriffen auf Rot-Rot in den Medien?
Überrascht haben mich nicht die Angriffe an sich, sondern die Qualität der Berichterstattung. In überregionalen Zeitungen – das ND ausdrücklich ausgenommen – finden sich vielfach nur noch ideologisch gefärbte, tendenziös ablehnende Berichte und wenig sachliche Informationen. Dabei wird nicht gesehen, dass der neue Kurs in Brandenburg gar nicht so neu ist. In den 90er Jahren bewegte sich das Bundesland mit der SPD-Sozialministerin Regine Hildebrandt auch in eine Richtung, die vom bundesdeutschen Einerlei abwich. Erst ab 1999, mit dem Eintritt der CDU in die Regierung, gab es eine Angleichung, wurden Bürgerrechte abgebaut, hielt eine konservative Bildungspolitik mit einer frühen sozialen Trennung der Schüler Einzug. Rot-Rot ist eine Abkehr davon und ein Stück weit auch eine Besinnung auf Werte der 90er Jahre.

Matthias Platzeck wechselte von Rot-Schwarz zu Rot-Rot und muss sich nun anhören, er habe dies auch aus reinem Machtkalkül getan. Für wie glaubwürdig halten Sie den SPD-Ministerpräsidenten?
Der Vorwurf trägt nicht. Matthias Platzeck hat keine taktischen Motive, sondern inhaltliche Ansprüche und er akzeptierte das Wahlergebnis. Schon im Jahr vor der Landtagswahl verwies er immer wieder auf die Möglichkeit einer rot-roten Koalition und betonte dabei, man müsse Menschen danach beurteilen, wie sie sich 20 Jahre in der Demokratie verhalten haben. Der Ministerpräsident vertritt sehr glaubwürdig und konsequent die politischen Ziele unserer Koalition. Er wird wegen seiner Entscheidung oft unfair behandelt, bringt aber viel Kraft auf. Dafür zolle ich ihm Respekt.

Interview: Andreas Fritsche

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