Paradies? Anderswo.

Dorothea Kleine tot

  • Roland Müller
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie jetzt erst bekannt wurde, ist die Schriftstellerin Dorothea Kleine am 9. Januar, 81-jährig, in Cottbus gestorben. Sie hinterlässt ein beachtliches literarisches Werk, das in seiner Vielfalt und Genauigkeit ein Spiegelbild der Verhältnisse in der DDR in ihrem historischen Verlauf ist. Ihre große Stärke war, den Alltag aufzuhellen und durchsichtig zu machen mit einem geradezu unbestechlichen und unerschrockenen moralischen Anspruch.

Auch nach 1989 hat sie ihrem kritisch-realen Blick standgehalten und die menschlichen Untiefen des neues Systems auszuleuchten. Gerade in ihrem letzten, 2009 Jahr erschienenen Roman »Das Paradies ist anderswo« macht sie deutlich, wie die Wege zum Aufstieg hinter einer sauberen Fassade oft durch Korruption, Mord und feigen Verrat gepflastert sind. Böll oder der frühe Walser hätten das nicht besser darstellen können. 1988 war die Autorin Stadtschreiberin in Saarbrücken.

Geboren ist Dorothea Kleine am 6. März 1928 im oberschlesischen Krappitz. Nach ihrem Journalistik-Studium war sie zwischen 1948 und 1961 als Redakteurin bei verschiedenen Tageszeitungen der DDR tätig. Diese 13 Jahre Recherche an der »Basis«, an Orten und unter Menschen, wo das wirkliche Leben stattfand, schulte ihren Blick und Verstand. Und sie erlernte, was von nun an ihr Leben war und bis zum Ende bleiben sollte: Schreiben.

Sie gelangte hinter Sinn und Bedeutung von Sprache. »Aber ein Wort ist kein Vogel, den man wieder einfangen kann. Ein Wort fliegt weiter und tut seine Wirkung«, schreibt sie in dem Roman »eintreffe heute«, erschienen 1982 und sofort aus den DDR-Buchhandlungen entfernt, weil sich die Autorin kritisch mit der wirklichen Arbeitswelt einer jungen Fabrikarbeiterin auseinandersetzte.

Ihr Werk umfasst insgesamt über 20 Romane und Erzählungen, darunter anfangs lauter Krimis, auch in Anthologien, das kein Zufall war, denn in den sechziger Jahren war sie als Gerichtsreporterin tätig und schuf dann, zwischen 1968 und 1985 zehn Szenarien für Krimis im DDR-Fernsehen – darunter für die populären Reihen »Polizeiruf 110« und »Der Staatsanwalt hat das Wort«. Ein Film wurde von der Zensur verboten. 1974 erhielt sie von der Stadt Cottbus den Carl-Blechen-Preis; bis zu seiner Auflösung 1989 leitete sie in der Lausitz-Metropole den bezirklichen Schriftstellerverband.

Was ihre Prosa und ihre Filmdialoge auszeichnet, ist die menschliche Wärme einfacher Leute, deren Liebenswürdigkeit und Witz. So seltsam das klingt: Diese von ihr beschriebenen Menschen könnten zugleich unsere Nachbarn, Freunde oder Mitglieder der eigenen Familie sein. Dorothea Kleine gibt sich in all ihren Geschichten nie mit oberflächlichen Wahrheiten oder Klischees zufrieden. Wenn diese scheinbar abgehakt sind, beginnt sie mit bohrenden Fragen.

Sie ist und wird bleiben eine Moralistin reinsten Wassers, die in jeder Erscheinung und in jedem Satz nach einem Fünkchen Menschlichkeit sucht, nach einem winzigen Pflänzchen, was dem Leser Trost und Zuversicht leiht. Zu ihren Lebzeiten standen viele andere, zum Teil große Autorinnen aus der DDR an ihrer Seite, angefangen von ihrem Vorbild Anna Seghers. Und eines Tages wird man sie auch in den aufwendigen Lexika deutscher Literatur westlicher Provenienz finden, wo man sie in diesen Tagen noch vergeblich sucht.

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