Jemen das nächste Opfer?

  • Gerhard Armanski
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Sozialwissenschaftler lehrt an der Universität Osnabrück.
Der Sozialwissenschaftler lehrt an der Universität Osnabrück.

In der 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts propagierten die USA unter Kennedy und Johnson im Kalten Krieg die »Dominotheorie« als Stein der Weisen. Demnach risse ein Land, das in den sowjetischen Machtbereich geriete, schier zwangsläufig die angrenzenden Staaten mit. Dieser Doktrin folgten u.a. Aktionen gegen Kuba, die Interventionen in Vietnam und Chile und unlängst in Somalia. Ab den 90er Jahren fand sie einen neuen Gegner, nämlich den Islamismus. Unter der Fahne des »Kampfes gegen den Terrorismus« überzog sie den Erdball mit einem Netz an Stützpunkten und fuhr massive An- und Eingriffe im Irak und in Afghanistan. Nun also der Jemen?

Nur an der Oberfläche ging und geht es darum, die Welt »demokratiesicher« (Woodrow Wilson) zu machen. Vielmehr ist beabsichtigt, die Peripherie der in Unruhe geratenen islamischen Länder zu »stabilisieren«, zu kontrollieren und mit westlichen Brückenköpfen und Ressourcenausbeutern zu versehen. Dazu muss gar nicht das ganze Gebiet, sondern es müssen nur die politischen Knotenpunkte besetzt werden.

Es ist gut möglich, dass im Jemen Ausbildungscamps der Al Qaida existieren. Vor einigen Jahren entflohen zwei Dutzend ihrer Mitglieder aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Sanaa. Mit Anwar al-Awlaki verfügt die Organisation über einen neuen charismatischen dschihadistischen Prediger. Ob dieser die vorherrschende politische Meinung im Land, das gemäßigt-sunnitisch orientiert ist, repräsentiert, ist allerdings fraglich. Dessen bedarf Al Qaida auch nicht.

Sie hat es mit einem autoritär regierten Staat zu tun, der sich in Auflösung befindet und zu den ärmsten der Welt zählt. Helfen könnte ihm nur massive wirtschaftliche Unterstützung. Zu einem Militärschlag alternative Strategien des zivilen Aufbaus werden nun, anders als in Afghanistan, gar nicht erst vorgeschoben. Pure geopolitische Interessen stehen obenan. Nicht zufällig ist der Jemen ins Fadenkreuz der USA geraten. Immerhin ist über ihn eine der wichtigsten internationalen Seefahrtsrouten zu sichern und der piratenbedrohte westliche Indische Ozean zu kontrollieren. »Die Krise im Jemen«, befand Hillary Clinton, »ist eine Bedrohung der regionalen und sogar der globalen Stabilität«.

Vielleicht wird es aber nur ein neues Bab el Mandeb (»Tor der Tränen«). Die Jemeniten sind nicht als ein Volk bekannt, das bewaffnete Eingriffe von außen duldet, zumal wenn »Kollateralschäden« zu gewärtigen sind. Die Luftwaffe mit Hilfe US-amerikanischer »Berater« fliegt bereits Angriffe gegen vermutete Qaida-Stützpunkte. Währenddessen wird der Staat noch mehr vor die Hunde gehen und der ohnehin grassierenden Stammesanarchie weichen. Er tritt in einen Machtkampf gegen die Aufständischen im Norden und Süden des Landes sowie die Terroristen, den er auf lange Sicht nur verlieren kann. Den USA droht noch mehr die Gefahr der imperialen »Überdehnung« mit langfristig unabsehbaren Folgen für die Welt und das eigene Land. Lenken sie aber ein, haben sie den Nimbus des Weltpolizisten verspielt. Ein Dilemma, aus dem nur eine konsequente Weltfriedenspolitik hülfe – die ist aber trotz Nobelpreis für Obama nicht in Sicht.

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