El Salvador stellt sich seiner Vergangenheit

Präsident Mauricio Funes bittet alle Opfer staatlicher Repression um Verzeihung

  • Kathrin Zeiske
  • Lesedauer: 3 Min.
Unter dem ersten linksgerichteten Präsidenten El Salvadors, Mauricio Funes, vollzieht das Land eine Kehrtwende in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung.

Mauricio Funes fühlt sich seinem geistigen Mentor verpflichtet. So nennt El Salvadors seit Juni 2009 amtierender Präsident den 1980 ermordeten Erzbischof Óscar Arnulfo Romero. 18 Jahre nach Unterzeichnung des Friedensvertrags von Chapultepec bat Funes am 18. Januar alle Opfer von Verbrechen staatlicher Akteure während des Bürgerkriegs in El Salvador (1980-92) um Verzeihung. Die vorangegangenen Regierungen der Nationalen Republikanischen Allianz (ARENA) hatten die Kriegsverbrechen totgeschwiegen.

Schon im vergangenen Jahr hatte die Regierung Funes, an der vor allem die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) beteiligt ist, postum sechs spanische und salvadoranische Jesuitenpater mit der höchsten Auszeichnung des Landes geehrt. Sie waren gegen Ende des Bürgerkrieges von Angehörigen der Spezialeinheit »Batallón Atlacatl« ermordet worden. Das Bataillon war auch für das Massaker von El Mozote verantwortlich, dem 900 Menschen zum Opfer fielen.

Mirna Perla Jiménez, Beamtin am Obersten Gerichtshof El Salvadors, begrüßt den Wandel, den die Regierung Funes vollzieht: »Es ist eine wichtige Geste, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs im Namen der Regierung endlich um Verzeihung zu bitten.« Sie selbst verlor ihren Mann Herbert Anaya, der als Vorsitzender der unabhängigen Menschenrechtskommission von der Polizei ermordet wurde. Mindestens 7000 Personen gelten immer noch als »verschwunden«. »Wenn man die Menschenrechte wahren will, muss man sich der Vergangenheit stellen. Die Regierungen der ARENA haben das nie getan; zu viele Täter befinden sich noch immer in ihren Reihen.«

Auch bei den Feiern zum Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrags waren sie dabei. Gegen den damaligen Präsidenten Alfredo Cristiani, der den Vertrag unterzeichnete, läuft in Spanien ein Ermittlungsverfahren wegen der Verschleierung des Mordes an den Jesuitenpatern. Cristiani applaudierte nicht nach der Rede von Präsident Funes, ebenso wenig General Mauricio Vargas, der den Vertrag für die Streitkräfte unterschrieb und als Verantwortlicher zahlreicher Morde an Oppositionellen gilt.

Kriegsverbrecher wurden in El Salvador bisher nicht zur Verantwortung gezogen. Mit dem Friedensvertrag wurde zwar die Aufklärung der Untaten durch eine Wahrheitskommission eingeleitet; zugleich war aber für das Folgejahr bereits das Inkrafttreten eines Amnestiegesetzes festgelegt worden.

»Es ging vorrangig darum, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Das ist für eine Gesellschaft viel nachhaltiger und wichtiger als Gerichtsprozesse«, verteidigt Mauricio Figueroa, Direktor der Organisation Fundación Quetzalcoatl, die damalige Politik. »Die Aufklärung der Vergangenheit ist Voraussetzung für eine Versöhnung zwischen den Fronten. Und in einem kleinen Land wie El Salvador hat sich jede Familie während des Krieges auf einer der beiden Seiten verortet und Tote zu beklagen.« Die Fundación Quetzalcoatl betreut Jugendliche in den Armenvierteln San Salvadors und versucht ihnen neben Ausbildungsplätzen vor allem eine Kultur des Friedens zu vermitteln.

»Die ausufernde Gewalt im heutigen El Salvador hat Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung als Nährboden; sie ist aber auch das Phänomen einer Nachkriegsgesellschaft«, erklärt Figueroa. »In El Salvador herrscht eine Kultur der Gewalt.« In einem Land mit rund 7 Millionen Einwohnern werden jeden Tag im Schnitt 13 Menschen ermordet. Damit nähert sich die Mordrate gefährlich den Zahlen der Toten während des Krieges. Damals starben täglich 16 Menschen in den Auseinandersetzungen zwischen Militär und Guerilla. Figueroa begrüßt die jüngsten Worte des Präsidenten Funes. »Auch wenn Funes keine Verantwortung für die Verbrechen im Kriege trägt, hat er doch seine Verantwortung als Staatsoberhaupt wahrgenommen, diese zu benennen und die Opfer um Verzeihung zu bitten. Schweigen ist keine Lösung, man muss sich der Geschichte nähern, um sie überwinden zu können.« Der Justizbeamtin Mirna Perla Jiménez geht dies allerdings nicht weit genug. Sie hofft auf politische Konsequenzen. »Natürlich war die Ermittlung der Menschenrechtsverletzungen zunächst wichtiger als eine Bestrafung der Täter. Aber heute sind wir 17 Jahre weiter, und das Amnestiegesetz ist nicht unantastbar. Ermittlungsverfahren können trotzdem eingeleitet werden, und das Gesetz sollte zur Diskussion gestellt werden«, fordert sie.

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