Startmühle kann blockieren

Europameister Alain Flury: Sieben Milliarden Möglichkeiten zu patzen

  • Lesedauer: 4 Min.
Drei Steine sauber aufgereiht – das ist eine Mühle im gleichnamigen Spiel. Scheint einfach, ist es aber in der Praxis vor allem dann nicht, wenn ernsthaft um Punkte und Pokale gezockt wird. Mitte April ruft das oberbayerische Neufahrn bei Freising zur EM 2010. Die Schweiz dürfte dort ihre Position als bislang unangefochtene Mühlesupermacht kaum einbüßen. Daran lässt jedenfalls der amtierende Europameister und Mühle-Großmeister ALAIN FLURY (48) im Gespräch mit ND-Autor RENÉ GRALLA keinen Zweifel. Flury ist im Hauptberuf Außendienstler in der Baubranche und wohnt in Oberbalm, Kanton Bern.

ND: Das Mühlegeheimnis sei bereits 1993 von einem gewissen Ralph Gasser an der ETH Zürich vollständig gelöst worden, heißt es. Das Spiel führe zwangsläufig zum Remis, falls keiner der Kontrahenten patzt. Eigentlich müssten Mühleturniere jetzt ziemlich sinnlos sein.
Flury: Nein, nein. Bekannt sind über neun Milliarden verschiedene Stellungsbilder, davon bewegen sich rund 2,1 Milliarden Positionen in der Remisbreite. Der Rest ist aber eben gerade nicht unentschieden, sondern gewonnen beziehungsweise verloren; selbst bei perfektem Spiel auf beiden Seiten gibt es eine klare Entscheidung.

Weil ich fast sieben Milliarden Möglichkeiten habe, daneben zu greifen?!
Genau, der kleinste Fehler reicht, und Sie gehen unter! Zweimal hat sich zur EM ein Schachgroßmeister angemeldet. Der saß mir vier Mal am Brett gegenüber und hat kein Land gesehen.

Mühle ist der Methusalem unter den strategischen Spielen und älter als Schach?
So ist es. Selbst im ägyptischen Theben in einem Tempel von Pharao Sethos I. (1303 bis 1290 v.u.Z.), findet sich eingemeißelt bereits ein Mühleplan.

Sie tragen den GM-Titel. Welche Voraussetzungen haben Sie dafür erfüllen müssen?
Der Welt-Mühlespiel-Dachverband WMD verlangt, dass man 20 Turniere gewinnt.

Der WMD residiert in Zürich. Offenbar ist die Schweiz eine Mühlehochburg.
Das ist sie. Immerhin haben wir in der Schweiz an die hundert Turnierspieler.

Wirklich beeindruckend klingt das nicht.
Sie müssen unterscheiden zwischen nicht organisierten Mühlefans und Aktiven in Vereinen. Mit Mühle kommt in unserem Kulturkreis beinahe jeder irgendwann einmal in Berührung, meist als Kind in der Familie. Es wird geschätzt, dass 600 Millionen Menschen auf diesem Planeten wenigstens die Schachregeln beherrschen, und was Mühle betrifft, dürften das deutlich mehr Leute sein. Ein ganz anderes Bild bietet sich freilich im Turniersport. Neben der Schweiz zählen momentan allein noch Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Italien und Polen zu den Mühlenationen. Erfreulicherweise ist die Tendenz aber nicht zuletzt dank Internet steigend.

Der Mühlespielverein Bern, dem Sie als Präsident vorstehen, hat am 8. Dezember 2009 seinen 31. Geburtstag gefeiert. Wie war es zur Gründung gekommen?
Mitten auf dem Bärenplatz im Zentrum von Bern finden Sie ein großes Feld für Freiluftmühle. Dort hatten sich schon in den 70ern immer Spieler versammelt. Bis ein paar auf die Idee verfallen waren, einen Klub zu gründen.

Etwas Ähnliches ist in Deutschland bisher nicht geglückt. Warum eigentlich?
Ein cooler Typ aus dem Harz namens Ingo Sommer hatte mal einen Anlauf gewagt. Tragischerweise wurde nichts daraus, er starb. Aber aktuell bewegt sich wieder etwas in Deutschland – siehe die diesjährige Europameisterschaft in Neufahrn.

Was ist die beste Strategie auf dem Weg zum Champ? Angeblich verliert, wer die erste Mühle bastelt. Das verstehe ich nicht!
Das ist zwar etwas zugespitzt, aber die erste Mühle kann tatsächlich ein Nachteil sein. Denn die konkreten drei Steine sind logischerweise festgelegt und fehlen für taktische Angriffe und strategische Manöver.

In der Eröffnung soll man die Ecken meiden ...
Platzieren Sie während der einleitenden Setzphase Ihre Steine auf den zentralen vier Kreuzungspunkten, die Zugoptionen in alle Richtungen schaffen, dann machen Sie sicher nichts falsch.

Sie fahren auch Ski. Kürzlich wieder in Muerren beim 67. Internationalen Inferno-Rennen .
Es war dort mein achter Abfahrtstart. Von 1699 bin ich die Nr. 74 geworden.

War das ein Härtetest für die Mühle-Europameisterschaft?
Vielleicht. (lacht)

Weitere Infos zum Mühlespielverein Bern: www.muehlespiel.ch; Mühle-EM am 17./18.04.2010 in Neufahrn bei Freising: Ausschreibung unter www.muehlespiel.eu

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