S-Bahn Berlin: Renditejagd war o.k.

Ermittler sehen Technik- und Leitungsmängel als Krisenursachen und sprechen Bahnkonzern frei

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Gravierende Fahrzeugmängel und Fehler des Managements haben die Krise bei der Berliner S-Bahn ausgelöst. Als Konsequenz will die Deutsche Bahn Strukturen verändern und eine neue Einheit »technische Revision« einrichten. Personelle Konsequenzen wurden bisher nicht gezogen.

Im September vergangenen Jahres hatte der Bahnvorstand die Wirtschaftssozietät Gleiss Lutz mit der Ursachenforschung für das Berliner S-Bahn-Desaster beauftragt. Gestern legten die Anwälte nach Sichtung von tausenden Dokumenten und rund 100 Gesprächen mit Mitarbeitern ihren Bericht vor. Demnach liege die Ursache für den Ausfall eines Großteils der S-Bahn-Flotte in »gravierenden konstruktiven Fahrzeugmängeln« und »erheblichen Organisationsdefiziten« der S-Bahn. Insbesondere die Radscheiben seien unzureichend dimensioniert. Nach dem Bruch einer Radscheibe war am am 1. Mai 2009 eine S-Bahn entgleist.

Im Umgang mit diesen konstruktiven Schwachpunkten habe die S-Bahn jedoch »erhebliche Fehler« begangen. Selbstverpflichtungen der S-Bahn zur häufigeren Überprüfung der Radsätze wurden nicht eingehalten, so dass das Eisenbahn-Bundesamt 149 Wagen stilllegen musste. Die Verlängerung von Wartungs- und Instandhaltungsfristen und von Laufleistungen seien einem sicheren und zuverlässigen Bahnbetrieb nicht gerecht geworden, heißt es im Bericht. Arbeitsanweisungen seien inhaltlich fehlerhaft, unvollständig und unverständlich.

In diesem Zusammenhang spricht der Bericht auch von der »unzulänglichen Betreuung« der S-Bahn durch andere Konzernbereiche der Bahn. Die später entdeckten Probleme mit Bremsen wiederum gingen auf »Missstände der Werkstattorganisation« zurück. Die Ermittler kritisierten zudem, dass die Organisationsmängel etwa in den Werkstätten weder von internen noch von externen Prüfern aufgedeckt worden seien. Generell bemängelten die Anwälte das Fehlen jeglicher Qualitätskontrolle bei der S-Bahn. Die Deutsche Bahn sprachen sie jedoch von Schuld frei. Die zuständigen Konzerngremien seien nicht über die systematischen Organisationsmängel informiert worden. Auch Pflichtverletzungen des S-Bahn-Aufsichtrats konnten sie nicht erkennen. Ebensowenig sei das »Optimierungsprogramm S-Bahn« für die Betriebsstörungen verantwortlich.

Über weitere personelle Konsequenzen nach der Ablösung der S-Bahn-Geschäftsführung Mitte 2009 hielt sich die Bahn bedeckt. Bahn-Vorstand Ulrich Homburg verwies auf derzeit laufende Anhörungen der Verantwortlichen. Er könne aber schon sagen, dass am Ende mehrere Arbeitsverhältnisse beendet würden. Außerdem habe man die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft »zur Klärung eventuell strafrechtlich relevanter Sachverhalte« übergeben. Als strukturelle Maßnahme kündigte er an, dass die S-Bahn Berlin wie auch die Hamburger S-Bahn ab 1. März vom DB Stadtverkehr in das Geschäftsfeld Regionalverkehr integriert wird. Damit würden alle S-Bahnen unter einem Dach zusammengefasst »und die einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards vollständig auf die S-Bahn in Berlin übertragen«. Zusätzlich zum bestehenden Qualitätsmanagement werde eine neue Einheit »Technische Revision« eingerichtet. Sie soll alle sicherheitsrelevanten Prozesse prüfen und wird direkt bei Bahnchef Rüdiger Grube angesiedelt.

Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg äußerte sich enttäuscht über den Bericht. Ein Vorschieben konstruktiver Mängel sei nicht akzeptabel. Im Vordergrund der Geschäftspolitik habe eine hohe Gewinnabführung und nicht die Qualität der Leistung gestanden. Die Verkehrsexpertin der Berliner Linkspartei Jutta Matuschek forderte, die S-Bahn aus den »Renditekreisläufen« des Konzerns herauszunehmen.

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