Fremd in der Welt

Gunter Preuß: »Rufe in der Wüste«

  • Reiner Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Etwa 70 Romane, Erzählungen, Gedicht- und Aphorismenbände, Hörspiele, Theaterstücke für Kinder und Erwachsene – und nun gesammelte Essays von Gunter Preuß: So erfährt der Leser nicht nur etwas über Fakten und Wendepunkte in der Biografie des Leipziger Schriftstellers, sondern auch viel über seine poetische Konfession.

Preuß, Jahrgang 1940, der als 20-Jähriger seine ersten Texte publizierte, als Jugendlicher Leistungssport trieb und an der Artistenschule Berlin lernte, dann als Fernmeldemonteur arbeitete und zu schreiben begann, mit »Julia«, »Feen sterben nicht« und »Tschomulungma« die Kinder- und Jugendliteratur der DDR aufmischte, hat in seinen Büchern immer wieder auch den Träumern, den Sensiblen, den Zweiflern Aufmerksamkeit geschenkt. Er selbst war in der Zeit seines Schreibbeginns in einem Zirkel gemaßregelt worden, war in der Biermann-Affaire 1976 nicht der offiziellen Doktrin gefolgt, hatte im Ausschlussverfahren gegen kritische Autoren 1979 seine Stimme verwehrt, war hingegen im Kontext mit der Perestrojka Gorbatschows noch Mitglied der SED geworden.

Wie er es in der deutsch-deutschen Groteske »Vom armen Schwein. ..« (2003) in der Figur des Künstlers Star inszeniert, bestimmten nach 1990 Ängste vor der Welt des Konsums und der Macht des Kapitals sein Lebensbild. Literatur wird zur Ware, zum billigen Tand auf Ramschtischen der Supermärkte, und der vormals mit menschheitsfreundlichen Visionen ausgestattete Schriftsteller verkommt zum Narren: »Kunst wird schlecht bezahlter Buchhalter des Ausverkaufs von Leben.«

Obzwar Preuß einräumt, in der DDR angeeckt und überwacht worden zu sein, bekennt er, dass er dort gut lebte, als Schriftsteller Anerkennung fand, verbunden war mit seinen Lesern. Heute sehe er mit Grausen, sagt er, wie seine Leser geistig stagnierten und seelisch verkümmerten.

Die Texte nach 1990 sind bissig, scharf und reich an Argumenten, angereichert mit Sentenzen, von denen man einige in Preuss' Aphorismen wiederfindet. Oft geht es dabei um die Zensur. Zwar musste Preuß in der DDR einige Eingriffe in seine Manuskripte durch Lektoren »ertragen«», aber die damalige Zensur sei hier und heute abgelöst durch die Zensur der Verlage, der Buchhandel bestimme mit Verkaufsziffern Angebot und Schreibmotivation. Sprachgefühl und Verantwortung für sprachliche Bildung blieben dabei auf der Strecke. Sein Gefühl, gebraucht zu werden, sei längst abhanden gekommen.

Im Aufsatz »Im Osten nichts Neues« (2000) formulierte Preuß, der reale Sozialismus sei ebenso nicht seine Welt gewesen, wie jetzt der Kapitalismus nicht seine Welt sei. Zwar wurde in der DDR die Literatur geliebt und von den Mächtigen gefürchtet, aber heute hätten Literatur und Kunst nur noch Alibifunktion und befänden sich im »Sackbahnhof«. Maß für Literatur sei nicht mehr literarische Qualität, sondern Verkäuflichkeit.

Genussvoll zu lesen sind eingestreute Würdigungen zu Personen (Salinger, Twain, Hesse, Brock, Spillner u. a.) und Institutionen (J.-R.-Becher-Institut Leipzig), Selbstinterviews mit parodistischem Einschlag (Denkzettel, 2004) sowie politische »Eingaben« zum Luftfracht-Drehkreuz, dem Flugplatz Halle-Leipzig. – Gern hätte ich zu allen Texten die Quellenangaben nachgelesen. Auch eine gediegenere Lektoratsbetreuung wäre gut gewesen.

Gunter Preuß: Rufe in die Wüste. Aufsätze und Interviews von gestern und heute. Projekte-Verlag Halle. 405 S., geb., 24,90 €.

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