Überall diese Römer, aber: Wo ist Hannibal?

Tunesien: Wie eine antike Weltmacht eine andere zu Staub zerrieb

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
Tiefe Verbeugung für die Römer im Bardomuseum (o.), still ruht der See um Hannibals Werft Fotos: M.Müller; H.Lange
Tiefe Verbeugung für die Römer im Bardomuseum (o.), still ruht der See um Hannibals Werft Fotos: M.Müller; H.Lange

Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.

So die berühmte Brechtsche Antikriegsmetapher. Mahnend und warnend, dennoch allzu oft in den historischen Wind geschlagen. Wie treffend sie ist, wird nirgendwo deutlicher als am Ort des Geschehens. In Karthago, diesem heutigen Vorort der tunesischen Hauptstadt Tunis. Das einst für Jahrhunderte der großmächtige Nabel der südlichen mediterranen Welt gewesen ist. Um dann von einer neu aufkommenden Großmacht, von Rom, im wörtlichen Sinne zu Staub zerrieben zu werden.

Beim zweiwöchigen Horrorfinale der sich insgesamt 120 Jahre hinziehenden Punischen Kriege hatte der römische Befehlshaber Scipo 146 v. u. Z. alles schlachten lassen, was lief, und alles schleifen lassen, was stand. Getreu der Schlussformel, die der ältere Cato stets seinen Senatsreden gegeben hatte: » ... und übrigens bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.«

So gut wie nichts

Heute zählt das »nicht mehr auffindbare« Karthago zum UNESCO-Weltkulturerbe. In den letzten 30 Jahren ist alles, was sich auf dem und um den Byrsahügel herum nur irgendwie als ausgrabbar oder gar rekonstruktionsfähig erwies, geschützt, geborgen und ausgestellt worden. Besagte karthagisch- phönizische oder, wie die Römer sie nannten: punische Zeit betreffend, ist das leider so gut wie nichts mehr. Ein paar Grabstelen, einige Masken und Statuen, Amulette. Dazu einige Grundmauern von Wohnvierteln, freigelegt unter den späteren römischen Fundamenten. Denn ab 44 v. u. Z. hatten die Kaiser von Cäsar bis Antonius die Stadt Karthago als Zentrum ihrer Afrikaprovinz, der Kornkammer Roms, wieder neu aufbauen lassen.

Dann ist da schließlich an der Uferzone noch diese fast kreisrunde Bucht mit einem Durchmesser von etwa 400 Metern, in ihrer Mitte eine ebenfalls runde Insel von vielleicht einem Hektar. Völlig unscheinbar, auch nicht museal erschlossen. Doch genau das waren Militärwerft und -hafen der Karthager. Hier wurde eine Epoche lang, nämlich von etwa 800 bis 146 v. u. Z., das militär-strategische Hauptkriegsgerät einer Weltmacht gebaut. Heute alles so gut wie »nicht mehr auffindbar«.

Von See kommt Wind auf. Er lässt gleichsam den Schleier der Geschichte etwas wehen, und er gibt ebenso gleichsam ein Fenster für einen Zukunftsblick frei. In eine Zeit, in der die heutigen nuklear-strategischen Waffenschmieden von Los Alamos, Sarow oder Dimona hoffentlich auch so unscheinbar, arglos, zurückerobert von der Natur daliegen werden ...

Das Panorama der Inseln und Landzungen in der Bucht von Tunis, das sich vom Byrsahügel Karthagos auftut, ist grandios. Nicht viel anders dürfte es auch Hannibal gesehen haben. Er, der legendäre Feldherr Karthagos, stammte nämlich von hier. Dieser Mann, der Rom zuvor quasi in der Hand hatte (»Hannibal ante portas!«), es aber nicht zerquetschte, wie später der Römer Scipo seinerseits Karthago. Warum er es nicht tat und damit einer Antike ohne Rom nicht den Weg bereitete, bleibt ein historisches Rätsel. Neueste Forschungen gehen davon aus, dass er Rom eben nicht zerstören, sondern zu einem friedlichen Status quo zwingen sollte und wollte.

Doch dem aufstrebenden Rivale-Imperium Rom war das Prinzip der Koexistenz fremd. »Unser Handwerk ist, die gewerbetätigen Völker zu besiegen und sie uns tributpflichtig zu machen«, hieß es in der Kriegsdoktrin. Mit dem historisch wie archäologisch so »ungerechten« Ergebnis, dass rund ums Mittelmeer, ganz besonders auch in Tunesien, alles von in Stein geronnener römischer Saturiertheit und Dekadenz geradezu strotzt. Man wandele nur durch das Bardomuseum von Tunis, mit seiner weltweit größten Sammlung römischer Mosaiken! Seit Jahren werden sie penibel restauriert, derzeit gerade wieder für Unsummen neu sortiert und verlegt. Man durchstreife nur Dougga, knapp zwei Autostunden südwestlich von Tunis! Dort ist eine komplette römische Stadt so ausgegraben und hergerichtet worden, dass ihr nur Dächer fehlen, um wieder zu funktionieren. Und natürlich die Sklaven. Die den Römern sogar die steinernen Klobrillen anwärmen mussten, ehe diese dort im Halbkreis ihre Plätze einnahmen, um Geschäfte zu besprechen und zu erledigen. Wo nur aber, fragt man sich, ist Hannibal?

Grausam und gottlos

Die erste Antwort darauf ist relativ einfach: Rom kannte, wie gesagt, keine Koexistenz. Deshalb waren Hannibal und Karthago das Reich des Bösen. Grausam, gottlos, treulos, wie Titus Livius schrieb. Und das gehörte ausradiert; übrig bleiben allein, so sie später nicht in Kirchen und vor allem Moscheen verbaut worden sind, die fast unversehrten, römischen, präziser: von römischen Sklaven geschaffenen Bau- und Kunststücke.

Die zweite Antwort ist etwas hypothetisch, doch sie folgt schon einer gewissen pragmatischen Logik. Zwar waren die Römer, wie selbst die Moderne spätestens seit Asterix und Obelix weiß, die tatsächlich Blöden und Bösen. Doch in der Realität waren sie eben die Sieger. Und Sieger in seiner Ahnenreihe zu wissen – egal ob in vermeintlicher oder echter – ist verständlicherweise anrührender, inspirierender. Zumal, wenn sie noch so viel Sicht- und Fassbares hinterlassen haben. Möglicherweise heißt deshalb der Flughafen von Tunis auch unverfänglich Aéroport International de Tunis-Carthage (was das römische Karthago natürlich einschließt!) und nicht Aéroport International de Hannibal.

Die meisten Tunesier sehen das wohl viel unaufgeregter. Schließlich zogen nach den Karthagern noch viele andere ins und übers Land. Römer und Byzantiner, Araber, Osmanen und schließlich auch noch Franzosen. Ein älterer Herr vor einem Kaffeehaus im Provinzstädtchen Testour danach befragt, wem er sich historisch am nächsten fühle, kann nur den Kopf über diesen abendländischen Reporter schütteln: »Was soll die Frage? Ich heiße Mourad, meine Frau heißt Selima. Wir leben hier, und wir essen Couscous. Und am nächsten? Am nächsten ist mir Allah.«

Hannibal scheint also den Heutigen nicht allzu sehr zu fehlen. Den meisten Touristen vielleicht auch nicht. Dennoch: Mögen Medina und Souks von Tunis oder der Strand von Hammamet noch so verlockend sein – raus nach Karthago sollte man sich unbedingt mal auf den Weg machen. Allein deshalb, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie eine jahrhundertalte Großmacht zu Nichts werden kann. Mit dem Nahverkehrszug TMG ist man von Tunis in nur 20 Minuten an Ort und Stelle des »nicht mehr Auffindbaren«.

Kampfname Barkas

Übrigens: Zu einer riesigen Attraktion für alt- wie zeithistorisch interessierte einstige DDR-Bürger könnte sich ein Pendeltransport mit Barkas-Kleinbussen entwickeln. Warum? Weil Barkas auf Phönizisch (Punisch) der Blitz bedeutet. Und das war – wer hat das zu DDR-Zeiten schon gewusst? – der Kampfname Hannibals: Hannibal Barkas. Der eine wie der andere Barkas ist von den Siegern entsorgt worden. Was allerdings kein Treppenwitz, sondern schon mehr ein echter Kalauer der Geschichte ist.

  • Fremdenverkehrsamt Tunesien, Bockenheimer Anlage 2, 60322 Frankfurt am Main, Tel.: (069) 13 38 35-0, Fax: - 22, E-Mail:
  • FVATunesien@aol.com, www.tunesien, Internationale Tourismusbörse Berlin (Publikumstage 13./14.3.): Halle 21.B/ Stand 213
  • Nationalmuseum Karthago (in Deutsch) Internet: www.tunesieninformationen.de/uebersicht/tunis/karthago.htm
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