Der Ruf des Claude Monet

In Bremen werden Bilder großer Maler in einem Hilfsprogramm für Demenzkranke eingesetzt

  • Dieter Sell, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
»Making Memories« heißt ein preisgekröntes Modellprojekt in Bremen, das Demente wenigstens für eine kurze Zeit aus dem Vergessen holt. Pflegende Angehörige erleben dabei ihre Mutter, ihren Vater oder ihren Partner bei den Gesprächen in einer neuen Situation, in der die Krankheit nicht im Vordergrund steht.

Bremen. Das seidene Kleid auf Claude Monets Bild seiner Geliebten Camille elektrisiert Emmi F. besonders. »Das kenn' ich als Tanzrock, als ich noch ein junges Mädchen war«, erinnert sich die demente 90-Jährige. »Aber heute ist das ja nicht mehr modern«, kommentiert sie das Motiv, das Monet im Jahr 1866 geschaffen hat. Mit Reproduktionen von Bildern wie diesem besucht ein Experte der Bremer Kunsthalle demenzkranke alte Menschen.

»Making Memories« heißt das preisgekrönte Modellprojekt, das Demente wenigstens für eine kurze Zeit aus dem Vergessen holt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hat die museumspädagogische Aktion ausgezeichnet, hinter der neben der Kunsthalle die Arbeiterwohlfahrt und der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) stehen.

»Jenseits des klassischen Kunstgesprächs geben wir über Motive, Farben und Formen vielfältige Anregungen«, erläutert der Mitinitiator und Kunsthistoriker Hartwig Dingfelder. Der Bremer Künstler Rainer Kosubek (58) leitet die Gespräche, für die demnächst auch professionell Pflegende ausgebildet werden sollen.

Farben gehen in die Seele

Im Bremer ASB-Demenzcafé »Vergiß mein nicht« etwa lässt Kosubek Stoffe von Hand zu Hand gehen, die auch gleich mit Camilles Kleid verglichen werden. In Hut und Mantel prüft Erika R. das Material. Eben wollte die ehemalige Schneiderin noch gehen, jetzt diskutiert sie mit und sagt mit dem überzeugten Brustton der Fachfrau: »Das da auf dem Bild ist Seide.« In einfacher Sprache, manchmal auch sinnlich ergänzt von Stoffen, Klängen und Düften, stellt Kosubek jeweils mehrere Bilder vor. Die Robert-Bosch-Stiftung unterstützt das Projekt im Rahmen ihrer »Aktion Demenz« bis Mitte des kommenden Jahres. »Demenzkranke Menschen zu erreichen, ist eine Herausforderung«, sagt der Kunstpädagoge Kosubek.

Kulturstaatsminister Neumann ist davon überzeugt, dass ihm das gelingt: »Die Kunst öffnet Welten, auch die verschlossene und geheimnisvolle Welt der Demenzkranken.« Pflegende Angehörige erlebten ihre Mutter, ihren Vater oder ihren Partner bei den Gesprächen in einer neuen Situation, in der die Krankheit nicht im Vordergrund stehe. »Gemeinsame positive Erlebnisse sind kostbare Inseln im herausfordernden Alltag, die Kraft spenden.«

»Farben gehen direkt in die Seele«, bekräftigt Kunsttherapeutin Friederike Waehneldt, die beim Bremer ASB die Demenzcafés koordiniert. Manchmal lösen die Bilder allerdings auch Ängste aus. So wie Max Beckmanns »Selbstbildnis mit Saxophon«, das 1930 entstanden ist. »Zu düster« findet der 86-jährige Jobst J. das expressionistische Motiv. Und Lotte S. (84) mutmaßt, dass Beckmann da gar kein Saxophon in der Hand hält, sondern ein Schießgewehr. Plötzlich fängt sie an zu pfeifen – als ob sie voller Furcht durch den dunklen Wald gehen würde.

Ein hingeworfenes Wort

Also wird das Bild von Beckmann schnell wieder mit einem Leinenbeutel verdeckt und in die Ecke gestellt. »Wer das Bild besitzen würde, wäre reich«, sagt Rainer Kosubek noch.

Daraus entsteht am Ende die Frage, wie Kosubek es um alles in der Welt wohl geschafft haben möge, die Bilder aus der Kunsthalle zu schmuggeln. Und Lotte S. grübelt weiter. Ihre Tochter könnte sich doch von ihrem Haus trennen, überlegt sie. »Und stattdessen eines der Bilder kaufen.«

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