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  • Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Eine zweifelhafte Berühmtheit

EVA BRAUN

  • Gerlinde Grahn
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Vorwort heißt es, dass eine ernsthafte quellenkritische Beschäftigung mit Eva Braun, die bisher von keinem Autor geleistet wurde, die Möglichkeit biete, eine neue Sicht auf Hitler zu gewinnen, die auch zu dessen Entmythologisierung in gewissen Kreisen beitragen könne. Angesichts einer schier unüberschaubaren Fülle an Publikationen zum deutschen Faschismus und besonders zu Hitler, deren Sichtung sich die Autorin versucht hat zu stellen, erwartet man also einen besonderen Erkenntnisgewinn. Die Autorin stellt den Lebensweg der Eva Braun in das gesellschaftliche Umfeld von München nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Zerschlagung des faschistischen Staates 1945 und schildert die private und berufliche Sphäre.

Im ersten Kapitel versucht Heike B. Görtemaker, die Entwicklung der faschistischen Bewegung in großen Zügen darzustellen. Nachgegangen wird den ideologischen Inhalten der faschistischen Bewegung wie dem Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Als Unterstützer Hitlers und der Partei vor 1933 werden die bekannten Namen wie Edwin Bechstein, die Familie Wagner und Hugo Bruckmann benannt. Nicht benannt werden die großen Geldgeber und Nutznießer des deutschen Faschismus, obwohl es hierzu umfangreiche, auf intensiver Quellenauswertung basierende Veröffentlichungen so von DDR- Autoren wie Dietrich Eichholtz, Kurt Gossweiler u. a. gibt. In diesen gesellschaftlichen Rahmen werden das Zusammentreffen und die Beziehung zwischen Eva Braun und Adolf Hitler, verbunden mit der Familiengeschichte Braun und der ihres Dienstherren Heinrich Hoffmann, gestellt.

Das zweite Kapitel wird eingeleitet mit einer Darstellung der Rolle der Frauen im Nationalsozialismus, wie sie in der Propaganda der Nazis vermittelt und andererseits im Alltag realisiert wurde. Die Lebenswelt der Frauen sollte, auf rassistischen und biologistischen Grundsätzen beruhend auf den häuslichen und sozialen Bereich beschränkt bleiben. Ökonomische Zwänge, insbesondere die forcierte Aufrüstung und schließlich der Krieg führten in der Realität zu einer wesentlich anderen Stellung der Frau, zu ihrer massenhaften Einbeziehung in alle gesellschaftliche Bereiche. Heike B. Görtemaker setzt sich hier auch mit der These von der »unpolitischen Hausfrau«, insbesondere im Zusammenhang mit den Frauen der NS-Führer, auseinander.

Beim Versuch, politische und ideologische Orientierungen der verschiedenen Personen, vor allem im Familien- und Freundeskreis der Eva Braun zu ermitteln, geht die Autorin zunächst auf die Quellenlage ein. Originalakten von Hitler und Eva Braun sind auf deren ausdrückliche Weisung hin vernichtet worden oder gingen verloren. Die Echtheit des nur wenige Seiten umfassenden und zeitlich begrenzten Tagebuchs der Eva Braun wird von Spezialisten angezweifelt. So bleiben, neben den »Goebbels-Tagebüchern« und fragmentarischen Nachlässen einiger Nazigrößen Zeitzeugenberichte, die im Wesentlichen nach 1945 entweder im Zusammenhang mit Entnazifizierungsverfahren oder in Form von Autobiographien entstanden. Da nach dem Krieg aus Gründen des Selbstschutzes Wert darauf gelegt wurde, enge Beziehungen zu Hitler und Eva Braun herunterzuspielen, sind deren Aussagen häufig fragwürdig.

In kurzen biographischen Skizzen beschreibt Görtemaker Frauen wie Magda Goebbels, Ilse Heß und Margarete Himmler, die Eva Braun umgaben, sehr unterschiedlichen Milieus entstammten, mehr oder weniger fanatisch die faschistische Ideologie mit propagierten und teilweise in der Öffentlichkeit an der Seite Hitlers die Rolle der First Lady übernahmen. Vor der Öffentlichkeit verborgen, spielte sich hinter den Kulissen hingegen ein großbürgerliches Leben ab, das dem propagierten Frauen- und Familienbild der Nazis grundsätzlich widersprach. An diversen Beispielen aus dem Zusammenleben von Hitler und Eva Braun widerlegt die Autorin den von Hitler selbst sowie Goebbels vor der Öffentlichkeit inszenierten »Einsamkeits- und Absonderungsmythos«, der behauptete, der »Führer« habe privatem Glück entsagt, da sein »ganzes Sinnen und Trachten« dem geknechteten und missachteten deutschen Volk gehöre«.

Aus der unzureichenden Quellenlage ist nicht eindeutig zu erschließen, sondern nur zu vermuten, was Eva Braun und der sie umgebende Frauenkreis von den Kriegsvorbereitungen und den Verbrechen des deutschen Faschismus im späteren Kriegsverlauf wussten und wie sie darauf reagierten. Die Autorin schließt sich der Auffassung an, dass Frauen von NS-Größen nicht länger als bloß Abhängige und Angepasste zu betrachten, sondern als aktiv Handelnde, »Komplizinnen« oder sogar als »Mittäterinnen« zu begreifen seien. Die Frauen stimmten der sie täglich umgebenden »mörderischen Realität« passiv oder aktiv zu und besaßen zumeist kein Unrechtsbewusstsein.

Das lesenwerte Buch besticht durch eine große Detailfülle, wenngleich es auch nicht den angekündigten Neuigkeitswert bringt. Es wird keine wesentlich neue Sicht auf Hitler und Eva Braun geboten. Im Bemühen, möglichst viele biographische Details und Fakten im Text unterzubringen, ging das stringente Urteil über das private und politische Leben der Eva Braun etwas unter.

Man kann jedoch der Autorin in ihrer Einschätzung zustimmen, dass Hitler selbst seiner Freundin eine undankbare Rolle zugewiesen hatte, die weniger ihrem eigenen Unvermögen entsprach als vielmehr die Ängste und mangelnde Souveränität eines Emporkömmlings offenbarte. Gefangen zwischen Macht und Ohnmacht, aber letztendlich entschieden handelnd, eitel und keineswegs ein hilfloses Opfer, sicherte sich Eva Braun dennoch einen, wenn auch unrühmlichen Platz in der Geschichte.

Heike B. Görtemaker: Eva Braun. Leben mit Hitler. C. H. Beck, München. 366 S., geb., 24,95 €.

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