• Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Gesinnung und Schwärmerei

AGENTENGESCHICHTEN

  • Boris Ponomarjow
  • Lesedauer: 2 Min.

Spannender als alle fiktiven Spionage-Thriller sind allemal die Geschichten, die es ganz real in Zeiten des Kalten Krieges gab. Nicole Glocke (Jg. 1969) hat die eines Ost- und eines Westagenten niedergeschrieben.

Peter Wolter machte nach einer Offiziersausbildung bei der Bundesmarine als Journalist Karriere bei den Nachrichtenagenturen ddp und dpa und avancierte schließlich zum Chef vom Dienst bei der Nachrichtenagentur Reuters. Die Quelle der HVA saß da an einer Topquelle. Abenteuerlust spielte für seine Entscheidung eine untergeordnete Rolle, Loyalitätskonflikte hatte er nicht angesichts der Tatsache, dass die Bundesrepublik von Leuten wie Theodor Oberländer, mitschuldig an der Ermordung tausender Juden, oder Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, regiert wurde. Er schätzte HVA-Chef Markus Wolf: »Er war eine Persönlichkeit, wie ich es erwartet hatte. Ein hochintelligenter Mann, der strategisch und zugleich kritisch denken konnte.« Der Gesinnungstäter Wolters beschaffte brisante Informationen aus dem Verfassungsschutz und dem Bonner Verteidigungsministerium. Wie er bei Verhören nach seiner Verhaftung offenbarte, hat er diese u. a. durch den rollenden toten Briefkasten »Katja« Ostberlin zukommen lassen. »Ich bin hin und wieder in den Express Paris-Moskau eingestiegen und habe das Geheimmaterial unter dem Waschtisch in der Toilette des Wagens 257 hinterlegt.«

Schon in jungen Jahren schwärmte Hannes Sieberer für Amerika; so ließ er sich Ende der 70er Jahre leicht für die militärische Aufklärung der USA, den Military Intelligence Service (MIS), rekrutieren. In deren Auftrag reist der Österreicher mehrfach in die DDR, die einen »katastrophalen Eindruck« bei ihm hinterließ: »Die Straßen befanden sich in einem schauderhaften Zustand ... Die Mangelwirtschaft empfand ich geradezu als beängstigend.... Ich spürte, wie ein unsichtbarer Druck auf den Menschen lastet.« Er wurde recht bald enttarnt, zu 15 Jahren Haft verurteilt und kam nach drei Jahren durch Agentenaustausch 1985 frei.

Sieberer hat sich mit seinem einstigen Gegnern längst versöhnt, mit ehemaligen HVA-Offizieren zwei Bücher verfasst: »Verheizt und vergessen« und »Als Agent hinterm Eisernen Vorhang«. Dieses Buch ist von anderer Art. Sein Reiz ist die Bipolarität zweier Lebensgeschichten aus einer bipolaren Welt.

Nicole Glocke: Im Auftrag von US-Militäraufklärung und DDR-Geheimdienst. Die Lebensgeschichten zweier gegnerischer Agenten im Kalten Krieg. Dr. Köster Verlag, Berlin. 272 S., br., mit CD, 19,80 €

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