• Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Das blaue Licht der Lagune

MICHAEL G. FRITZ: Miniaturen aus Venedig

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt Sehnsuchtsorte auf der Welt, mit denen jeder etwas verbindet, selbst wenn er noch nie dort gewesen ist. Venedig gehört dazu. Man kann sich hineinfallen lassen – mit den Augen, mit der Sprache, mit allen Sinnen. In der Literaturgeschichte gibt es so viele Vor-Prägungen zur Lagunenstadt, da muss einem heute schon etwas ganz Besonderes einfallen. Gerade dies gelingt Michael G. Fritz mit »La vita è bella«. Die Zeile eines Liedes, das durch die Gassen der Stadt ebenso wie durch die Textteile des Buches schweift. Hier wird der Mythos Venedig vorausgesetzt – und bewusst unterlaufen. Die literarische Form der Miniatur bietet alle Chancen, in gebotener Kürze und Präzision kleine Szenen zu entwerfen, Figuren im Stadtbild festzumachen, ohne überflüssige Floskeln. In sich geschlossene kurze Texte, die sich schließlich zu einem sinnlichen Ganzen montieren.

Die Sprache des Erzählers Michael G. Fritz wird an den schönsten Stellen beinahe lyrisch, sie wiegt sich wie das Wasser der Lagune selbst, folgt dem Auf und Ab im vibrierenden Rhythmus der Kanäle, Brücken, Inseln, der Palazzi und Torbögen, Cafés und Bars. Dazu Fotos in elegantem Schwarz-Weiß (Irene Daum), die keineswegs illustrieren, sondern eher reflektieren: Details der unerschöpflichen Schönheiten Venedigs.

Der Autor hat einige glückliche Wochen in der Stadt zugebracht, sie durchstreift zu allen Tageszeiten, hat sich dabei von der Signora beraten lassen, einer vornehmen alten Dame mit weißem Haar, aus jahrhundertealter Familie stammend. Sie weist ihn auf den Fischmarkt und in abgelegene Ecken, wo es in der Hitze auch übel riechen kann, allemal jedoch etwas zu sehen gibt, was den Gast entschädigt. Unversehens entdeckt er manches der galanten Geheimnisse, die La Serenissima zu hüten hat. Carlo Goldoni, der Dichter des goldenen Zeitalters, springt er nicht gerade von seinem Denkmalsockel, den Dreispitz unter dem Arm? Und war es hier, wo Hemingway stets abstieg, geschrieben hat und am Abend seinen Whisky trank? Auf seinen Wegen – zu Fuß oder im Vaporetto, den flinken Schiffen auf allen Wasserarmen – begegnet ihm die Erinnerung an den Vater, den toten Freund der Kindheitstage. Plötzlich ruft ihn eine vertraute Stimme von hinten an – wie kommt sie hierher, die Freundin aus einem längst vergangenen Leben? Der Geist von Thomas Manns schönem Knaben Tadzio, die Fama von Ezra Pounds Gedichten schwingen in seine Tagträume hinein. Übertönt vom Klang der Glocken hunderter Kirchen, überdacht von der Kuppel Santa Maria della Salute.

Michael G. Fritz findet Worte für das unvergleichliche Licht, das verschieden ist zu den Tages- und Abendzeiten, auf der Friedhofsinsel oder im Schatten zahlloser alter Gemäuer, das irrtänzelnde oder in allen Schattierungen von Blau schimmernde Licht der Lagune. »Sie will nur bewundert werden. Ich kann gar nicht anders.« Das bezieht sich auf eine attraktive junge Frau, meint aber genauso die Stadt selber, Venedig: La Serenissima.

Michael G. Fritz: La vita è bella. Miniaturen aus Venedig. Mitteldeutscher Verlag. 112 S., geb.,16 €

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