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  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Fortgesetzte Lektüre

HARALD GERLACH: Texte aus den Jahren 1972 bis 2000

  • Matthias Biskupek
  • Lesedauer: 3 Min.

In diesem März, der nach langem Winter endlich kommt, wäre Harald Gerlach siebzig geworden. Jetzt bietet die Reihe »Verlegtes wiedergefunden« eines kleinen, aber rührigen Berliner Verlages eine Auswahl Gerlachscher Texte von 1972 bis 2000, dem Jahr, bevor er starb. Die Witwe, Bettina Olbrich, hat die Sammlung herausgegeben, die langjährige Lektorin bei Aufbau, Angela Drescher, beriet bei der Textauswahl.

Er war Dichter, Erzähler und Essayist von Rang. Und ein Dramatiker, der selten gespielt wurde und heute kaum noch auf Dramaturgen-Merkzetteln steht. Für das Radio hat er in einer Zeit, als dieses noch Dichterexistenzen alimentierte, Herausragendes geleistet. Allein in den neunziger Jahren verfasste er Manuskripte für über achtzig Sendungen, blitzgescheit, klug recherchiert, immer unverfälscht Gerlachsche Sichten bietend: der Lebenswanderer und der Wiedergänger, der Dichter und die Wirren seiner Zeit, die Unangepassten.

Der Band zeigt den Dichter und den Erzähler in kleinen, feinen Proben. Mehr noch als in der Lyrik spürt man in der frühen Prosa die Anregungen eines Johannes Bobrowski: »Ein Name wäre zu nennen, mit der Einschränkung, daß es ein falscher ist, es könnte also unterbleiben.« Drei der Gedichte sind Erstveröffentlichungen, manche der hier gedruckten Erzählungen sind mir seit ihrer Lektüre vor Jahren noch in Erinnerung geblieben.

Gerlach hat besonders Thüringer Landschaft durchschritten und erforscht; der gebürtige Schlesier kam als Kind ins Grabfeld. Mit kaum 21 wandert er hungrig durch Italien und Frankreich; im Essay »Route Napoleon – Vom Verschwinden der Dinge« verrät er den Antrieb: »Im Alter von zwanzig Jahren hatte ich beschlossen, Dichter zu werden.«

Im Alter von vierzig war Gerlach ein Dichter mit Verdiensten, mit einer festen Anstellung am Theater und einem wichtigen Roman »Das Graupenhaus«. Mit sechzig war er einer der bedeutendsten Essayisten, der nach vielen Aufenthalten in Künstlerhäusern des Landes längst auch internationale Einladungen erhielt. Der Essay »Fortgesetzte Landnahme« erzählt vom Gang seines Lebens gen Westen. Nach Jahren in Südthüringen, in Erfurt und Rudolstadt, war er unweit von Heidelberg ansässig geworden. Das hatte mit dem Rundfunk dieses Bundeslandes zu tun und mit der »Umwandlung eines Mietshauses zum Spekulationsobjekt« nach '90 in Thüringen.

Ingo Schulze schrieb für den Band ein Vorwort, in dem er freimütig bekennt, dass ihm Gerlach bisher nur als Lyriker vertraut war. Deutschland hat in der Gerlach-Generation eine große Zahl hervorragender Dichter, man denke an die von Adolf Endler kreierte »Sächsische Dichterschule«. Einen Essayisten vom Range Gerlachs muss man lange suchen. Die neun Seiten »Woran man sich halten kann – Vom Umgang mit dem Zeitgeist« sollte man all denen zu lesen geben, die Tag für Tag das sogenannte Großfeuilleton mächtig gewaltig aufblasen. Gerlach veröffentlichte den Text 1992 – somit mag der Buchtitel zum guten Schluss hier stehen: »So ist alles gesagt«.

Harald Gerlach: So ist alles gesagt. Ausgewählte Texte aus den Jahren 1972-2000. Hg. v. Bettina Olbrich. Vorwort von Ingo Schulze. NORA Verlag. 168 S., brosch., 15 €

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