Reiner Hauch

»Das Käthchen von Heilbronn« am BE

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Märchen von einer bedingungslosen Liebe – schaurig und schön. Ein Femegericht tagt, der Himmel schickt wüste Gewitter und blütenreine Engel, ein Schloss brennt ab, Gift wird gemischt, Träume stehlen sich ins Wachsein, und unter einem Holunderbusch gedeihen geheimnisvolle Wahrheiten.

Heinrich von Kleists Ritterschauspiel »Das Käthchen von Heilbronn«, uraufgeführt vor fast genau zweihundert Jahren in Wien, ist eine in geradezu schmerzhaft schöner Sprache prunkende Dichtung voller Wunder und kruder Abenteuer. Käthchen, die zarte Jungfrau, folgt dem Grafen von Strahl durch alle Erniedrigungen bis zu schwindelnder Höhe, denn sie ist nicht des Waffenschmieds Friedeborn, sondern des Kaisers Kind, gezeugt unter einem Stern, »mild und kräftig«.

Nun ja, aber bis sich das herausstellt, gibt es ritterliches Gerangel mit vielerlei Pferdegetrappel und Waffenklirren, niederstürzende Brücken, juristische Intrigen, unverbrüchliche Treue und finsteren Verrat. Ludwig Tieck lobte das Ritterschauspiel als »ganz vom reinsten Hauch der Liebe beseelt«, Goethe diagnostizierte in Kleists Werk »verfluchte Unnatur« in einem »Gemisch von Sinn und Unsinn«.

Simone Blattner lässt sich von derlei Streitereien, die sich über die Zeiten ziehen, nicht beirren. Sie bringt das Märchen im Berliner Ensemble auf die Bühne mit entwaffnender Freundlichkeit, nimmt nichts und alles ernst, zaubert eine Leichtigkeit hervor, die alles verrückt Wundersame und bedrohlich Schreckliche überglänzt.

Die Menschen, die da versuchen, ihr Schicksal in Kleists fernem Mittelalter zu meistern, haben das Staunen nicht verlernt, sind Kinder geblieben, mit Neugier und Tapferkeit. Alain Rappaport baute eine Bühne, in die man hineinsieht wie in den schwarzen Schacht eines ausziehbaren Kamera-Objektivs. Ein Spukort mit Stufen und seitlichen Schlitzen, finster und bedrohlich auf den ersten Blick, und doch zugleich Tummelplatz für Abenteuer, tänzerisch-pantomimische »Schlachten« und allerlei Ulk.

Auch der Engel hat dort – im Untergrund! – Platz, wenn Käthchen unversehrt die Feuerprobe bestanden hat. In kreiselnde Bewegung kommt die Bühne nur, wenn die ritterliche Rangelei am Rhein ihren Höhepunkt hat. Plötzlich dann, Ruhe ist wieder eingekehrt, steht der Holunderbusch ganz gartentauglich und bescheiden vorn im Mittelpunkt des tiefdunklen Schachtes – und wenn das zauberische, von mancherlei Aberglauben belastete Gewächs seinen Traum-Dienst getan hat, wird es einfach weggetragen.

Solch milden Spott ohne rationale Rechthaberei leistet sich die Regisseurin nicht nur hier. Die Natur bleibt dabei lebendig, mit dunkel dräuenden und naiv fröhlichen Geräuschen aus Wald und Flur.

Mit sicherem Gespür für Rhythmus sind die Szenen des Schauspiels ineinander geschnitten. Es wird ohne trennende Pause gespielt, und immer behält die Lust am Märchen die Oberhand. Laura Tratnik gibt dem Käthchen im kurzen blauen Kleid zunächst verspielte Naivität, lässt das „Kind“ aber dann in Sicherheit, Ruhe und Abgeklärtheit hineinwachsen.

Diese Ruhe, diese lächelnde Gewissheit, mitunter nur vom Schatten eines Nichtverstehens verdüstert, gibt den besonderen Ton der Inszenierung vor. Sabin Tambrea als Graf vom Strahl vermeidet alles Heldische, Kraftbewusste. Er zeigt einen jungen Mann, der sich selbst zu finden versucht, offen und bereit ist für die Abenteuer, die ihm abverlangt werden.

Ursula Höpfner-Tabori hat den Mut, der hexischen Kunigunde von Thurneck eine hochgerüstete Unnatur zu geben. die so deftig und artistisch ist, dass die Bosheit fast verschwindet. Ruth Glöss (Brigitte), Axel Werner (Friedeborn) und Jürgen Holtz (Kaiser) sind die Alten im Gerangel um Liebe, Hass und Hochzeiten – und liefern punktgenaue Studien von Lebenserfahrung, mit einer kräftigen Beimengung von Ironie.

Besonders der um Würde ringende, köstlich wacklige Kaiser von Jürgen Holtz macht allein schon im heftig arbeitenden Gesicht einen Kampf durch, von majestätischer Verschlossenheit hin zum Menschlich-Allzumenschlichen – ein Solo von Format. Die Aufführung hat sich, nun seit einigen Wochen im Repertoire, ihre Frische und Unmittelbarkeit bewahrt.

Nächste Vorstellungen am 8. und 28. Mai:

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal