Eines Tages kamen Reiter in unser Dorf …

Die Geschichte des Sklavenhandels der Araber in Afrika harrt noch der Aufarbeitung

  • Claudia Altmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Hayrettin vom Volk der Oromo spielte mit den anderen Kindern seines Dorfes in Äthiopien Fangen, als alle plötzlich in eine lebenslange Tragödie verschleppt wurden. »Eines Tages kamen Reiter. Sie sahen anders aus als die Männer bei uns. Ihre Gesichter waren heller. Sie trugen Waffen. Sie nahmen uns gefangen.«

70 Jahre später legte Hayrettin Effendi, der bis 1918 der letzte Eunuch des letzten türkischen Sultans war, Zeugnis ab von seinem Leidensweg als Sklave, von Raub, Folter, Kastration, Tod. Es ist zugleich die Geschichte des wohl größten Völkermordes der Geschichte. Mehr als 20 Millionen Afrikaner wurden über 13 Jahrhunderte von arabomuslimischen Menschenhändlern versklavt. Drei Mal so viele Geraubte wurden auf dem Weg zu den Sklavenmärkten ermordet oder starben an Erschöpfung und Kummer auf den Transporten quer durch den Kontinent.

Von den unglücklichen Überlebenden gingen viele an den Folgen der systematischen Kastration zugrunde. Diese Verbrechen übersteigen in ihrer Dimension noch jene der europäischen Sklavenhändler, die zwölf Millionen Schwarzafrikaner über den Atlantik nach Amerika verschleppten.

Der senegalesische Anthropologe und Wirtschaftswissenschaftler Tidiane N’Diaye hat dieses leidvolle Kapitel des schwarzen Kontinents erstmals in einem Buch aufgearbeitet. »Der verschleierte Völkermord« behandelt ein Thema, das in der europäischen Wahrnehmung bisher so gut wie keine Rolle spielt und in der muslimischen Welt bis heute der Aufarbeitung harrt.

Mehr noch, die Sklaverei wurde in Saudi-Arabien erst 1962, in Mauretanien offiziell vor 30 Jahren abgeschafft. De facto besteht sie dort teilweise immer noch. In der sudanesischen Region Darfur dauern die Verbrechen unter den Augen der aufgeklärten Weltöffentlichkeit bis zum heutigen Tag an, dort, wo die Tragödie vor 13 Jahrhunderten begonnen hat.

So spannt der Autor denn auch den Bogen vom 7. Jahrhundert bis zur Gegenwart und beleuchtet Ursachen, Formen und Folgen dieses Genozids. Dies geschieht umfassend und ohne Tabus. Der afrikanische Widerstand wird daher ebenso benannt wie afrikanische Mittäterschaft. Selbst Muslim, belegt der Autor anhand von Zitaten die Positionen von Religionsstifter Mohammed, der jegliche Art der Erniedrigung verurteilte. Schonungslos stellt er aber auch dar, wie dessen Nachfolger für ihre Interessen – unter Missachtung der eigentlichen Prinzipien des Islam und unter dem Deckmäntelchen der Religion – die brutale Eroberung und Unterwerfung eines ganzen Kontinents betrieben.

N’Diaye stützt sich auf umfangreiche deutsch-, englisch- und französischsprachige Quellen sowie auf mündliche Überlieferungen. Das Buch ist angereichert mit zeitgenössischen Illustrationen und verfügt über eine umfangreiche Bibliographie. Allerdings pendelt der Autor in der Form zwischen wissenschaftlicher Abhandlung und Polemik. Dies tut indes der Bedeutung des Werkes als erste, in der Übersetzung von Christine und Redha Belakhdar deutschsprachig erschienene Darstellung zum Thema keinen Abbruch. Es sollte den Auftakt zu einer intensiven und nicht zuletzt unter höchst aktuellen Gesichtspunkten längst überfälligen Beschäftigung mit dem Völkermord in Afrika geben.

Tidiane N’Diaye: »Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika«, Rowohlt Verlag Reinbek 2010, 256 Seiten

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