Noch ein Michelangelo!

Eine Ausstellung in Rom feiert den Genius Caravaggio

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 5 Min.
»Grablegung Christi«, 1602-04
»Grablegung Christi«, 1602-04

Ein Randereignis des Anno Santo 2000 in Rom war die Eröffnung eines neuen Ausstellungszentrums im Marstall an der Piazza del Quirinale. Eine Veranstaltungsgesellschaft betreibt seither die »Scuderie del Quirinale« zusammen mit dem riesigen Ausstellungspalast auf der Via Nazionale. Hinter dem Rücken der sechs Meter hohen Dioskuren von den Thermen des Konstantin, die Pius VI. Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Quirinal aufstellen ließ, wächst seit Februar täglich die Besucherschlange bereits eine Stunde vor der Eröffnung der Caravaggio-Ausstellung die Salita di Montecavallo hinab. Von den Ereignissen zum 400. Todestag des lombardischen Meisters ist diese Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium das bedeutendste. Für die Feierlichkeiten wurde ein Nationalkomitee »per le Celebrazioni Caravaggesche des Quarto Centenaio della Morte di Michelangelo Merisi« berufen.

Mit dem Anspruch, nur die verbürgten Werke von des Meisters Hand zu zeigen, sind 25 Leihgaben aus St. Petersburg, Mailand, Berlin, London, Neapel, Messina, Dublin, Nancy und aus Nordamerika versammelt. Ist aber die Wiener »Rosenkranzmadonna« kein echtes Werk? Oder der »Tod der Jungfrau« im Louvre? Letzteres Bild hätte in Rom ein großartiges Gegenüber zur »Verkündigung« aus Nancy ergeben können. Aber der Besucher wird entschädigt durch die Darbietung einer großformatigen »Bekehrung des Paulus« aus römischen Privatbesitz.

In den Uffizien in Florenz sind die Räume mit Caravaggios Bildern fast immer geschlossen. In Rom sind ein »Opfer des Isaak« und ein »Bacchus« nun endlich einmal zu sehen. Letzterer ergänzt sich aufs Schönste mit dem Lautenspieler aus der St. Petersburger Ermitage. Der gleiche unheimlich dunkelhaarige Knabe blickt einem entgegen. In Amphore und Glas des Bacchus schimmert der Wein undurchdringlich dunkel wie Herzblut, so dunkel, wie die Trauben auf seinem Haupt und wie seine Augen und seine Brauen. Unzweifelhaft handelt es sich um eine einmalige Gelegenheit, diese Bilder, von denen einige eigens für diese Ausstellung restauriert wurden, im Zusammenhang wahrzunehmen. Die meisten von ihnen kommen freilich im Tageslicht ihrer üblichen Aufbewahrungsorte bei Weitem besser zur Geltung als in der gegenwärtigen Präsentation.

Die Lichtregie, in abgedunkelten Räumen allein die Gemälde gezielt zu beleuchten, 2008 mit Tizians in Venedig und unlängst in Brüssel mit El Grecos Malerei durchaus gelungen angewandt, führt nun in Rom zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Möglicherweise liegt es am Wechselspiel des leuchtenden Inkarnats mit den dunklen Hintergründen in Caravaggios Malerei, dass die Beleuchtungsstrategie diesmal versagt. Besonders im Hautton wirken alle Gemälde zu warm. Sie glühen wie späte Rembrandts. Die monumentale Härte der »Grablegung Christi« aus der Pinakothek des Vatikan versinkt in einer homogenisierten Farbtemperatur. Auch der siegreiche Amor aus Berlin kann sich dort bestimmter entfalten. Das zarte Stillleben aus der Ambrosiana in Mailand wird durch die Reflexionen des Goldrahmens wie von einem Nimbus überstrahlt. Die Darstellung des Früchtekorbes, der auf einer Tischplatte an der unteren Bildkante aufsitzt, gilt als frühestes Stillleben der italienischen Malerei und wurde das erste Mal überhaupt außer Haus geliehen.

Die gestalterische Unsicherheit setzt sich im Katalog fort. Doppelseitige Reproduktionen stürzen hinab in einen tiefen Bundfalz. Dafür wird jedes der Bilder gesondert von einer Koryphäe, darunter selbstverständlich auch deutsche Kunsthistoriker, in einem Essay eingehend erörtert. Die Spekulationen um die Person des Malers werden zugunsten seines verblüffenden Werkes in den Hintergrund verwiesen.

Zwei Stunden nach dem ersten Einlass ist das Geschiebe zwischen den Bildern so undurchdringlich geworden, dass nur ergebenes Ausharren Schritt für Schritt den Bildern nahe rücken lässt. In der schwankenden Menge stehen die adretten jungen Damen von der Aufsicht in knallroten Jacken, als ginge es zur Fuchsjagd. Und es geht tatsächlich furios zu auf den Bildern. Bewegtheit im Großen und Beweglichkeit des Details kennzeichnen die Kunst dieses Meisters. Die Federn auf den Hüten der »Falschspieler« aus Fort Worth (Texas) wippen mephistophelisch. Der Arglose schaut träumerisch in sein Blatt und glaubt, nur mit Fortuna zu handeln, während wie eine Rampe der Rücken des Zinkers ihn bestürmt. Dieser zieht hinterwärts aus seiner Pluderhose das falsche Blatt. Sein Kumpan schielt dem Opfer in die Karten und signalisiert Verrat. Leben hat auf diesem Bild nur der Ausgebeutete. Er ist der große unerschöpfliche Spender. Die Kalkulatoren und Spekulanten wirken in ihrer Angespanntheit wie irrlichternde Gespenster. Ihr Gegenüber dagegen ist einfach nur da. Er schaut, während sie arbeiten. Auf der riesigen »Anbetung« aus Messina stürzen die Hirten in einer Diagonale auf die im Stroh lagernde junge Mutter ein, wie die gierigen Alten auf die entkleidete Susanna.

Gegenüber der »Dornenkrönung« aus Wien, die vor einigen Jahren schon einmal in Berlin zu sehen war, hängt die dramatische »Grablegung Christi« aus dem Vatikan. Die Magdalena hat dort die selbe wunderschöne Nackenlinie wie auf dem Bild von ihrer Reue in der Galleria Doria-Pamphili. Dorthin ist »Die Ruhe auf der Flucht« am 22. März aus der Scuderie wieder zurückgekehrt. Der St. Petersburger »Lautenspieler« und die »Bekehrung des Paulus« aus Privatbesitz verlassen die Ausstellung im Mai und Juni. Die bestürzende »Geißelung« aus Neapel ist erst am 14. April eingetroffen. Durch die lange Laufzeit der Ausstellung wird der Wechsel gerechtfertigt.

Die Pathosgebärden der derben Bauerngestalten wirken gewaltig. Lessings Laokoon-Abhandlung über die Grenzen der bildenden Kunst werden durch diese Malerei widerlegt. Caravaggios herber Realismus übermittelt die Indolenz des Wirtes, seine Frau ist nicht weniger verständnislos, nur verbirgt sie es mit weiblicher Feinheit auf dem »Gastmahl zu Emmaus« aus der Mailänder Brera. Während die Judith dem Holofernes das Haupt abschneidet, widerspiegeln ihre Züge weiblichen Unmut über die Schwäche dieses Mannes, dem sie sich zur Rettung ihres Volkes hingegeben hat.

Dem Rom-Besucher sei angeraten, den Eindruck zu vervollständigen und zu vertiefen durch den Besuch der Kirchen S. Luigi die Francesi mit den Matthäus-Bildern und Sa. Maria del Popolo mit der »Bekehrung Pauli« und der »Kreuzigung Petri«. Nicht versäumen sollte er, die Originale in der Galleria Borghese als dem genuinen Caravaggio-Museum in Rom in Augenschein zu nehmen.

Scuderie del Quirinale, Rom, via XXIV Maggio 16, bis 13.6., So-Do 10-20, Fr/Sa 10-22.30 Uhr. Katalog

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