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  • Abgeordnetenwahlen in Tschechien

An den Kommunisten scheiden sich die Geister

Sozialdemokraten liegen in Umfragen vorn, brauchen aber Partner

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Über ein Jahr nach dem Sturz der Mitte-Rechts-Koalition unter Ministerpräsident Mirek Topolanek im Prager Abgeordnetenhaus beginnen heute in Tschechien Wahlen. Mehr als acht Millionen Stimmberechtigte sind bis Sonnabendmittag aufgerufen, die 200 Sitze im Unterhaus des Parlaments neu zu besetzen.

Gestern Abend um 21 Uhr standen sich der ehemalige Arbeitsminister Petr Necas von der neoliberalen ODS und der sozialdemokratische Parteichef Jiri Paroubek im Tschechischen Fernsehen ein letztes Mal in diesem Wahlkampf direkt gegenüber. Wenn sie wieder so agiert haben wie am Tag zuvor, dürften erneut die Fetzen geflogen sein. Die Live-Diskussion der Spitzenkandidaten am Mittwoch fand in reichlich aufgeheizter Atmosphäre statt und war vor allem von gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Selbst vor persönlichen Tiefschlägen schreckten die Politiker nicht zurück.

Vor allem aber warf man einander vor, das Land einst schlecht regiert und einen Schuldenberg angehäuft zu haben. Beide Politiker warnten alarmistisch vor einem »Bankrott wie in Griechenland«, sollte der Kontrahent gewinnen. Und jeder will nach einem Jahr der von »Experten« gebildeten Übergangsregierung unter Ministerpräsident Jan Fischer natürlich den »einfachen Bürger« künftig besser vertreten. Während die Konservativen aber auch rigorose Sparmaßnahmen fordern, verspricht die CSSD zuerst höhere Renten und Arbeitslosenhilfen. »Nur, angesichts eines Haushaltsdefizits von rund 5,3 Prozent wird der Sozialstaat nicht leicht zu finanzieren sein«, meinte dieser Tage das Magazin »Respekt«.

In den Umfragen liegt die CSSD des ehemaligen Premiers Paroubek deutlich vor der Demokratischen Bürgerpartei. Deren Ministerpräsident Mirek Topolanek war im März 2009, mitten während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden. Der parteilose Fischer, Leiter der Statistikbehörde, übernahm die Regierungsgeschäfte, und Präsident Vaclav Klaus setzte für Oktober einen vorgezogenen Wahlgang an. Da das Verfassungsgericht in Brno die Entscheidung jedoch kippte, dauerte es noch einmal über ein halbes Jahr, bis die Wahlen nun stattfinden können.

Noch immer haben die Sozialdemokraten, die zeitweise in Umfragen bei über 30 Prozent lagen, mit 27 Prozent einen klaren Vorsprung vor der ODS (22 Prozent). Für eine Alleinregierung reicht das nicht. »Daher könnten kleinere Gruppierungen, die aus der Enttäuschung über die beiden Volksparteien Kapital schlagen, zum ›Königsmacher‹ werden«, glaubt der Prager Politologe Jiri Pehe. Doch die Suche nach einer stabilen Koalition dürfte schwierig werden, schließlich brauche das Land nach langer Krise endlich eine mutige Regierung, wie die Prager Zeitung »Lidove noviny« am Donnerstag schrieb.

Als vor einigen Tagen eine sozialdemokratische Gesetzesvorlage zur Regelung der Beziehungen zwischen Politikern und Lobbyisten zur Abstimmung kam, passierte der Entwurf ohne Probleme das Abgeordnetenhaus Richtung Senat – dank der Stimmen von Kommunisten und Grünen. Aber die Grünen (SZ) drohen wie die Christdemokraten (KDU-CSL) an der Fünf- Prozent-Hürde zu scheitern. Und ein Bündnis mit der ungeliebten KP Böhmens und Mährens (KSCM) lehnen die Sozialdemokraten, die Tschechien schon zwischen 1998 und 2006 regiert haben, offiziell vorerst ebenso ab wie eine große Koalition mit der ODS.

Innerparteilich würde es wohl zu einer existenziellen Zerreißprobe führen, denn noch denkt die Mehrheit nicht wie der südböhmische Parteichef David Rath: »Wenn die Kommunisten auf der Ebene der Republik dieselbe Kompetenz zeigen, wie bereits in den kommunalen oder auch Bezirksvertretungen, sehe ich keinen Grund, warum sie nicht auch Regierungsämter ausüben sollten.« Zumindest der Duldung einer Minderheitsregierung durch kommunistische Abgeordnete hat Paroubek keine klare Absage erteilt. Immerhin kann die KSCM laut Umfragen mit über 13 Prozent der Stimmen rechnen.

Der langjährige CSSD-Chef Milos Zeman, der die Sozialdemokraten im Streit verlassen hat und von den Prager Medien schon mal zum »Oskar Lafontaine Tschechiens« erklärt wird, versucht derweil mit der neuen Partei der Bürgerrechte (SPO) ein Comeback und liegt bei Umfragen um sieben Prozent. Den Sprung ins Parlament könnten auch die konservative Formation TOP 09 um den früheren Außenminister Karel Schwarzenberg (72) und die bislang vor allem in Prag erfolgreiche populistische Wählerinitiative VV (Veci Verejne – Öffentliche Angelegenheiten) des ehemaligen Schriftstellers und Fernsehreporters Radek John schaffen. Mit prognostizierten 14 bzw. 11,5 Prozent der Stimmen dürften sie besonders für die neoliberale ODS bei der Partnersuche von Interesse sein. Nur hat John bisher immer erklärt, dass er keinesfalls mit TOP 09 in Koalitionsverhandlungen treten werde.

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