Alles wird besser, nichts wird gut
Alte und neue Songtexte von Werner Karma im Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf
2. Karma sagt selbst, dass sich Liedtexte nur ungern von den Musiken trennen lassen. So ist es: Lese ich einen Text, scheint der manchmal zu holpern und zu stolpern, stellt sich die dazugehörige Musik ein - als drückte ich auf Play - stimmt der Rhythmus, läßt er sich flüssig lesen, besser noch singen. Wie gute Freunde, die man nach Jahren wiedertrifft und mit denen man spricht, als hätte man sich nie aus den Augen verloren, so gegenwärtig und so nah sind mir die Lieder. Wie Sandmann, Schlagersüßtafel, ABV und Friedensfahrt gehören sie zu meinem Leben vor Kehrtwende und Reißaus in die Vergangenheit - die Lieder von Silly und CITY und der Pension Volkmann, die von Karls Enkel sowieso.
3. Texte, von denen ich die Vertonung und Interpretation nicht kenne oder von denen es noch keine gibt, lesen sich anders. Sie sperren und zieren sich, als scheuten sie sich so nackt und musikalisch unbehaust ans Tageslicht. Mache ich mir die Mühe und suche einen passenden Rhythmus, öffnen sie sich und werden geschmeidiger. Aber auch dann sind die Texte ganz und gar nicht gefällig. Sie wollen es so wenig sein, wie ihr Autor oder seine widerborstigen Nachtigallen. Es lässt mich dann doch nicht ruhen, ich krame die alten Platten vor: »Liebeswalzer« und »Die Gefühle«. Sie klingen kein bisschen verstaubt, denn »alles wird besser, nichts wird gut«. Eine Textzeile, die bei ihrem Erscheinen für Furore sorgte. Auch die Zeile »Satt zu essen und 'nen Ausweis in der Tasche, der was gilt« steht heute nach wie vor ihren Mann. Zwar ist der Akzent von Ausweis auf satt verschoben, aber nach wie vor sind es die Dinge, die nicht durch den Magen gehen, die uns auf den Magen schlagen. Wichtiger als Sonnenuntergänge ist Karma der genaue Blick auf Soziales. Karma schönt nichts, er ist unbestechlich und unerbittlich mit seinen Helden, und konsequent führt er Geschichten ihrem oft bitteren Ende entgegen. Ein Beispiel par excellence: der Schluss von »Kinder machen«. Schon vor seinem Studium hatte er etwas Philosophisches an sich und war immer gut für überraschende und doppelbödige oder paradoxe Formulierungen: »Und der alte Fritz von Preußen / reitet auf der Stelle los«. Dass die Texte nie so einfach sind, wie sie daherkommen, macht ihre Qualität aus. Sie setzen sich fest und irgendwann, bei passender Gelegenheit...
4. Im Herbst 76 - ich war beim Windeln waschen - kam Werner und fragte, ob ich Lust hätte in einer Gruppe Bass zu spielen, so mit eigenen Texten und Musiken. Ich fragte: »Wann?« - »Sofort!«. Karls Enkel. Werner schrieb Texte, organisierte, fuhr und reparierte Autos und lernte mit Ton- und Lichttechnik und Funktionären verschiedenster Couleur umzugehen. Für das eine wie das andere war sein Philosophiestudium durchaus von Nutzen. Es gibt nicht viele Texter deutscher Zunge, die ähnlich gebildet sind, einen ebenso weiten Blick haben und das Geschäft von der Pieke auf erfahren haben. Trotzdem - oder gerade deshalb - sind seine Texte, er sagt das selber, eher aus dem Bauch geschrieben.
5. Karma ist ein Raubein in seinen Texten, vor Ort. Handfest, nennt man im Lande solche Leute. Das gar zu Feine ist ihm ebenso abhold wie Kopflastigkeit, die ihm ein Gräuel ist. Er schreibt nicht um den heißen Brei herum, seine Ausdrucksweise ist oft drastisch. Um so mehr überraschte die Zusammenarbeit mit Veronika Fischer oder Edo Zanki. Er fand dort andere Töne, ohne sich zu verbiegen. Er ist klug zurückhaltend ohne sich aufzugeben, eine Voraussetzung um Texte in fremde Münder zu legen.
6. Mit dem jetzt vorliegenden Band machte er sich ein Geschenk zur Hälfte des Lebens. Er schrieb sich ein Vor- und ein Nachwort. Im Vorwort beschreibt er seine Arbeitsweise, im Nachwort zieht er Zwischenbilanz. Das ist nicht nur amüsant, es schreibt auch, welche Verletzungen es gab und man spürt, wie tief diese noch sitzen. So zum Beispiel, wie bei einer Produktionsabsprache für ein neues Silly-Album in Westberlin anno 1987 aus einem Wir ein Ich wurde. Werner schreibt unpathetisch, mit Abstand und mit Selbstironie, und so unterscheidet sich der Text wohltuend von vielen Konvoluten seiner Kollegen. Er läßt ahnen, welche Tänzchen es früher um Lieder und Texte gegeben hat und dass es heute, obwohl sich vieles verändert hat, nicht anders geworden ist. So manche Schnurre macht schmunzeln und manche wäre bestimmt hinzuzufügen, noch manche Geschichte zu erzählen, noch manches ins rechte Licht zu rücken, so daß wir es richtig sehn.
7. Komm, mein großer Träumer /Komm, ruh dich aus/ Hat dich die Meute wieder geschafft?/ Haß und Dummheit hau'n dich hin/ Deine Haut ist so dünn/ Woher nimmst du nur immer die Kraft?
Zwischen den Träumen, den großen und den kleinen, und dem Hass und der Dummheit liegt die Spannung, die dem Texter die Anstöße für die Arbeit gibt: er muß es tun!
8. Karma, drück dann mal auf Play! Wir brauchen weiter gute Texte in unserer Sprache.
Werner Karma: Alles wird besser, nichts wird gut, Alte und neue Songtexte 1976-2001. Mit einem Essay des Autors »Halbzeit für Insulaner«. Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf. 350 S., Paperback, 15,90 Euro
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.