Die dritte Leiche

Ernesto Mallo: Mord und Militärdiktatur

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Hinter einer Wellblechhütte am Rande von Buenos Aires ein junger Mann und eine junge Frau – hingerichtet, Comisario Lascano sieht es gleich. Mehrere Schüsse in den Kopf, das war die Handschrift der Mordkommandos. Da darf er sich als Polizist nicht einmischen. Aber die dritte Leiche passt nicht dazu: ein älterer Mann in schwarzem Anzug, der Kopf unversehrt, ein Blutfleck in Höhe seines Magens. Hat ihn der Mörder neben die beiden Exekutierten gelegt (doch wie sollte er von ihnen wissen?), um Ermittlungen zu verhindern? Sind es eben nicht zwei, sondern drei Tote, was soll's, könnte sich Lascabo sagen. Aber das ginge ihm gegen die Ehre.

Der Krimi von Ernesto Mallo, sein erster und gleich mit Preisen bedacht, spielt in den 70er Jahren während der argentinischen Militärdiktatur. Nachweisbar wurden damals 2300 Menschen ermordet, 10 000 wurden verhaftet, 20 000 bis 30 000 Menschen verschwanden spurlos. Staatsterror. Da kann ein Detektiv eigentlich seine Arbeit niederlegen. Wenn er täglich mitansehen muss, wie Leute aus ihren Häusern geholt und in Autos gestoßen werden – in diesem Roman gibt es mehrfach solche Szenen –, wenn er weiß, was mit ihnen geschieht, er sogar die Orte der Foltergefängnisse kennt und nichts, aber auch gar nichts unternehmen kann, um die Morde zu verhindern, dann ist er doch von vornherein in seinem Vorsatz gescheitert, »alles zu tun, damit diese Welt gerechter würde, und sei es nur ein bisschen«.

Darin zeigt sich, auf die Spitze getrieben, ein Grundproblem der Existenz. Denn an diesem »Bisschen« hält sich der Mensch nun mal fest, der, wo und wann auch geboren, kaum Zugriff auf das Ganze hat. »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« – aus seiner Sicht und Erfahrung mochte Adorno recht haben, und dennoch bleibt oft nichts anderes übrig, als ein richtiges Leben im falschen mit vielen Kompromissen immer wieder neu zu versuchen. Von diesem Drama handelt der Roman.

Ansonsten: die bewährten Krimizutaten. Ein aufrechter Detektiv mit persönlichem Kummer und ein Mädchen für den Kommissar (brisanterweise eine Widerstandskämpferin). Ein Mann, der sich ganz legal bereichert, und andere, die davon ihren Anteil haben wollen. Jemand fühlt sich von einem Geldverleiher erpresst und tötet – das gab es schon oft in der Kriminalliteratur. Die Besonderheit ist hier, dass ein Verbrecher sich unangreifbar wähnen kann, wenn er einen hohen Militär zum Freund hat. Einen staatlich legitimierten Mörder sozusagen, den man allerdings nicht zu sehr nerven darf. Denn einer wie er, sonst wäre er nicht in dieser Position, kennt keine Verwandten.

Wer wer ist, lässt sich schnell herausfinden. Der Leser braucht nicht lange zu rätseln, was geschehen ist. Manchem mag der Schluss unerwartet erscheinen, aber er ist folgerichtig. Sagen wir es so: Es ist ein Roman über die argentinische Militärdiktatur; der Autor bediente sich der Form der Detektivgeschichte. Auf diese Weise plant Ernesto Mallo, wie der Verlag mitteilt, eine ganze Buenos-Aires-Krimiserie, in der sich verschiedene geschichtliche Epochen spiegeln »und die einen tiefen Einblick in die politischen Realitäten des Landes gewährt«.

Ernesto Mallo: Der Tote von der Plaza Once. Roman. Aus dem argentinischen Spanisch von Matthias Strobel. Aufbau Verlag. 216 S., geb., 19,95 €.

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