Erzählung vom Küchenmädchen

»Der kaukasische Kreidekreis« von Brecht am Berliner Ensemble

  • Christoph Funke
  • Lesedauer: 4 Min.

Im viel geschmähten, fleißig missverstandenen Vorspiel zum »Kaukasischen Kreidekreis« beschwor Brecht 1954 die Hoffnung auf die Mütterlichen, die guten Fahrer, die erfinderischen Bauern, und feierte schöpferische, uneigennützige Arbeit für die Gemeinschaft. Es war der schöne Traum vom blühenden Garten einer neuen, menschlichen Gesellschaft. Allerdings, Brecht ließ Skepsis walten. In einem ebenfalls 1954 geschriebenen Nachspiel wird den Vertretern des forschen Fortschritts, die weniger Einfallsreiche schlicht enteignen und ein Paradies auf fremdem Land schaffen wollen, entgegengehalten: »Gnade euch Gott, wenn es nicht ein Garten ist«, der da entsteht.

Diese Skepsis nimmt Manfred Karge in seiner Inszenierung am Berliner Ensemble auf. Einfaches Leben bringt er auf die Bühne, schlichten, schmucklosen Alltag, der sich gegen böse politische Wirren verteidigen muss. Holzschnitthaft derb ist das alles, erinnert an alte Bauernkalender. Artifizieller Ehrgeiz bleibt draußen. Auch gibt es kaum Farben auf der in den Zuschauerraum vorgebauten Bühne. die einem dunklen Zelt ähnelt, mit einer magisch leuchtenden Tür im Hintergrund. Brennt und verlischt da eine riesige Kerze, droht ein Henkerbeil? Karge, der auch das Bühnenbild schuf, verweist auf die Gefahr, die immer da ist, wenn Festgefügtes in Bewegung kommt. Keine Geschichte von fernher.

Der Erzähler, der als Erster die Szene betritt, kommt aus dem Heute. Er weiß um Anfänge und Enden, er ist fast immer da, er mischt sich ein, er hält alle Fäden in der Hand, er vertritt uns, die Zuschauer. Ruhig, einfühlsam holt er die Abenteuer des Küchenmädchens Grusche aus dem Dunkel, die ein Kind, nicht ihr Kind, aus politischen Wirren rettet. Und die Geschichte des Armeleuterichters Azdak, Schöpfer einer kurzen Zeit »beinah der Gerechtigkeit«. Karge macht den Erzähler zum Magier.

Das Vorspiel vom Wettbewerb zweier Kolchosen um Land trägt er monologisch vor, gerafft, mit Ironie auch. Dann ändert Karge die Struktur des Stückes. Er hebt die Trennung zwischen Grusche- und Azdak-Geschichte auf, schneidet die Szenen ineinander, erreicht einen ruhigen Fluss der Handlung, ohne Brüche aufzuheben.

Gepränge auf der Bühne, mit Handlungsorten und Kostümen, gibt es nicht, dafür Zweckmäßigkeit, bewusste Beschränkung auf das Notwendige. Paul Dessaus Musik kommt leise fast, behutsam in die Vorgänge hinein. Und auch den Figuren ist Einfachheit verordnet, Dienst am Text. Eine Liebe voller Zauber, wie sie zwischen Grusche und ihrem Soldaten schüchtern hervorkommt, offenbart sich nüchtern, zweckmäßig. Auch die Sinnlichkeit des Azdak verliert ihre rauschhafte Außerordentlichkeit. Brechts Aufführung von 1954, mit der das BE Einzug ins Theater am Schiffbauerdamm feierte, wird als unerreichbares Vorbild in ihrer detailversessenen, schönheitstrunkenen Märchenhaftigkeit gleichsam zur Seite gestellt. Karge wechselt vom poetischen Zauber zu ernsthafter Arbeit. So will er Freiheit gewinnen gegenüber den Erinnerungen an frühere Aufführungen mit herausragenden Darstellern, nicht nur im BE.

Sein Trumpf dabei ist der Erzähler. Norbert Stöß spielt einen Klugen, einen vorsichtig Verschmitzten, mit raunendem Ton und ganz und gar vorsichtiger, zurückhaltender Didaktik. Dieter Montag (Azdak) verzichtet auf Bedeutungsschwere, sein Armeleuterichter ist ein Erster unter Gleichen, zurückgenommen, fast unauffällig. Aber in der Kreidekreisszene lässt Montag seinen Azdak zum Volkstribun wachsen. Mit Genuss und Kraft und Leidenschaft gibt sich der gerade dem Galgen Entronnene an eine letzte Chance hin, ein paar Dinge zum Guten zu wenden.

Das Furchtsame, Verunsicherte, Asoziale des Trunkenboldes stutzt Montag zurück. Anna Graenzer, die Grusche, versucht besonders angestrengt gegen große Vorbilder anzuspielen. Der Anmut des Küchenmädchens vertraut sie nicht, bleibt herb, spröde. Aber ihre junge, unauffällige Frau zeigt auch die Fähigkeit, praktisch zu handeln. Getragen wird die Aufführung von einem großen Ensemble, in dem auf herausragende Einzelleistungen Verzicht geleistet wird.

Die besondere Geschichte, die da klar und fesselnd über gesellschaftliche Verwerfungen erzählt wird, stößt beim Publikum auf gebannte Aufmerksamkeit. Brecht ist tot? Professionelle Nörgler wollen es so haben. Sie sollten noch einmal darüber nachdenken.

Nächste Aufführungen: am 11. und 17. Juni

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