Die Lehman-Pleite deckte die Lücken auf

Banken zockten sich selbst in die Krise, doch neue staatliche Vorgaben kommen kaum voran / Teil 1

Am 26. und 27. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zum nächsten G20-Gipfel im kanadischen Toronto. Kommt die Regulierung der Finanzmärkte nun endlich entscheidend voran? ND beleuchtet in einer Serie wichtige Mosaiksteine bei dieser Mammutaufgabe.

Als die US-Investmentbank Lehman Brothers im Spätsommer 2008 als Folge von Fehlspekulationen zusammenbrach, schwelte die Bankenkrise schon über ein Jahr. Auslöser war das Platzen der Spekulationsblase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt gewesen. Die Häuserpreise gaben nach, die Zinsen stiegen, viele Bürger konnten ihre Hypothekenkredite nicht mehr bedienen. Die Zahlungsausfälle trafen nicht nur Hypothekenbanken, die zu leichtsinnig Kredite an Schuldner niedriger Bonität vergeben hatten, sondern auch viele »normale« Banken rund um den Globus. Die Kreditgeber hatten ihre Forderungen an andere Geldhäuser weiterverkauft, um ihr Risiko zu minimieren. Diese bündelten die Kredite zum Teil neu und verkauften sie in Form von hypothekenbesicherten Wertpapieren ihrerseits weiter (»Verbriefung«). Zahlreiche Banken wie die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB oder die Landesbank Sachsen gründeten, um hier mitzumischen, sogenannte Zweckgesellschaften (»Schattenbanken«), die außerhalb der Bankbilanz und staatlicher Finanzaufsicht agierten sowie kaum eigenes Kapital hatten. Um die Wertpapiere kaufen zu können, wurden kurzfristige Kredite aufgenommen, für deren Bedienung die Mutterhäuser garantierten.

Als der US-Immobilienmarkt in die Krise steuerte, fiel dieses Kartenhaus nach und nach zusammen. Baufinanzierer gingen pleite, Banken mussten immer mehr Eigenkapital bereitstellen, um den Wertverfall der Hypotheken-Papiere bilanztechnisch auszugleichen, Zweckgesellschaften griffen auf Garantien ihrer Mutterhäuser zurück. Erste staatlich unterstützte Rettungsaktionen wurden nötig.

Die Pleite des Giganten Lehman Brothers verschärfte die Probleme zur Systemkrise. Banken liehen sich kein Geld mehr, da niemand wusste, wie zahlungskräftig die anderen noch waren. Um den Blutkreislauf des Kapitalismus in Gang zu halten, stellten Zentralbanken gigantische Geldsummen bereit, zahlreiche Großbanken in den USA und Europa erhielten Regierungsgarantien oder wurden teilverstaatlicht.

Die Krise machte Lücken in den staatlichen Vorgaben für Banken deutlich, Folge der Deregulierung seit den 80er Jahren: Diese ermöglichten ein mangelhaftes Risikomanagement, fehlendes Eigenkapital in Krisenzeiten und das unkontrollierte Zocken von »Schattenbanken«. Unter den G20-Staaten herrscht seit dem ersten Finanzgipfel vom November 2008 Konsens, dass die Regeln für Banken reformiert werden müssen, damit sich solche Krisen nicht wiederholen. Doch die längst wieder aktive Bankenlobby versucht, strenge Vorgaben zu verhindern. Ihr Argument: Dies würde die normale Kredittätigkeit behindern und so der Wirtschaft insgesamt schaden.

Beschlossen ist bislang wenig. Klar ist, dass sich die Managervergütung mehr an langfristigen Zielen orientieren soll als am kurzfristigen Gewinn. Die zentralen Maßnahmen sind dagegen auf der langen Bank. Bis Ende dieses Jahres sollen strengere Eigenkapitalanforderungen stehen, die – um den fragilen Konjunkturaufschwung nicht zu gefährden – erst bis Ende 2012 von den Staaten umzusetzen sind. Das Baseler Komitee für Bankenüberwachung, in dem Experten von Notenbanken und Aufsichtsbehörden sitzen, hat im Dezember 2009 erste Vorschläge zu dieser komplexen Materie erarbeitet. Diese beinhalten Vorgaben, woher Banken ihr Eigenkapital nehmen dürfen, die Einführung von Obergrenzen für den Verschuldungsgrad und einen »antizyklischen Kapitalpuffer« für schlechte Zeiten.

Linke Ökonomen halten solche Maßnahmen für nicht ausreichend. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz etwa fordert, Megabanken zu zerschlagen, so dass sie keine Systemrelevanz für sich mehr beanspruchen können, die Staaten im Pleitefall zum Eingreifen nötigt. Zumindest sollten herkömmliche Bankaktivitäten wie Kreditvergabe und Spareinlagen-Verwaltung vom riskanten Investmentbanking getrennt werden. Sondersteuern sollten dem Sektor Geld entziehen, mit dem sonst herumspekuliert werden könnte. Weitere Forderungen von links betreffen die Schließung der Schattenbanken und die Verstaatlichung bzw. Vergesellschaftung der wichtigen Geldhäuser.


Lexikon

Ohne Eigenkapital läuft bei Banken nichts. Eine ausreichende Summe von Grundkapital, Rücklagen oder Gewinn ist Voraussetzung, um Bankgeschäfte tätigen zu dürfen. Eigenkapital ist Grundlage für Expansion und gleichzeitig Risikopuffer. Banker möchten über die kostbare Ressource frei verfügen, aber die Finanzaufsicht hat dem Mindestanforderungen vorgeschoben. Für jeden Kredit muss eine Bank Eigenkapital (im Schnitt acht Prozent der Kreditsumme) zurückhalten – als Absicherung gegen potentielle Ausfälle.

Da Aktionäre eine immer höhere Eigenkapitalrendite (Gewinn in Relation zum Eigenkapital) wünschen, greifen Banker auch zu hochriskanten Geschäften. Sie kaufen auf eigene Rechnung Wertpapiere mit wenig Eigenkapital, aber unter hohem Einsatz von Fremdkapital (aufgenommenen Krediten). Steigen die Papiere im Kurs, schießt die Eigenkapitalrendite in die Höhe. Fallen die Kurse, kann die Existenz der Bank bedroht sein. ND

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