Von der Balance der Bilder

Leipzig: Neo Rauch im Gespräch zur Retrospektive »Begleiter« anlässlich seines 50. Geburtstags

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 5 Min.
»Die Krönung« I, 2008 (Ausschnitt)
»Die Krönung« I, 2008 (Ausschnitt)

Es ist Halbzeit. Museumschef Hans-Werner Schmidt, der das Podiumsgespräch mit dem Maler Neo Rauch im Leipziger Museum der bildenden Künste leitet, meint die Ausstellungsdauer. 40 000 Besucher hatten zu diesem Zeitpunkt die opulente Bilderschau gesehen. In die Münchner Pinakothek kamen zur Parallelausstellung bereits 90 000. Wieder ein sportlicher Gedanke: Man muss in der zweiten Halbzeit das Heimspiel forcieren! Anpfiff sozusagen mit einem Künstlergespräch. Wer könnte nun besser die Rätsel lösen, die den zunehmend figurendichten Bildern innewohnen, als der Künstler selbst. Will er das? Er sagt: »Wenn ich meine Malerei mit Verbalkaskaden überziehe, muss ich achtgeben, dass ich sie nicht beschädige.« Dann aber erlebt man einen entspannten Neo Rauch – witzig und pointiert. Mal salopp, dann episch steht er Rede und Antwort und begeistert über die Malerei hinaus als formenreicher Rhetoriker sein Publikum.

In Leipzig hängen Gemälde wie »Die Krönung I«. Pink, Gold, und Blau bilden in Verbindung mit einem totenbleichen Grün Farbkaskaden, die an El Greco oder Matthias Grünewald erinnern. Wie entsteht so ein Bild? Als pure Malerei! »Ich beginne als informeller Maler«, ist die polemisch angehauchte Antwort. Erst die Farbräume erzeugen auf der Leinwand eine »vitalisierende Wirkung«, die eine Geschichte möglich macht, erzählt der Künstler, der seine Arbeiten augenzwinkernd einteilt in die Gruppe der hohen Würdenträger oder der Generalfeldmarschälle und jene, die er als »Gefreite« bezeichnet. »Die können ja gute Kerle sein, sind aber eben von geringerem Stand«, wie etwa ein stilles Selbstporträt als Bassgitarrist oder der »Fellwestenträger«.

»Die Krönung«, augenscheinlich ein hoher Dienstgrad, ist belebt durch eine spukhaft düstere Hinrichtungsszenerie, deren beängstigende Spannung sich ebenso leicht aufzulösen vermag wie ein Kartenhaus zusammenfallen kann. Die Lesart ist dem Bild gleich eingeschrieben. »Der Aufstand« lautet der Titel eines weiteren Gemäldes. Derweil sich der Künstler in ein riesiges Bett ins Bildzentrum platziert, werden Farbwülste – Primärfarben aus dem Repertoire der Moderne? – als Molotowcocktails durch die Gegend geschleudert und ein Monster, wie aus dem Atelier Jonathan Meeses entsprungen, thront keck auf einem grauen Sessel neben dem Schlafenden. Hier tropft nicht wie im Spitzwegbild Wasser durch die Decke eines romantischen Künstlermilieus, hier toben Albträume immerwährender Bilderstürmerei über die Leinwand. Oder sind Brüche und Selbsterfindung gemeint?

»Die Farbe«, so noch einmal der O-Ton, sei die »Aufzuchtstätte« (man glaubt Peter Sloterdijk zu hören) »für das, was ich ansiedeln möchte«. Da findet man im überreichen Oeuvre des Leipzigers disparate Kostümfiguren, Revolutionäre, Henker, Feuerwehrleute, Forscher, Agitatoren, Selbstmordattentäter, Fliehende, Galeristen, Vorortgestalten oder Gärtnerinnen. Im gerade 2010 entstandenen Gemälde »Unter Feuer« explodiert ein Interieur in Grau, Zinkgrün und schrillem Gelb, derweil das Bildpersonal in Agonie und Narzissmus verharrt. Bildstoff gibt es reichlich und der Berserkermaler in blauem Anzug und weißem Hemd nebst Einstecktuch speist die Anwesenden mit Basiswissen: »Die Malerei ist zuständig für das Nichtverbalisierbare«.

Der Idealfall eines Besuchers entdeckt genau wie der Maler selbst immer neue Räume nebeneinander existierender Wahrheiten, er fühlt eine vorgewittrige Stimmung, ein lustvoll – bedrängendes Unbehagen und entwickelt Neugierde, etwas, das ihn vorantreibt. Die Suchrichtung geht gleichermaßen auch nach innen. Sie führt in die Tiefe des eigenen Seelenlebens, welches sich durch die Zeit speist. Nein, als Jünger-Leser und Nietzschejaner meint Rauch nicht den Zeitgeist. Für diesen habe er früher gearbeitet aus einem »Dazugehörenwollen« heraus. Den Zeitgeist gilt es zu überwinden. Er fungiere maximal dekadenweit. Es geht um größere Bögen. Neo Rauch skizziert sein philosophisches Konzept als Vorstellung einer Gleichzeitigkeit. Es visioniert die Ausdehnung der Zeit ornamenthaft in alle Richtungen, raumgreifend, gegenwärtig. Alles in Wiederkehr und Parallelität, dies natürlich von einem anderen Horizont aus gedacht, aus einer anderen Galaxie her betrachtet. Und mit Alltagswitz: »Ich habe schon Napoleon im Porsche vorbeifahren sehen.« Der Dreispitz begegnet dem Leipziger als Accessoire der allgegenwärtigen Traditionsvereine.

Seinem Zeitdenken entspricht auch die Arbeitsweise des Künstlers, nie nur an einem Bild tätig sein zu können. Ein linearer Prozess sei ihm »unvorstellbar«. Es gibt nur das Arbeiten an mehreren Leinwänden zugleich. So entstehen ganze Bildfamilien und Interaktionen auch der so typischen und fremd-vertrauten Personnage.

Ist Rauch ein Surrealist? »Ich kann nicht so heftig Widerrede führen, wenn jemand meint, ich lasse mich in die Surrealistenkiste einpferchen«, sagt er mit Bezug auf die Werkankäufe durch ein prominentes Sammlerehepaar. Und weiter: »Surrealismus« sei eine Art Mutterkuchen, mit dem er seit seinem vierzehnten Lebensjahr und bis heute fest verbunden sei. Entscheidender aber ist, dass Anteile unterschiedlicher Bildstrategien in den Gemälden ausbalanciert werden, dass Comicelemente, Spuren des Irrationalismus und eine »Prise Surrealismus« sich im Zusammenspiel anfeuern.

Es sei ein innerer Magnetismus, der einen zu den Bildern hinzöge, die man malen muss, erklärt der Künstler und Hochschulprofessor. Das braucht Zeit und Entpuppungsphasen. Etwa die »Libuda-Phase«, das Anstemmen gegen den Malerheros Heisig, die Bacon-Zeit (alle Frühphasenwerke hält er fest unter Verschluss).

Als vorsichtige Vision für eine Schaffenszeit nach seinem 50. sagt Neo Rauch, »Die verwaisten Baustellen der Väter, auf denen noch allerhand Gerät herumsteht, kann man ja auch noch einmal besuchen.« Bitte vorerst in Ruhe und ohne mediale Beobachtung!

Die Krönung für Ausstellungsbesucher: den so wortmächtigen gebildeten Neo Rauch reden zu hören – hier beim Künstlergespräch in Leipzig, das von Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt (l.) moderiert wurde.
Die Krönung für Ausstellungsbesucher: den so wortmächtigen gebildeten Neo Rauch reden zu hören – hier beim Künstlergespräch in Leipzig, das von Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt (l.) moderiert wurde.
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