»Wir müssen neue Modelle ausprobieren«

Der neue Vorsitzende der Grünen in NRW im Gespräch über die künftige Regierung mit der SPD

  • Lesedauer: 4 Min.
Sven Lehmann wurde am 19. Juni zum Landesvorsitzenden der Grünen von Nordrhein-Westfalen gewählt. Bereits seit 2006 ist der 30-Jährige Mitglied des Landesvorstands seiner Partei. Im Frühjahr verfasste er »Das Grüne Männer-Manifest« mit dem Titel »Nicht länger Macho sein müssen«. Mit Sven Lehmann sprach Lutz Debus.

ND: Herr Lehmann, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl. Werden sich nun die Grünen in NRW radikal verändern?
Lehmann: Das glaube ich nicht. Die Grünen haben sich bereits im zurückliegenden Wahlkampf als sehr geschlossene Partei gezeigt. Das wird sich durch meine Wahl zum Vorsitzenden nicht ändern.

Wie beurteilen Sie im Nachhinein das Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD, den Grünen und den LINKEN?
Ich persönlich habe das Scheitern sehr bedauert, weil ich gehofft hatte, dass das Wahlergebnis zu einem Politikwechsel durch eine neue Regierung genutzt werden kann. In den Gesprächen hat sich aber leider gezeigt, dass sich sowohl politisch wie auf der Vertrauensebene große Gräben auftaten.

In den Medien wurde nur von dem ungeklärten Verhältnis der LINKEN zur DDR berichtet.
Es gab auch andere Gründe. Wir konnten uns nicht auf ein verlässliches gemeinsames Regierungshandeln mit Erstellung eines Haushaltes und auch Kürzungen beim Landespersonal einigen. Wir Grüne möchten zum Beispiel beim Landesstraßenbau Stellen abbauen. Die Linkspartei hat sich dagegen gesperrt. Deshalb gab es beim Thema Haushaltskonsolidierung keinen gemeinsamen Nenner.

Gab es auch menschliche Probleme? Wie stehen die Grünen zu Rüdiger Sagel, der zu der LINKEN gewechselt ist?
Ich habe zu Rüdiger Sagel ein gutes Verhältnis. Auch in der Zeit, in der er noch bei den Grünen war, habe ich gut mit ihm zusammengearbeitet. Bei dem Sondierungsgespräch erschienen mir die LINKEN insgesamt nicht geschlossen. Die Vertreter fielen sich gegenseitig ins Wort. Es gibt Vertreter der Antikapitalistischen Linken, aber auch ehemalige DKP-Mitglieder, die im Landesverband eine gewisse Stärke haben. So war uns nicht klar, ob sich bei der Linkspartei die Strömung durchsetzt, die gestalten möchte, oder die, die nur opponieren möchte.

Die Grünen waren doch auch mal jung?
Wahrscheinlich wäre es in den achtziger Jahren auch nicht sinnvoll gewesen, wenn die Grünen sofort Regierungsverantwortung übernommen hätten.

Turnschuhminister Joschka Fischer koalierte 1985 in Hessen mit dem Sozialdemokraten Holger Börner, der Umweltschützer mit Dachlatten verprügeln wollte.
Jene Koalition hat ja auch nicht lange gehalten. Ich behaupte, dass mit dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen in NRW aber auch eine Option der Zusammenarbeit auf Bundesebene ab 2013 gerettet wurde. Wenn man in NRW auf Teufel komm raus ein Bündnis eingegangen wäre und dieses nach ein paar Monaten wieder auseinander gegangen wäre, dann wäre eine Koalitionsoption im Bund sehr viel schwieriger.

Wird eine rot-grüne Minderheitsregierung von wechselnden Mehrheiten unterstützt werden?
Wir setzen darauf. Das Fünfparteiensystem ist in der Bundesrepublik Realität geworden. Deshalb müssen wir neue Modelle ausprobieren.

Aber FDP und CDU wollen mit der geplanten Minderheitsregierung nichts zu tun haben.
Mit dieser Verweigerung und Fundamentalopposition können wir wenig anfangen.

Die LINKEN propagierten vor der Wahl die Tolerierung einer rot-grünen Regierung. Sie und die SPD schlossen eine Zusammenarbeit mit der LINKEN aus. Die LINKE ist jetzt also am Ziel?
Wir wollten keine vertraglich festgelegte Tolerierung durch die LINKE, sondern echte Übernahme von Verantwortung. Eine richtige Politik wird aber ja nicht dadurch falsch, dass sie von der LINKEN, der FDP oder der CDU unterstützt wird.

Inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der LINKEN sind offensichtlich. Gibt es auch Trennendes?
Es gibt viele gemeinsame Ziele, aber bei den Wegen dorthin unterscheiden sich die Vorstellungen. Sowohl Grüne wie LINKE wollen längeres gemeinsames Lernen. Wir brauchen eine Gemeinschaftsschule bis zum Ende der Pflichtschulzeit. Wir wollen das aber nicht zentral von oben verordnen, sondern wir wollen den Kommunen als Schulträgern die Möglichkeit geben, Schulen zusammenzulegen. So kann Einvernehmen vor Ort hergestellt werden.

Verschleiert das Lächeln von Hannelore Kraft nicht, dass Sie es mit den Sozialdemokraten in NRW mit der alten Clementschen SPD zu tun haben?
Das Klima in den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen ist gut. Es wird sicher auch inhaltliche Differenzen geben. Aber wir werden Kompromisse finden, mit denen beide Seiten leben können.

Hält die Koalition fünf Jahre?
Wir wollen die Minderheitsregierung zum Erfolg bringen. Deshalb sind Neuwahlen kein Thema.

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