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  • Europäisches Sozialforum

Viel geredet, nichts bewegt?

Manche Aktivisten äußerten Kritik an der Unverbindlichkeit des Treffens

  • Jan Keetmann, Istanbul
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach vier Tagen intensiver Treffen ist das Europäische Sozialforum nun vorbei. Doch was hat es gebracht?

Zum ersten Mal hat das Europäische Sozialforum (ESF) in einem Land stattgefunden, das kein EU-Mitglied ist. Ein Land überdies mit eigenen Problemen, wie der auf dem Forum sehr präsenten Kurdenfrage. Ein Land, das vielfach gespalten ist, in der Kurdenfrage wie zwischen islamisch orientierten und laizistischen Gruppen, mit Ultras auf beiden Flügeln.

Wären etwa Vertreter von Dogu Perinceks Arbeiterpartei (IP) oder islamistische Israelkritiker auf dem Forum aufgetreten, wären daher vermutlich rasch die Fetzen geflogen. Nicht zu sehen waren dort auch das streng kemalistische Spektrum der türkischen Linken. Die Atmosphäre des ESF scheint eben nicht jeden in gleicher Weise anzuziehen, selbst wenn er sein Thema dort unterbringen könnte.

Wunsch nach einem Gegenforum zu Davos

Fragen wie die, ob die Türkei zu Europa gehört, spielten auf dem Forum jedoch keine Rolle. Man wollte ohnehin ein anderes Europa und auch mit der Kapitalismuskritik war man sich rasch einig. Eine Minderheit äußerte indessen auch Kritik am Forum.

Darunter war auch der Vorsitzende der Konföderation der Gewerkschaften der Arbeiter des öffentlichen Sektors (KESK), Sami Evren. Evren kritisierte, dass auf den Sozialforen nur endlos diskutiert werde, anstatt etwas zu tun: »Die Unterdrückten, die Armen, die Marginalisierten, die für nichts Geachteten können ihre Existenz nur durch Kampf beweisen«, gab Evren zu bedenken. Die Sozialforen seien kein Gegengewicht zu Gipfeln wie Davos oder den G20.

Der Wunsch nach einem Gegenforum zum Weltwirtschaftsforum von Davos, wo man anscheinend die Lenkungszentrale des Kapitalismus vermutet, war auch von anderen türkischen Gewerkschaftern zu hören, etwa von Mahmut Arslan, stellvertretender Vorsitzender des Gewerkschaftsverbandes HAK-IS.

Dass das Europäische Sozialforum nie so etwas wie ein gutorganisierter Parteikongress sein kann und sein soll, ist in der Türkei offenbar noch nicht bei allen angekommen, wenngleich die Einforderung von mehr Verbindlichkeit auch nicht an sich falsch ist. Unterm Strich kann man leider nicht sagen, dass das ESF die Türkei mehr als nur gestreift habe. Aber vielleicht liegt der Zweck solcher Foren ohnehin eher auf der langfristigen Ebene. Die ausgetauschten Ideen und geknüpften Kontakte können lange nachwirken.

Gewissermaßen Abschied genommen vom sechsten ESF hatten die Teilnehmer bereits am Samstagabend. Mit einer Demonstration zogen sie zu Istanbuls zentralem Taksim-Platz. Weit vorn dabei eine griechische Frauengruppe mit einem besonders schönen Transparent, das Frauen zeigte, die Hand in Hand über den Globus tanzen. Etwas dahinter ein Block von Arbeitern mit einheitlichen Schildkappen und Fahnen der Transportgewerkschaft TüMTIS.

Ignoranz bei den türkischen Medien

Die TüMTIS-Arbeiter demonstrierten gegen die Kündigung von 120 Gewerkschaftsmitgliedern durch die Firma United Parcel Service (UPS).

Die IG Metall Jugend hatte Vertreter geschickt, die auf der Demonstration in Sprechchören die internationale Solidarität hochleben ließen, was so viel Anklang fand, dass einige türkische Gewerkschafter die Parole in Deutsch wiederholten. Eine Gruppe Italiener sang das »Bella Ciao«-Lied, kurdische Mütter in traditioneller Tracht liefen fast am Ende des Zugs, in den Händen die Bilder von Angehörigen, die nach ihrer Festnahme meist vor Jahren spurlos verschwunden sind.

Die Passanten am Wege schauten nicht unfreundlich, aber doch verwundert auf den Zug, denn die türkischen Medien, darunter auch einige linke Medien, hatten das Europäische Sozialforum völlig ignoriert. Auch ist man Demonstrationen auf dieser Route einfach nicht gewöhnt: Ein dreiunddreißigjähriges inoffizielles Demonstrationsverbot für den Taksim wurde erst vor zwei Monaten aufgehoben.

Ganz auf den Taksim kam auch das Sozialforum nicht, man bog am Rande in einen Park ab.

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