Diese ganze Ungerechtigkeit

  • Burga Kalinowski
  • Lesedauer: 10 Min.

Da fahre ich nun von Berlin nach Bad Rothenfelde. Eine Fahrt ins Osnabrücker Land. Eine Fahrt ins Blaue, um nicht gleich zu sagen: ins Ungewisse. Denn abgesehen von einer kleinen Zeitungsnotiz und einem kurzen Telefonat ist unklar, was bei dieser Recherche herauskommt.

Es ist die pure Neugier auf eine Geschichte dahinter.

Berliner Zeitung , Mittwoch, 16. Juni 2010: »Die Linkspartei hat von einem Rentner aus Niedersachsen die erste Großspende in ihrer Geschichte bekommen. Der 82-Jährige überwies der Partei 175 000 Euro. Nach dem Tod seiner Frau habe er viel Geld übrig gehabt, sagte der frühere Chemiker Friedhelm Holz. Die LINKE kannte Holz bisher nicht, sagte Fraktionsvize Dietmar Bartsch. ›Das ist ein Sympathisant, der uns offensichtlich sehr mag.‹ Der Spender ist kein Parteimitglied.«

Da möchte man schon mehr wissen. Wie kommt ein Rentner aus Niedersachsen dazu, eine solche Summe ausgerechnet der Linkspartei zu spenden? Dem Schmuddelkind, der SED-Nachfolgerin, dem Opportunistenverein, der Ostalgie-Truppe, dem Chaotenhaufen, den kommunistischen Unterwanderern – und was der Katalog der Kampfbegriffe noch zu bieten hat. Eine Partei, die im beschaulichen, CDU-geführtem Kurbad am Rande des Teutoburger Waldes wenig Anhänger finden dürfte. Was sich als voreilige Annahme herausstellt. Bei der Bundestagswahl 2009 erhielt die LINKE für ihren Direktkandidaten von den Rothenfelder Bürgern 6,83 Prozent der Stimmen, 8,09 Prozent waren es bei der Zweitstimme. Auch Friedhelm Holz gab seine Stimme – und sein Geld.

Warum macht er das? Wer ist der Mann?

Mit dem Eingangsstempel des Bundespräsidentenbüros vom 2. und 3. Juni 2010, Drucksache 17/2233, ist Friedhelm Holz zunächst ein Spender. Laut Gesetz sind Spenden ab 20 000 Euro aufwärts zu veröffentlichen, der Spender ist mit Namen und Adresse anzugeben.

Dabei wollte Friedhelm Holz kein Aufsehen.

Er wollte einfach nur das tun, was er für richtig hält. Und überhaupt: Nie habe er gesagt, dass er viel Geld übrig hat. So ein Quatsch. »Aber Gedanken macht man sich schon, wenn man allein ist.« Schließlich ist sein Vermögen die Summe seines Lebens in Euro. Da möchte er schon wissen, was damit passiert. Später, wenn er selbst nichts mehr braucht.

Du bist verrückt, würden seine Kinder sagen. Aber er hat keine. Muss das sein, würden Freunde fragen. Aber die gibt es nicht mehr. Friedhelm, denk nochmal nach – hätte ihn vielleicht seine Frau gebeten.

»Aber darüber haben wir nicht gesprochen. Und dann ist sie gestorben.« Im Mai. Es war Krebs. Friedhelm Holz geht jede Woche auf den Friedhof zu seiner Frau Brigitte. Kann sein, dass er dann doch mit ihr über diese Sache redet. Gewissermaßen über seinen letzten Willen. Ob er tatsächlich nicht alle Tassen im Schrank hat, wie die meisten Leute denken. Oder ob er, Friedhelm, nicht doch das Richtige getan hat mit der Spende für die Linken. Jetzt, wo er viel Zeit hat nachzudenken. Jetzt, wo er nicht mehr ganz so viel Zeit hat, Entscheidungen aufzuschieben. Das klingt ein bisschen nach einer traurigen Geschichte. Aber Friedhelm Holz sieht das nicht so. »Ich bin zufrieden mit meinem Leben.« Die Summe seines Lebens als Erinnerungen erzählt er mir an einem heißen Julitag.

Da sind Sie ja. Aber den weiten Weg hätten Sie sich doch nicht machen müssen« – die Begrüßung ist freundlich. Zu viele Besucher kommen nicht. Einmal in der Woche die Putzfrau. Und neulich waren welche vom Osnabrücker Kreisvorstand der Linkspartei da. »Diese schönen Orchideen haben sie mitgebracht.« Demnächst will man zusammen essen gehen.

Von der Terrasse seiner Eigentumswohnung blickt Friedhelm Holz linker Hand auf Wald und nach rechts auf adrette Häuser, geputzte Fenster, hübsche Vorgärten. Er sieht eine ordentliche Welt. Darin, einem Vexierbild gleich, steckt auch die Unordnung dieser Welt – wenn man fehlende Balance eines Systems mindestens als Unordnung, wenn nicht gar als Fehler einer Versuchsanordnung versteht. Wie es Friedhelm Holz als Chemiker tut. Er findet, dass die sozialen Verhältnisse nicht im Gleichgewicht sind. Nicht mehr – oder waren sie es nie? Und er hat es nur nicht registriert? »Darüber denke ich jetzt nach. Wohin man guckt: Immer diese ganze Ungerechtigkeit.« Die wild wuchernde rücksichtslose Unordnung der Gesellschaft. Daran wird sie ersticken. Friedhelm Holz sagt dann so einfache Sachen wie »den Reichen wird noch mehr gegeben und den Armen wird immer mehr genommen. Das finde ich nicht richtig. Aber machen Sie bloß keinen Roten aus mir. Das bin ich nicht.«

Das ist er nie gewesen.

Friedhelm Holz kommt aus dem Kreis Salzwedel in der Altmark. Er ist ruhig, bedächtig, bodenständig. Er ist ein Bauernsohn, dem die Enteignung des elterlichen Hofes 1947 die festgeschriebene Lebenssperspektive nimmt. Ein Landwirt ohne Land. Nachkriegswirren in der damaligen SBZ: Eine russische Patrouille erschießt seine Schwester, und die Eltern werden zum Leben in der Stadt gezwungen.

Nein, ein Roter war er nicht.

»Später habe ich die Bodenreform begriffen. Dass die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen geändert werden mussten. Wie sollte es sonst gerecht werden – mit den alten Besitzverhältnissen und Eigentümern?« Die kleine Chance für kleine Leute, das verstand er gut. Das versteht er auch heute. Friedhelm Holz findet seine Chance damals in der Entdeckung der Welt durch die Chemie. Der Reiz des Berechenbaren und der Unberechenbarkeit. Das Zusammenspiel von Genauigkeit und Fantasie. Ergebnisse, unsicher wie Lotto und doch wiederholbar. Friedhelm Holz studiert Chemie in Berlin (West). Er erinnert sich an tolle und gefährliche Jahre, in der ökonomische und großmachtpolitische Interessen der Zeit schon wieder ihren Prägestempel aufdrücken. Geschichte kriecht aus dieser Gegenwart und wird noch 60 Jahre danach von Politik wie eine Dirne missbraucht.

Aber was ist die Gründung zweier deutscher Staaten, was ist der Koreakrieg, was ist unterdrückter Arbeiterprotest gegen Normerhöhung, was ist Kommunistenverfolgung in Westdeutschland, was ist der scharfe frische Wind der 68er – was ist das für einen netten jungen erwartungsvollen Mann gegen dieses bunte Leben in der geteilten Stadt: Friedhelm Holz spielt Bass im studentischen Jazzklub am Breitenbachplatz, er jobbt für gutes Geld, macht sein Diplom, promoviert, bekommt eine gute Arbeit bei der Ruhr-Stickstoff AG in einem Forschungslabor im Münsterland und – wichtig für das ganze Leben – er lernt die Studentin Brigitte kennen. Die oder keine. Er weiß es.

Ab hier beginnt ein Leben mit Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit: Bausparvertrag, Häuschen, ein Garten voller Blumen, Reisen, Pensionierung, Hausverkauf, eine Eigentumswohnung.

In seinem Fach – Analyse und Methodik zur Mineralstoffbestimmung – ist er ein gefragter Mann. Vortragsreisen nach Ottawa, Paris, Moskau. Dort gilt die »Methodii Holzki« als Arbeitsstandard.

Er lächelt. Schöne Zeiten damals, und gute Zeiten für ihn. Nie war er arbeitslos. Fast sozialistische Sorglosigkeit: Arbeit ein ganzes Leben lang. Über die Jahre entsteht ein finanzielles Polster. Nun hat er ein Problem: Wohin mit dem Erbe?

Ein westdeutscher Lebenslauf, der nicht folgerichtig auf eine Spenderliste für eine linke Partei im heutigen Deutschland führt.

Doch nach der veröffentlichten Spendenliste gehört der Bürger Holz nun zu den Großspendern. Einerseits. Nach einem Blick auf die Listen anderer Parteien und ihrer spendablen Gönner wird andererseits deutlich, dass Welten dazwischen liegen. Anschauungen – Erfahrungen – Ansprüche – Lebenswelten eben.

Etliche Großspenden kommen von bekannten Konzernen mit Hang zur milden Gabe. So erhielten SPD und CDU im Mai von der Daimler AG je 150 000 Euro. Im kalten Februar schütteten die Bayerischen Motorenwerke AG ihr Füllhorn aus. Der Segen traf SPD, CDU, CSU und FDP gleichermaßen. Die Euros summierten sich grob gerechnet zu einer guten halben Million. Gerechterweise muss man dazu sagen, dass es sich nicht um Bares gehandelt hat, sondern um den Wert kostenloser Fahrzeugüberlassungen aus dem Jahr 2009.

Wie ein »Who's Who« der Reichen und Selbstlosen, der Einzelwohltäter und der großzügigen Großunternehmen liest sich die Spendenliste 2009. So erhält beispielsweise die CDU im Oktober von Frau Johanna Quandt, von deren Tochter Susanne Klatten und vom Sohn Stefan Quandt je 150 000 Euro. Betrachtet man die Parteizuwendungen der zum Quandtvermögen zählenden Konzerne BMW (ca.1,5 Mill.) und Altana (ca. 1,1 Mill.) ebenfalls als Familienspende, dann gehört der Clan zu den größten Einzelspendern deutscher Parteien. Dafür ein wirtschaftsfreundliches Gott vergelt's. Mutter und Tochter teilen sich übrigens den zweiten und ersten Platz als Deutschlands reichste Frauen. Und der Junior hält weltweit den 132. Platz als reichster Mann, wie das Forbes Magazine für das Jahr 2009 errechnete. Ein Industriellen-Klüngel mit zielgenauer Spenden-Tradition schon in der NS-Zeit. Man weiß, was sich lohnt.

Was dem einen sin Uhl, ist dem anderen sin Nachtigall: Die FDP findet im Oktober 2009 ebenfalls ein hübsches Sümmchen auf ihrem Konto – 300 000 Euro von der Substantia AG. So läppert sich eins zum anderen. In drei Tranchen nämlich gab die Substantia AG mit warmer Hand insgesamt 850 000 Euro an die gelben Koalitionäre weiter. Die AG gehört zum Imperium des Bankiers und Barons Finck, der wiederum Haupteigentümer der Hotelkette Mövenpick ist. Wie mag der sich wohl gefreut haben über die Senkung der Mehrwertsteuer in der Hotelbranche von 19 runter auf 7 Prozent. So schließen sich die Politik-, Wirtschafts - und Finanzkreise. Und es ist noch nicht mal die Rede von Parteispendenskandalen in allen Farben, von Waffenhändlern, Geldübergaben auf Parkplätzen, von schwarzen Kassen und Schweizer Konten, von der Flickaffäre, von Ehrenmännern und Ehrenwörtern und von dem kriminellen, steuerrechtlichen und machtpolitischen Hick-Hack, in dessen Folge ein »Mädel« aus Templin handstreichartig die Spitze besetzte. Sowas kommt von sowas. Nun haben wir – nur als Beispiel – zwar keine Reichensteuer, aber eine Gesundheitsreform am Hals, die den reichen Mitbürgern am Arsch vorbeigeht und dem Durchschnittsbürger die Luft zum Atmen nimmt.

Haben wir genau die Regierung, die wir verdienen? Oder hätten wir vielleicht nur besser spenden sollen?

Und was hat Friedhelm Holz damit zu tun? Natürlich – nichts. Außer, dass er auch gespendet hat. Seine Spendengründe und seine Erwartungen an die Zielpartei machen den Unterschied und seine Geschichte aus.

Ich frage ihn, ob er die Sache nicht ein bisschen skurril findet. Ja, sagt er. Das könnte man so sehen.

Es hat was von einer Eulenspiegelei.

»Ich habe gut verdient. Mir ging es gut im Kapitalismus«, sagt der Mann, der seinen Besitz nun der Partei spendet und vererbt, die den Kapitalismus abschaffen will. Langfristig gesehen – sagt sie. Keine aktuelle Aufgabe. Aktuell will sie mitregieren, um den Kapitalismus besser zu machen.

Ja, er habe lange überlegt. Dann hat er das gemacht, was er am besten kann: Eine Analyse. Eine Bestimmung des Zustands der Gesellschaft. Dann hat er sich entschieden.

Warum nicht für eine andere Partei? Ja, welche denn, fragt Friedhelm Holz. Was machen die denn für die Leute? Die machen Sparpakete auf Kosten der Menschen und schließen Bibliotheken wie zum Beispiel hier in Osnabrück.

Er zählt sie an den Fingern ab: CDU/CSU/FDP – also die neoliberalen Koalitionäre kommen aus ideologischen Gründen nicht in Frage. Nee, die sind so asozial.

Die Grünen. Ach Gott, die laufen doch mit und ändern gar nichts am System.

Und die SPD? Naja. Die war ganz gut bis Willy Brandt. Aber dann kam der Schröder. Hat viel Wind gemacht und dahinter Hartz IV. Und alle haben mitgemacht dabei. Man werde mal sehen, was jetzt in Nordrhein-Westfalen passiert, wenn SPD und Grüne regieren.

So, sagt Friedhelm Holz, es bleibt mir nur die LINKE. »Aber erstmal müssen sie rankommen. Dann den Kapitalismus verändern.«

Dann ist es vielleicht aus mit den hohen Gehältern. Ja, sagt Herr Holz, aber auch mit den hohen Mieten zum Beispiel.

»Wissen Sie, nur weil man gut verdient, deshalb braucht das System doch nicht gut zu sein.«

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