Opernhäuser statt Bankenpaläste
Max-Planck-Forscher untersuchen den Einfluss der Kultur auf die Wirtschaftsentwicklung
Eine der reizvollsten Aufgaben besteht für Wissenschaftler darin, Zusammenhänge zwischen Phänomenen aufzuspüren, zwischen denen man auf den ersten Blick gar keine vermutet. Oder von denen man glaubt, dass sie sich kausal nur in einer Richtung beeinflussen. So sind viele Politiker heute darauf fixiert, in Krisenzeiten vornehmlich dort den Rotstift anzusetzen, wo es ihrer Meinung nach der Wirtschaft am wenigsten »wehtut«. Gekürzt wird daher regelmäßig bei der Kultur, was in unserer auf Profitmaximierung konditionierten Gesellschaft leider auch die Zustimmung von Teilen der Öffentlichkeit findet. Beispiel Wuppertal: Hier ist infolge von Sparmaßnahmen seit 2009 nicht nur die Existenz des Stadttheaters bedroht. Auch dass eine Eintrittskarte derzeit mit 136 Euro bezuschusst wird, stößt auf Kritik, die zuweilen in dem Vorwurf gipfelt, das Theater mache ohnehin nur »teure Elitekunst für Eingeweihte«.
Wer mit solchen oder ähnlichen Argumenten erfolgreich dafür werbe, im Bereich der Kultur radikal zu sparen, gefährde unter Umständen die ökonomische Dynamik in der betreffenden Region. Das meint zumindest der Wirtschaftswissenschaftler Stephan Heblich vom Jenaer Max-Planck-Institut für Ökonomik, der mit Kollegen untersucht hat, wie sich spezielle Kulturangebote auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken.
Das Ergebnis dürfte die meisten überraschen. Denn danach ist die Zahl der Beschäftigten mit Universitätsabschluss besonders hoch in Regionen, in denen es ein traditionsreiches Opernhaus gibt. Zugleich haben solche Regionen ein stärkeres Wirtschaftswachstum, was wiederum mit Untersuchungen übereinstimmt, wonach ein Anstieg der Beschäftigten mit höherem Bildungsabschluss in der Regel zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts führt.
In ihrer Studie berücksichtigen die Forscher 29 Opernhäuser, die zwischen 1648 und 1800 erbaut wurden, also noch vor Beginn der Industriellen Revolution. Ihre Errichtung war nicht dem Wohlstand des jeweiligen Landes, sondern vorrangig dem Prestigestreben des Landesherren geschuldet. Diese Tatsache ist insofern von Bedeutung, als sie den naheliegenden Schluss entkräftet, die jetzige stärkere Wirtschaftsentwicklung sei in Regionen erfolgt, die schon immer eine rege ökonomische Dynamik entfaltet hätten.
Nun trifft es sicherlich zu, dass ein gutes kulturelles Angebot eine Region attraktiv für hochqualifizierte Arbeitskräfte macht. Allerdings dürften viele, vor allem junge Leute hierbei nicht zuerst an ein Opernhaus denken. Am Ergebnis der Studie freilich ändert das wenig. Denn überall dort, wo ein traditionsreiches Opernhaus steht, sind gewöhnlich auch Theater und andere Kultureinrichtungen zu finden. Und so resümiert Heblich wohl zu Recht, dass sich eine lebendige Kultur letztlich positiv auf die Entwicklung der regionalen Wirtschaft auswirkt.
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