»Es geht nicht nur um Stasi-Effekte«

Romeo und Julia in der DDR: TV-Sechsteiler »Weissensee« ab heute in der ARD II

  • Lesedauer: 3 Min.
Mit »Weissensee« läuft ab heute die erste Serie über den Alltag der DDR (ARD, 20.15 Uhr). In sechs Teilen wird die Geschichte zweier Familien in der DDR der 1980er Jahre rund um die Liebesgeschichte zwischen Julia (Hanna Herzsprung) und Martin (Florian Kupfer) erzählt. Ohne Stasi kommt die TV-Mini-Serie dennoch nicht aus. Warum das so ist, erklären die beiden Hauptdarsteller im Interview mit Jan Freitag.

ND: »Weissensee« erzählt die Geschichte einer staatstragenden und einer staatskritischen Familie in der DDR. Macht es das zur Stasi-Serie?

Florian Lukas: Eher zu einer Familiengeschichte mit Stasi-Hintergrund. Es werden klassische Themen in klassischer Konstellation verhandelt, wobei Politik nicht bloß zur historischen Tapete degradiert wird, vor der sich Liebesgeschichten abspielen.

Hannah Herzsprung: Aber es bleibt ein Drama, dass auch ohne DDR funktionieren würde.

Wann ist die Zeit reif, die DDR ohne Stasi und Schießbefehl zu erzählen?

Herzsprung: Es gibt bereits viele Erzählungen, die das Leben in der DDR mit Leichtigkeit dargestellt haben. Dennoch wird dieses Spannungselement gern genutzt – für die einen ist es die Erinnerung für die anderen Neugierde am Unbekannten.

Lukas: Bei aller Unterhaltung, denen Filme und Serien wie diese dienen, würde das Element der Politik fürs Dramaturgische fehlen. Aber es geht nicht nur um Stasi-Effekte, sondern den Faktor der Durchdringung des Privatlebens. Staatliche Einflussnahme war Alltag – und sei es als permanente Bedrohung. Das System hat sich ja nur herausgehalten, sol ange man sich absolut konform verhielt.

Herzsprung: Wahrscheinlich ist es deshalb so schwer, Alltag ohne gesellschaftliche Impulse seiner Zeit zu erzählen. Man braucht die Kulisse, um verstehen zu können, welchen Schwierigkeiten die Figuren ausgesetzt sind und warum sie so oder so handeln.

Lukas: Trotzdem war damals vieles normaler, als man es sich im Westen vorstellen mag. Ich hatte im Großen und Ganzen eine schöne Kindheit, auch wegen der unverfälschten Natur. Heute ist alles elektrifiziert, gepflastert, beleuchtet, beschildert, umzäunt. In den Achtzigern konnten wir uns freier bewegen, obwohl überall um Berlin Soldaten stationiert waren.

Frau Herzsprung, wie war Ihr Ostbild aus Westsicht?

Herzsprung: Als die Mauer fiel, war ich acht. Ich wusste, dass es die DDR gab mit Menschen, die nicht grundsätzlich anders leben als wir. Darüber hinaus bin ich selten mit dem Thema konfrontiert worden. Heute ist für mich unverständlich, dass diesem Teil deutscher Geschichte so wenig Gewicht in der Schule gegeben wurde.

Wie nah ist die Serie am Alltag?

Lukas: Auch »Weissensee« zeigt nur Facetten. Historische Stoffe werden stets mit größtmöglicher Authentizität verkauft. Das finde ich problematisch, weil für viele die Versuchung groß ist, Spiel- und Dokumentarfilm zu verwechseln. Wichtiger ist Glaubwürdigkeit.

Herzsprung: Neu an »Weissensee« ist der Grad an Privatheit, die zugelassen wird, ihre zentrale Position in der Handlung, die die Romeo-und-Julia-Konstellation erst ermöglicht.

Was lernt das Publikum dabei?

Lukas: Im besten Fall liefern wir Anlass zum Gespräch, um verschiedene Erinnerungen miteinander abzugleichen. Innerhalb der Familie, des Umfelds, sogar der Gesellschaft, die das DDR-System zunehmend als Abenteuergeschichte empfindet. Selbst mir erscheint die Intensität der Beeinflussung kaum noch begreiflich.

Herzsprung: Ich bin in Ausstellungen und Museen gelaufen, habe Bücher, Bildbände gewälzt, Leute befragt – beim Drehen wurde dann alles Aufgenommene greifbar. Ich wollte die Zeit wirklich begreifen. Die Geschichten von Katrin Sass oder Uwe Kockisch haben mich in die Zeit gezogen, so wie ich es mir auch für die Zuschauer wünsche.

Lukas: Die haben auch mir vieles erzählt, was ich kaum noch kannte. Oftmals sehr deprimierende, schreckliche Erlebnisse. Umso erstaunlicher, dass sie das heute so unbefangen spielen können. Trotzdem: wir mussten uns alle neu einarbeiten, weil unsere Figuren ja in anderen Zeiten aufgewachsen waren.

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