Bäcker, Bergleute, Bankblockierer
Demos, Streiks und Blockaden – Europaweiter Aktionstag gegen Sparpolitik der Regierungen / Die Proteste waren groß, vielfältig – und bunter als erwartet
Aus Darmstadt sind zehn ver.di-Aktivisten angereist, überwiegend Telekom-Mitarbeiter. Betriebsrat Rainer Keil, der schon viele Großveranstaltungen miterlebt hat, hatte sich von der Euro-Demo »Impulse für unsere Herbstaktionen« erhofft und zeigt sich angesichts der Fülle und Vielfalt beeindruckt: »Das sind mehr, als ich erwartet habe.« Sein Kollege Bernd Blümmel legt Wert auf Austausch mit Gewerkschaftern aus anderen Ländern, die gleichermaßen von Sparpaketen betroffen sind.
Tonangebend in der deutschen Delegation sind Bergleute aus Steinkohlezechen an Ruhr und Saar mit einem Meer von Fahnen ihrer Gewerkschaft IG BCE. Die Gewerkschaft nutzt den europaweiten Aktionstag gegen die Krisenpolitik für einen »Kohle-Aktionstag«. Kumpel mit Helm und Grubenlampe, Feuerwehrleute der Grubenwehr in ihren orangefarbenen Arbeitsanzügen und Männer aller Altersstufen in schwarzen Bergmannstrachten sind unübersehbar. Die Angst, schon ab 2014 auf der Straße zu stehen, hat sie auf die Brüsseler Straßen getrieben. »Von der Werkbank auf den Friedhof«, kritisiert ein Transparent der IG- Metall-Vertrauensleute bei Ford in Köln die »Rente erst mit 67«. »Der Schiffbau stirbt leise«, warnt Andrea Husen vom Internationalen Metallarbeiterbund vor einem europaweiten Werftensterben.
Ein Schlaglicht auf die verworrene Lage in Belgien wirft ein riesiges Transparent der sozialistischen Gewerkschaft FGTB: »Stoppt den Zirkus! Für die Einheit der Arbeitnehmer in Flandern, der Wallonie und Brüssel!« Auffällig stark sind die britischen Gewerkschaften vertreten. Nachdem die konservativ-liberale Regierung den Jahreshaushalt um 113 Milliarden Pfund kürzen will, stehen die Zeichen hier auf Sturm. Manuel Cortes, Vizechef der Bahngewerkschaft TSSA, berichtet von Kündigungsbriefen, die die konservative Stadtregierung in Birmingham »vorsorglich« an viele tausend Bedienstete versandt hat. Sie »dürfen« sich hinterher wieder zu deutlich schlechteren Bedingungen neu bewerben. Zusammen mit der Schwestergewerkschaft RMT kämpft die TSSA derzeit mit befristeten Streiks gegen den Abbau von 800 Arbeitsplätzen bei der U-Bahn in London und beklagt, dass dabei die Sicherheit auf der Strecke bleibt. »Das wird ein langer Guerillakrieg«, prophezeit ein U-Bahner. Stark vertreten sind auch osteuropäische Gewerkschaften. Rumänische Polizisten protestieren, dass die Regierung ihnen das Demonstrationsrecht nehmen will. Catalin Musoi von der rumänischen Gasarbeitergewerkschaft klagt die Konzerne E.on und Gaz de France an, die in ihrem Land den Abbau von 4000 Arbeitsplätzen im Gassektor diktiert hätten.
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ENSDORF/SAARBRÜCKEN. Vom Bergwerk Saar in Ensdorf haben sich am frühen Morgen gut 350 Saar-Bergleute in sieben Bussen auf den Weg nach Brüssel gemacht. Über 1500 kommen zu einer Betriebsversammlung in die Saarlandhalle nach Saarbrücken, um ihrem Ärger über die Brüsseler EU-Kommission Luft zu machen. »Erst haben sie uns genötigt, den ersten Nagel in den Sarg für den deutschen Steinkohlebergbau zu schlagen«, wettert der stellvertretende Vorsitzende der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Ulrich Freese, mit Blick auf den Kohlekompromiss von 2007, der ein Ende für 2018 vorsieht. »Jetzt wollen sie uns wie ein Stück Dreck und mit einem Fußtritt noch schneller ins Grab befördern«, setzt Freese in Richtung EU-Kommission, die bereits 2014 Schicht im Schacht machen will, noch eins drauf.
Teilweise sind die Kumpel in voller Montur zur Betriebsversammlung gekommen, wie Rainer. »Natürlich sind wir optimistisch«, sagt er trotzig, aber: Was soll er auch sonst sagen? Er weiß: »Man hat ja nicht nur Freunde in Deutschland im Bergbau.« Den Namen des Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) nennt er dabei nicht ausdrücklich. Aber er macht sich nichts vor: Jeder, der Subventionen bekommt, kommt in Brüssel auf den Prüfstand, »und irgendwann wird’s dann mal knallen«.
Sein Kumpel Roland wirft der deutschen Politik vor, es versäumt zu haben, »die Sache frühzeitig abzusichern«. In Brüssel würden Entscheidungen getroffen, »die weit weg sind von den Menschen, die hier arbeiten«. Die Gewerkschafter wollen das nicht hinnehmen. Kein Bergmann soll ins Bergfreie fallen, betont Freese und ruft den Kumpel von der Bühne zu: »Abgemacht ist abgemacht.«
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SALZGITTER. In Niedersachsen proben am Aktionstag Gewerkschafter und Umweltschützer den Schulterschluss. Rund 6500 Menschen kommen zu einer Demonstration gegen das Sparpaket und die Atompolitik der Bundesregierung, »ganz bewusst während der Arbeitszeit«, wie die IG Metall Salzgitter-Peine erklärt. So habe der Widerstand auch wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unternehmen. Die Demonstranten waren am Morgen in zwei Zügen vom Volkswagen-Werk in Salzgitter-Beddingen und vom Gelände der Salzgitter AG gestartet. Bei der Kundgebung an der Zufahrtstraße zum geplanten Atommüllendlager Schacht Konrad greift IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban die von der Bundesregierung geplanten Sparmaßnahmen scharf an. Es handele sich um ein »Paket aus Zumutungen und Gemeinheiten gegenüber Arbeitslosen und ihren Familien«. Während Unternehmen, Banken und Reiche weitestgehend verschont blieben, werde bei den Schwächeren in der Gesellschaft hemmungslos gekürzt. »Die einen feiern, die anderen sollen zahlen, das ist politische Zechprellerei«, sagt Urban.
Der Atomkraftgegner Udo Dettmann schlägt den Bogen von der Wirtschafts- zur Energiepolitik. Manager vom Staat geretteter Banken kassierten Jahresgehälter von mehr als 500 000 Euro. »Wäre die Asse eine Bank, wäre auch sie längst gerettet worden«, so Dettmann mit Blick auf das vom Einsturz bedrohte Atommülllager Asse. Er warnt zugleich vor der geplanten Brennelementesteuer. Werde diese erst erhoben, habe der Staat ein finanzielles Interesse daran, die Atomkraftwerke noch lange laufen zu lassen.
In Salzgitter sind Metall-Gewerkschafter und Betriebsräte schon lange im Widerstand gegen das geplante Endlager Schacht Konrad aktiv. 2000 und 2006 legten tausende Metaller die Arbeit nieder, um gegen Schacht Konrad zu protestieren. Die IG Metall startete auch eine Spendenkampagne, um die Klagen gegen Konrad finanziell abzusichern.
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BERLIN. Bei der Deutschen Bank sind die Fenster verrammelt: Aus technischen Gründen geschlossen, heißt es auf einem Schild an der Berliner Filiale, Ecke Wittenbergplatz. An einen Zufall glaubt Peter Grottian nicht. Der emeritierte Professor und Attac-Aktivist steht genau wie andere am U-Bahnhof gegenüber und will die Ankündigung wahr machen und eine Bank blockieren. Treffpunkt: 11 Uhr, Wittenbergplatz. Dass die Filiale geschlossen ist, stört das Vorhaben nicht. »Dort wollten wir eh nicht hin«, sagt Grottian. Wohin es gehen soll, will er nicht verraten. Neben Berlin gab es am gestrigen Tag in über 70 Städten Aktionen vor Banken – Blockaden, Flugblätterverteilung, Straßentheater. Grottian schimpft auf die Gewerkschaften, die vor zivilem Ungehorsam zurückschreckten. »An einem Werktag passiert in Deutschland nicht viel«, glaubt er.
Kurz vor 11 stehen Menschen jeden Alters in kleinen Grüppchen vor dem U-Bahn-Eingang, Transparente sind nicht zu sehen. Ohne die Polizisten und Kamerateams könnte man sie auf den ersten Blick für normale Passanten halten. Konspiration liegt in der Luft. Auf ein Zeichen setzen sich alle in Bewegung. Einer roten Fahne nach geht es nach unten, zur U-Bahn. 17 Minuten nach 11 drängeln sich alle in die U 1 Richtung Uhlandstraße. Ein paar Polizisten quetschen sich dazu. Zwei Stationen weiter, an der Endstation, geht es raus auf den schicken Teil des Kurfürstendamms, wo Designerläden neben Geschäftshäusern und teuren Restaurants die Massenketten weiter unten abgelöst haben. Eine Reihe Polizisten ist lange vor dem eigentlichen Protestziel zu sehen. Sie stehen vor der Deutschen Bank, Kurfürstendamm 28. »Die blockieren mit«, scherzt ein Mann.
Die Blockierwilligen, 150 sind es ungefähr, und wie man mittlerweile an Fahnen erkennt, vor allem von Attac und der Linkspartei, setzen sich vor der Filiale auf den Bürgersteig. Über eine Stunde werden sie dort ausharren. Sie rufen »Brecht die Macht der Banken und Konzerne«, ein großes Transparent zeigt an, was sich viele hier wünschen: »Enteignet«, steht darauf. »Die Aktion richtet sich nicht gegen die Bankangestellten«, versichert ein Mann durchs Megaphon. »Wir wollen keine Provokation.«
Ein paar Bankkunden schlüpfen hinter dem Rücken der Polizisten aus der Bank. Wer jetzt noch rein will, muss sich bei den Uniformierten mit seiner EC-Karte ausweisen. Viele sind es nicht, die darauf Lust haben. Mehr als Geld und Kontoauszüge bekommen sie eh nicht: Die Filiale hat die Jalousien heruntergelassen. Geschlossen, mitten am Tag. Eine Kundin schimpft im Davoneilen, sie habe eigentlich etwas zu erledigen gehabt. »Befremdlich« findet sie die Proteste. Ein rundlicher Mann bleibt dagegen mit seinem Fahrrad extra stehen. »Gut finde ich das, gut«, sagt er. »Sieht ein bisschen nach Michael Moore aus«, lobt er die Aktion und eine junge Frau, die ihm soeben eine gut gemachte lachsfarbene »Financial Crimes Deutschland« in die Hand gedrückt hat.
Dann die Durchsage durchs Megaphon: Einige Protestierer waren doch schneller als die Polizei und sind in der Filiale. Sie verhandeln dort mit dem Filialleiter, heißt es unter großem Jubel der Sitzblockierer. Er soll sich im Namen der Deutschen-Bank-Zweigstelle in einem Fax an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für eine echte Bankenregulierung sowie die Einführung einer Vermögensabgabe stark machen. Man weiß zwar nicht, wie die Stimmung drinnen ist, draußen auf dem Asphalt ist sie jedenfalls bestens. Auch die Polizei wirkt recht entspannt, filmt aber, was das Zeug hält.
Irgendwann taucht die Abordnung im Raum mit den Automaten auf, der linke Bundestagsabgeordnete Ulrich Maurer ist auch darunter. Sie bleiben reglos hinter der Glastür stehen. Somit ist es nun auch mit dem Geldholen vorbei. »Sparpaket für Reiche, Rettungspaket für Arme«, heißt es auf ihrem Banner. Das Fax hat der Filialleiter nicht abgeschickt. Gutes Zureden und Pralinen haben ihn offenbar nicht überzeugt. Noch nicht, hoffen hier viele.
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