Fixpunkt Berlin

Für Bundestrainer Löw ist die heutige Partie gegen die Türkei alles, nur kein Endspiel

  • Christian Heinig
  • Lesedauer: 4 Min.

Guus Hiddink ist Pragmatiker. Er hat nur Augen fürs Spiel, für Taktik, für Ordnung und Disziplin, darum schert sich der Niederländer. Das Drumherum juckt ihn nicht. »Natürlich ist es eine besondere Partie«, sagt Hiddink, der seit diesem Sommer die türkische Nationalelf betreut. Er meint dabei aber nicht all das Bohei um zwei schlagende Herzen in allerhand Brüsten, die für das heutige EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland in Berlin vielerorts vorhergesagt wurden. Es ist für ihn auch nicht besonders, weil sogar der türkische Ministerpräsident Erdogan auf den Rängen des Olympiastadions mitfiebern wird, wobei manch einer gar mit einem atmosphärischen Heimspiel für die Elf vom Bosporus rechnet. Für Hiddink gibt es nur einen Grund, der das Duell zu einem Besonderen stilisiert. »Es ist das Duell der Gruppenfavoriten, auf das ganz Europa schaut.«

Endlich sagt das mal einer, mögen jetzt einige jubilieren. Es geht am heutigen Abend nämlich in der Tat nicht nur um Fragen von Integration, um ein deutsch-türkisches Freudenfest, das sich berechtigterweise alle Beteiligten wünschen, sondern es geht für beide Mannschaften vor allem um eines: den Sieg, drei Punkte, die Tabellenführung in der Gruppe A. Die Partie sei zwar noch »kein Endspiel«, meinte Bundestrainer Joachim Löw bei der gestrigen Pressekonferenz betont gelassen, »es ist doch erst das dritte Spiel in der Gruppe«, aber er weiß auch: »Wer gewinnt, wird wohl erst einmal länger oben stehen.« Und oben ist bekanntlich gut, je früher desto besser. Immerhin darf in zwei Jahren nur der Gruppenerste auf direktem Wege zur Europameisterschaft in Richtung Polen und der Ukraine aufbrechen. Der Zweite muss nachsitzen, ihn erwarten nervenaufreibende Ausscheidungsspiele.

Es ist gut drei Monate her, da brillierte die DFB-Elf bei der WM in Südafrika. Die türkische Elf hingegen schaute zeitgleich in die Röhre. Sie hatte die Qualifikation verpasst. Macht sie das nun für die Partie in Berlin zum Außenseiter? Natürlich nicht, war Bundestrainer Löw bemüht klarzustellen. Für ihn gehört die Türkei »zur europäischen Spitze«. Ihren Angriff bezeichnete er als »extrem gefährlich und stark«, zudem sei deren Trainer Hiddink in der Lage, »der Mannschaft schnell eine Handschrift zu geben«, glaubt Löw. »Da müssen wir schon eine sehr gute Leistung abliefern, um sie zu schlagen.«

Für diese Mission vertraut Löw seinem altbewährten Personal, »die bei der WM dabei waren«, dazu gehört auch das national derzeit arg lethargisch wirkende Bayern-Ensemble um Müller & Co. Für den verletzten Bastian Schweinsteiger wird wohl Toni Kroos neben Sami Khedira im zentralen Mittelfeld agieren. Im Sturm darf erneut Miroslav Klose wirbeln, auch wenn ihm in sechs Bundesliga-Einsätzen bisher kein einziger Treffer gelungen ist. Gleiches gilt für Mario Gomez, trotzdem erhielt er eine Einladung, ebenso wie der Stuttgarter Cacau, der in der Liga immerhin schon zweimal erfolgreich war. Vergeblich hatte sich der Leverkusener Patrick Helmes Hoffnungen gemacht, ebenso wie Kevin Kuranyi.

Letzterer hat bei Dynamo Moskau in der russischen Premjer Liga zwar dort weitergemacht, wo er bei Schalke aufgehört hatte. Sechs Treffer in acht Ligaspielen, eine formidable Ausbeute. Für Löw aber bleibt er kein Thema, wie der Bundestrainer erst jüngst zum wiederholten Male kundtat. »Kuranyi ist schon gut«, versichert Löw, es liege an der Spielweise. Sie ist in der Nationalelf auf schnelle Kombination ausgerichtet, auf Typen wie Mesut Özil, Thomas Müller oder Lukas Podolski, die »den Ball flach halten wollen«. Und dazu passe einer wie Miroslav Klose besser als einer wie Kuranyi, findet Löw.

Wie schnell das Spiel der DFB-Elf ist, darüber existiert inzwischen sogar fundiertes Zahlenmaterial. 2005 haben sie beim Nationalteam damit begonnen, Messungen zu machen, wie lange es im Schnitt von der Ballannahme bis zum Abspiel dauert. Zu Beginn waren es 2,8 Sekunden, bei der EM 2008 nur noch 1,7 Sekunden, bei der WM in Südafrika 1,1 Sekunden. Die Spanier liegen bei einer Sekunde. Löws Resümee: »Das lässt schon den Rückschluss zu, dass unser Spiel von guter Qualität war.« Und so soll es auch bleiben, wünscht er sich gewiss.

Das Spiel: Beim EM-Qualifikationsspiel heute gegen die Türkei (20.45 Uhr/ZDF) im ausverkauften Berliner Olympiastadion wird Joachim Löw das deutsche Team zum 60. Mal als verantwortlicher Bundestrainer betreuen.

Die Bilanz: In den 18 Begegnungen bisher gab es für das deutsche Team zwölf Siege, drei Unentschieden und drei Niederlagen. Den bislang letzten Vergleich gab es im Halbfinale der Europameisterschaft 2008. Deutschland gewann 3:2.

Die voraussichtliche Aufstellung: Neuer - Lahm, Mertesacker, Badstuber, Boateng - Khedira, Kroos - Müller, Özil, Podolski - Klose.

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