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Über den Schatten

Der demoskopische Höhenflug, ja fast schon Höhenrausch der Grünen gibt der SPD schwer zu denken, was jetzt zu einem ersten sichtbaren Ergebnis geführt hat: Die Sozialdemokraten in Baden-Württemberg wollen nach der Landtagswahl im nächsten Frühjahr auf jeden Fall ein Regierungsbündnis mit den Grünen – und notfalls als kleinerer Partner einen Grünen-Ministerpräsidenten akzeptieren. »Wir müssen über unseren Schatten springen, keine Frage«, wird der SPD-Altvordere Erhard Eppler zitiert.

Ob das Zugeständnis nun bitterernst gemeint ist oder in der Erwartung besprochen wurde, dass sich die Umfragewerte bis zur Landtagswahl wieder »normalisieren«, sei dahingestellt. Es ist in jedem Fall der zumindest gedachte Verzicht der Sozialdemokraten auf den bisher scheinbar naturgegebenen Führungsanspruch im (sehr weit verstandenen) linken Lager.

Sieht man sich die Umfragewerte im Ländle an, so muss man der SPD einigen Realitätssinn attestieren: TNS ermittelte zuletzt 32 Prozent für die Grünen, 19 für die SPD; ein anderes Institut sogar 36 bzw. 17 Prozent. Man wird sehen, wie lange der Grünen-Hype anhält. Fakt ist, dass sie sowohl von der relativen Zahnlosigkeit der SPD als auch von der enttäuschenden Apparatschik-Attitüde gerade der Südwest-CDU als auch vom Frust über die marktradikale FDP profitieren. Und sie halten das Feuer am Flackern – derzeit mit der Drohung, einen Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz gegen die Demonstranten von Stuttgart zu verlangen. Damit könnten die Grünen ihr großes Thema bis weit in den Wahlkampf verlängern – auch hier im Gegensatz zu einer eher bedenklichen, zaghaften SPD, die inzwischen sogar in Bundesumfragen von den Grünen überholt wird.

In der jüngsten Umfrage zur Bundespolitik von Forsa darf sich auch die LINKE geschmeichelt fühlen – sie steigt von zehn auf zwölf Prozent und kann damit dem zuletzt in einigen Medien vorausgesagten Absturz in die Bedeutungslosigkeit etwas entgegensetzen. Für die Ost-Länder gilt diese These sowieso nicht – im Gegenteil, bei der ebenfalls 2011 anstehenden Landtagswahl in Sachsen-Anhalt steuert die Linkspartei ähnliche Dimensionen an wie die Grünen in Baden-Württemberg. Letzte demoskopische Wasserstandsmeldung für Sachsen-Anhalt: 30 Prozent LINKE (gleichauf mit der CDU), 21 Prozent SPD.

Bislang allerdings verweigert hier die SPD standhaft eine rot-rote Koalition unter Linkspartei-Führung – wie schon in Thüringen letztes Jahr. Aber vielleicht erkaltet auch in der Ost-SPD noch endgültig die Leidenschaft für eine große Koalition, wie jetzt Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid für sein Land konstatierte. Und vielleicht liest man auch in der SPD Ost den Merksatz von Erhard Eppler bis zu Ende: »Wir müssen über unseren Schatten springen, keine Frage, aber das muss man als Partei immer mal wieder.«

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