Vertrag ohne Vertrauen

Jurist sieht in Urteilsbegründung zu »Emmely« Stärkung von Beschäftigtenrechten

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.
Die jetzt veröffentlichte Urteilsbegründung im Fall »Emmely« könnte Rechte von Beschäftigten stärken, meint ihr Anwalt – und fordert gleichzeitig eine Reform des Kündigungsrechts.

Die Kündigung der Berliner »Kaiser's«-Kassiererin Emmely wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro sorgte in der ganzen Republik für Empörung. Nach einem Verfahren von insgesamt zweieinhalb Jahren gewann Emmely ihre Kündigungsschutzklage in der dritten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht im Juni 2010. Sie arbeitet seit Monaten wieder als Kassiererin.

Betriebszugehörigkeit zählt

Jetzt wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht. »Dort finden sich einige Punkte, die die Rechte von Arbeitnehmern auch in der Zukunft stärken könnten«, meint Emmelys Rechtsanwalt Benedikt Hopmann. Ein wichtiger Punkt ist eine Neubestimmung des Begriffs des Vertrauens. Bei einer Verdachtskündigung genügte die Feststellung eines gestörten Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschäftigten und dem Chef. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest: »Eine für lange Zeit ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört.

Da Emmely mehr als 30 Jahre ohne Beschwerden als Kassiererin gearbeitet hat, rechtfertigt ein Verdacht auf Unterschlagung von zwei Bons keine Kündigung. Hopmann sieht in dieser gerichtlichen Argumentation einen ersten Schritt, um den Begriff des Vertrauens aus dem Arbeitsrecht zu entfernen. »Schließlich handle es sich um ein Vertrags- und nicht um ein Vertrauensverhältnis«, betont der Jurist. Hopmann nannte einen weiteren Grund, um den Begriff des Vertrauens zu hinterfragen: »Im Nationalsozialismus wurde mit dem Verweis auf fehlendes Vertrauen massenhaft unliebsamen Arbeitern gekündigt«.

Emmelys Rehabilitation

In der Urteilsbegründung wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass Emmelys Verhalten vor Gericht und ihren Kollegen gegenüber nicht zu beanstanden ist. Damit wurde die Einschätzung des Landesarbeitsgerichts korrigiert, das die Kassiererin beschuldigt hatte, im Prozess falsche Angaben gemacht und Kollegen der Unterschlagung der Flaschenbons beschuldigt zu haben. Diese Beschuldigungen seien in konservativen Medien und von Untenehmerverbänden aufgegriffen worden, um Emmely zu diskreditieren, so Hopmann. Höhepunkt war ein juristischer Aufsatz des Burschenschaftlers und Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR), Volker Rieble, in der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift. Dort bezeichnete er Emmely als notorische Lügnerin.

Der Erfolg vor Gericht mache eine Reform des Kündigungsrechts nicht überflüssig, so Hopmann. Es müsse ausgeschlossen werden, dass in erstmaligen Bagatellfällen überhaupt gekündigt wird. Er lobte den Gesetzentwurf der Linksfraktion. Damit würden Verdachtskündigungen generell ausgeschlossen. Die von SPD und Grünen eingebrachten Entwürfe gingen da nicht weit genug, meint der Anwalt.

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