Schuldenbremse kommt nicht in Fahrt

In Hessen herrscht Skepsis über Nutzen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem Wege zu einer Volksabstimmung über die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Hessische Landesverfassung muss die CDU/FDP-Koalition mit Widerstand der Gewerkschaften und Sozialverbände rechnen.

Auf Einladung der fünf Fraktionen des Hessischen Landtages kamen am Mittwoch Sachverständige, Wissenschaftler, Kommunalpolitiker, Verbandsvertreter und Gewerkschafter zu einer ganztägigen Expertenanhörung des Haushaltsausschusses zusammen. Thema: Einführung einer Schuldenbremse.

Wenig überraschend war, dass mit Clemens Christmann, Sprecher der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, das Vorhaben der Landesregierung ausdrücklich begrüßte und auch vor einer Lockerung der Schuldenbremse warnte. Christmann arbeitete bis Mai 2009 für Ex-Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) und steht für eine enge Verzahnung zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht. Rückhalt fand die Wiesbadener Koalition auch beim Bund der Steuerzahler und der Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Handwerkskammern.

Hingegen fiel der Applaus der geladenen Wissenschaftler geringer aus, als es die Koalitionäre erwartet haben dürften. So bemängelte der Gießener Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Scherf eine vergleichsweise hohe Steuer- und Abgabenbelastung deutscher Arbeitseinkommen und richtete den Blick auf die Einnahmeseite des Staates: »Durch die Steuerpolitik der letzten zehn Jahre hat sich das deutsche Steuersystem immer weiter vom Ideal einer gleichen und progressiven Besteuerung aller Einkommen entfernt.«

Auf hausgemachte Einnahmeausfälle verwies Klemens Himpele vom Bund demokratischer Wissenschaftler: »Das Land Hessen hat diesen Steuersenkungen im Bundesrat regelmäßig zugestimmt.« Skeptisch zeigten sich auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände. Sie befürchten eine Kürzung der Landeszuweisungen an die Kommunen, sollte es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition bleiben. Für einen Verzicht auf die geplante Verfassungsänderung plädierte die Liga der Freien Wohlfahrtspflege, die einen »handlungs- und leistungsfähigen Staat mit ausreichenden Einkommen« forderte.

Als Gegner der geplanten Schuldenbremse traten insbesondere die Gewerkschaften in Erscheinung. So widersprach DGB-Landeschef Stefan Körzell dem »Generationenargument« von CDU und FDP. Die Schuldenbremse stelle keine Generationengerechtigkeit her, sondern verhindere diese, wenn sie etwa auf eine dringend notwendige Ausgabensteigerung bei Bildung und Forschung verzichte, so Körzell.

Ver.di-Landesleiter Jürgen Both- ner bezeichnete den schwarz-gelben Gesetzentwurf als »Vollbremsung für kommunale Infrastrukturmaßnahmen bei Kindertagesstätten, Schulbau, Schwimmbädern, Bibliotheken und Straßensanierung« und für Institutionen, die sich auch aus Landeszuschüssen finanzieren.« Falls die Landesregierung bei ihrem Vorhaben bleibe, am 27. März zeitgleich mit den Kommunalwahlen das Volk über die Verfassungsänderung zur Schuldenbremse abstimmen zu lassen, werde sich ver.di wahrscheinlich einem möglichen Bündnis gegen die Schuldenbremse anschließen, deutete Bothner an. Ob der CDU-nahe Deutsche Beamtenbund (dbb) ein Bündnispartner werden könnte, wird sich zeigen. Immerhin sieht auch der dbb »keine Notwendigkeit« für das Vorhaben und warnt vor einem »Blankoscheck« für eine Schwächung des öffentlichen Dienstes und vor »Sonderopfern für Beamte«.

Es wird erwartet, dass eine endgültige Weichenstellung bis Mitte November erfolgt. Dann dürfte feststehen, ob Schwarz-Gelb Grüne und SPD mit ins Boot ziehen kann. Und ob die LINKE, die vor dem Landtag Transparente mit der Aufschrift »Schuldenbremse heißt Sozialabbau« entrollte, als einzige Oppositionspartei im Schulterschluss mit den Gewerkschaften gegen die Schuldenbremse ins Feld ziehen wird.

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