Vom Glück befriedigender Arbeit

Heute begeht die Schriftstellerin Elfriede Brüning die Vollendung eines Jahrhunderts – ihres Jahrhunderts

»Schreiben musste ich immer.« Elfrieder Brüning hält ihrer Schreibmaschine die Treue.
»Schreiben musste ich immer.« Elfrieder Brüning hält ihrer Schreibmaschine die Treue.

Wir sitzen im sonnendurchfluteten Erker ihrer kleinen, aber feinen Neubauwohnung in Berlin, genießen Tee aus zarten Porzellantassen und laben uns an Obsttörtchen. Elfriede Brüning erzählt aus ihrem Leben.

Hundert Jahre währt bereits ihr Erdendasein. Man möchte es kaum glauben. Man sieht es ihr nicht an. Ein stattliches Alter, das zu erreichen nicht selbstverständlich für eine Generation ist, die in das »Jahrhundert der Extreme« (Eric Hobsbawm) hineingeboren wurde, zwei Weltenbrände miterlebt, die furchtbarste Diktatur seit Menschengedenken durchlitten, Bombenkrieg und Hungerjahre zu überstehen hatte. Und alsbald sich in einem neuen Krieg, einem kalten mit heißen Fronten, wiederfand. Und schließlich noch einmal in einen Strudel umstürzender welthistorischer Ereignissen gerissen wurde.

»Ich habe vier Staatsformen durchlebt«, sagt sie. »Das Wilhelminische Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Faschismus und den versuchten Sozialismus in der DDR. Und nun bin ich wieder im Kapitalismus gelandet.« Elfriede Brüning hadert mit dieser Gesellschaft, die an Ungerechtigkeit und neuen Kriegen krankt. Sie hat eine freie, gerechte sozialistische Gesellschaft schon in ihrer frühen Jugend herbeigesehnt und sich, als es soweit war, eine solche aufzubauen, eingebracht und engagiert. Hat sie nie gezweifelt? Doch, mitunter schon.

Einmal war die Versuchung groß. Sie flanierte mit ihrer Freundin und Schriftstellerkollegin Berta Waterstradt (ein Privileg: Elfriedes Ex-Mann war im Westen) auf dem Ku'damm, als die Nachricht vom Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in die Tschechoslowakei die Spaziergängerinnen aufschreckte. »Das war ein Schock. Wir überlegten, ob wir in Westberlin bleiben sollten.« Die gewaltsame Zerschlagung des Prager Frühlings, der auch Hoffnungen unter Intellektuellen und Künstlern in der DDR geweckt hatte, passte nicht zu ihrer Vorstellung von Sozialismus. »Was konnten wir noch erwarten?« Die Freundinnen blieben nicht im Westen. »Plötzlich schämten wir uns unserer Überlegungen. Wir hofften noch immer, in der DDR am ehesten unsere Ideale verwirklichen zu können.«

Dafür schrieb und tippte sie emsig. Und verstand nicht, warum ihre helfende Kritik nicht angenommen, statt dessen oft rüde abgewiesen worden ist. Wie etwa ihre »Regine Haberkorn«. Für dieses Buch hat sie in Henningsdorf recherchiert. Sensibel erfasste sie den Unmut der Arbeiterinnen über die schleppende Lieferung von Arbeitsmaterial, weshalb sie oft zur Untätigkeit verurteilt waren, während andererseits von ihnen stetige Erhöhung der Arbeitsproduktivität verlangt wurde. Auch die Unzufriedenheit über das miserable Essen in der Werkskantine wie die allgemein schlechte Versorgungslage im Lande. Das Fass zum Überlaufen brachte die überraschende Normerhöhung. Der 17. Juni 1953 wurde von Sowjetpanzern niedergewalzt. Als Elfriedes Regine-Buch zwei Jahre später erschien, passte es den in Selbstherrlichkeit und Selbstgefälligkeit zurückgefallenen Regierenden nicht. Während das Buch in der Bevölkerung reißenden Absatz fand, innerhalb kurzer Frist die 100 000er Marke verkaufter Exemplare überschritten war, wurde es in der Parteipresse verrissen.

Ähnlich erging es ihr mit dem Buch »Rom, hauptpostlagernd« (1958); es sei nicht geeignet, die Jugend enger an die Partei und den Sozialismus zu binden. »Man forderte von uns Schriftstellern, Propagandisten der Partei zu sein und die Wirklichkeit schönzufärben.« Ihrem ABF-Buch »Vor uns das Leben« wurde vorgehalten, die FDJ- und Parteiarbeit an den Arbeiter- und Bauern-Fakultäten nicht ausreichend zu würdigen.

»Man musste sich also, wenn man schrieb, eine dicke Haut zulegen«, erinnert sich Elfriede. Es fiel ihr schwer, aber was blieb ihr anderes übrig. »Keinen Augenblick kam mir der Gedanke aufzugeben. Was hätte ich auch anderes tun können als weiterzuschreiben?« Elfriede ist noch heute Lilly Becher, der Frau des Kulturministers Johannes R. B., dankbar. Sie nahm die von den Kritikern immer wieder attackierte Schriftstellerin in Schutz: »Es hat einen guten Grund, dass ihre Romane und Erzählungen zu den beliebtesten Büchern unserer Werktätigen gehören … Sie spricht von den Berufssorgen der arbeitenden Frauen, vom Leben der Studentin, befasst sich mit Problemen der Ehe, der Scheidung, der Kindererziehung, den Nöten der alleinstehenden Frauen. Sie kennt keine Scheu vor sogenannten heißen Eisen.«

Das Lesepublikum bestätigte es, dankte es ihr. Über 1,5 Millionen Bücher hat Elfriede bis heute unter das Volk gebracht. Das ist Bestsellerverdächtig. »Heiße Eisen« hat sie auch nach 1990 nicht gescheut. Schlagzeilen in der Boulevardpresse brachten sie dazu, die Adoptionspraxis in der DDR und Kinderheime unter die Lupe zu nehmen. Rechtsextreme Umtriebe erregten ihren schreibenden Zorn. Noch vor der deutschen Vereinigung verfasste sie ein Buch über ein in der DDR tabuisiertes Thema. In »Lästige Zeugen?« verarbeitete sie Tonbandprotokolle mit Opfern des Stalinismus. Elfriede hatte nach dem Krieg eine Zeit lang an der Seite von Susanne Leonhard gearbeitet, zu ihren Vorbildern gehörte Trude Richter, die 20 Jahre in einem Arbeitsbesserungslager in Sibirien zubringen musste.

Vor allem hatten es Elfriede immer wieder Schicksale antifaschistischer Widerstandskämpfer angetan. 1949 erschien ihre Hommage an Hans und Hilde Coppi, die 1942/43 hingerichteten Mitglieder der »Roten Kapelle«. Mit deren Sohn, zum Erscheinen ihres Buches » ...damit du weiterlebst« (1949) noch ein Knabe, verbindet sie mittlerweile eine langjährige Vertrautheit. Und mit dem dieser Tage im Berliner Karl Dietz Verlag neu aufgelegten Porträtband »Gefährtinnen« erinnert Elfriede an acht Frauen, die ihren Lebensweg gekreuzt haben, mit denen sie ähnliche schmerzliche Erfahrungen, Enttäuschungen, Niederlagen und Verluste im extremen Jahrhundert teilte.

»Alles in allem hatte ich aber stets großen Dusel«, sagt die Berlinerin. In der Tat, es hätte auch anders, böse für sie ausgehen können, als sie – noch nicht 25 Lenze alt – von der Gestapo verhaftet wurde. In der Berliner Gruppe des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, der die junge Kommunistin seit 1932 angehörte, hatte sich ein Spitzel eingeschlichen. Felix hieß der Unglücksbringer. Zum Glück wussten die Gestapo-Beamten, die sie im Herbst 1935 in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße verhörten, nichts von ihren Kurierfahrten über die tschechische Grenze. Elfriede hatte mehrfach Artikel der Bund-Mitglieder für die in Prag vom Malik-Verlag herausgegebene Zeitschrift »Neue Deutsche Blätter« geschmuggelt, einmal auch das Protokoll einer Pressekonferenz von Reichspropagandaminister Goebbels – »bangen Herzens, aber wider Erwarten ging alles gut«. Mit ihren blonden Haaren, so vermutet Elfriede Brüning, sei sie wohl den Kontrolleuren unverdächtig erschienen. Monatelang ließ die Gestapo Elfriede im Frauengefängnis in der Barnimstraße im Ungewissen. Dann jedoch musste die Anklage auf »Landesverrat« aus Mangel an Beweisen fallen gelassen werden. In der Einzelhaft hatte Elfriede derweil einen unverfänglichen Liebesroman verfasst. »Junges Herz muss wandern« ist nach »Und außerdem ist Sommer« (1934) ihre zweite Erzählung, die auf dem Buchmarkt erschien. Ihr erstes Manuskript »Handwerk hat goldenen Boden«, in dem die Tochter eines Tischlers und einer Näherin die Not in der Weltwirtschaftskrise verarbeitete, war beendet, als die Nazis an die Macht gelangt waren und fand keinen Verleger; es erschien erst 40 Jahre später in der DDR (»Kleine Leute«, 1970).

Man spürt, es tut ihr noch heute weh, dass die Schriftsteller der inneren Emigration in der DDR weniger Anerkennung als die aus dem auswärtigen Exil erfuhren. Unselige Hierarchisierung der Opfer und Kämpfer, der KZ-Häftlinge, Résistancekämpfer und deutschen Rotarmisten, Ost- versus Westemigranten. Elfriede weiß, wie schwer das Leben deutscher Antifaschisten im Ausland war. Und doch: Sie konnten kommunizieren. »Wir waren zwölf Jahre lang vom Gedankenaustausch abgeschnitten. Wir vegetierten geistig dahin. Wir standen am Anfang unserer literarischen Entwicklung, die durch Hitler jäh unterbrochen wurde, und mussten 1945 ganz von vorne beginnen.« Elfriede Brüning schaffte es, trotz etlicher Hürden und manch unfairer Behandlung. Sie klagt nicht. Scheint aber bis heute nicht verwunden zu haben, dass ihre Werke von der Kritik eine Zeit lang als seichte Unterhaltungsliteratur abgetan wurde. Sie schrieb dennoch unverdrossen weiter.

»Das Wertvollste ist, neben einem gesunden Körper, eine Arbeit, die Befriedigung gibt. Sie kann beglückender sein als die Liebe, ist beständiger als die Leidenschaft und niemals so quälend wie die Eifersucht«, liest man in ihrer jüngst neu aufgelegten Autobiografie »Und außerdem war es mein Leben« (Neues Leben). Elfriede hatte zeitlebens Pech in der Liebe. Die Ehe mit dem Schriftsteller Joachim Barckhausen währte nur zehn Jahre, war schon lange vor der Scheidung 1947 zerrüttet. Spätere Amouren blieben unerfüllt und unbefriedigend. Einzig die Schreibmaschine und die Bücher blieben ihr stets treu. Und sind es noch heute. Vermutlich ist sie die weltweit älteste noch aktive Schriftstellerin. Sie kann es nicht lassen. »Schreiben musste ich immer.« In diesem Sinne, liebe Elfriede, bleib weiter fleißig, gesund und munter.

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