Der große Hit vom Mandeln knacken

Das Weihnachtslied »Oh, es riecht gut« entstand in einer kalten Küche in Bautzen

  • Steffi Schweizer
  • Lesedauer: 3 Min.
Jetzt zur Adventszeit schallt das Lied »Oh, es riecht gut« wieder über die Weihnachtsmärkte. Doch dass es aus dem sächsischen Bautzen kommt, weiß kaum jemand.

Bautzen war die Wahlheimat und Wirkungsstätte der Tanz- und Musikpädagogin Christel Ulbrich. Im Fröbelschen Sinne ausgebildet, lehrte sie an staatlichen und kirchlichen Einrichtungen, sie arbeitete mit Kindergärtnerinnen, war Mentorin und eine international anerkannte Therapeutin. Um ihr eigenes Lied, das im Osten immer noch populäre »Oh, es riecht gut«, machte sie jedoch kein Aufhebens. Christel Ulbrich sang es mit Kindergärtnerinnen, die sie immer wieder zu einer Veröffentlichung drängten. Doch erst 1957 – acht Jahre nach seiner Entstehung – erschien das bis dahin unbekannte Lied in der DDR-Kinderzeitschrift »Fröhlich sein und singen«. Sein Name lautete damals noch »Weihnachtsbäckerei«. Wie es genau entstand, daran erinnert sich heute noch die Tochter der 1996 verstorbenen Christel Ulbrich.

Es war die Zeit nach dem Krieg, als Butter und Milch rationiert, Rosinen und Mandeln gar Luxus waren. Die Kinder fieberten der Adventszeit mit ihren süßen Plätzchen und duftenden Stollen entgegen. Die feinen Zutaten kamen nicht selten in einem Paket aus dem Westen. Dann hieß es Mandeln knacken, Rosinen lesen, Mehl sieben und alle Zutaten abwiegen. In einem Wäschekorb wurden sie schließlich mit dem Handwagen zum Bäcker gefahren. Der buk die Stollen: zehn und mehr Laibe. Aus übrig gebliebenen Zutaten buk man Plätzchen: Sterne, Kringel, Herzen.

Auch bei Familie Ulbrich war das so. Die Tochter der Lied-Autorin, Almut Jungnickel, sollte mit ihren Brüdern beim Backen helfen. »Es muss 1949 gewesen sein. Ich war acht Jahre alt. Wir hatten eine große, kalte Küche und keine Möglichkeit, sie zu heizen. Wir scheuten uns, mehrere Jacken übereinander zu ziehen und mitzumachen. Aber mit dem Gesang hat uns unsere Mutter gekriegt. Denn das war spannend. So ist Strophe für Strophe entstanden.« Christel Ulbrich ahnte zu dieser Zeit nicht, dass ihr in der kalten Küche ein musikalischer Wurf gelungen war. »Das ist so nebenbei passiert«, lacht Almut Jungnickel.

Ursache für die schnelle Verbreitung war neben dem kindgerechten Text auch die eingängige Melodie, bestätigt der Musiklehrer und Pianist Werner Uhlmann. Er hörte die Weise als einer der Ersten: »Christel nahm mich beiseite: ›Ich habe hier etwas, könntest du mir helfen?‹ Sie sang dieses Lied, ich zeichnete fünf Linien auf ein Stück Papier und notierte die Noten.« Für den Musiker Uhlmann steckt darin die Ur-Form des Kinderliedes »Backe-Backe-Kuchen«.

In der DDR wuchs jedes Kind mit »Oh, es riecht gut« auf, doch nach der Wende verschwand es aus den Schulbüchern und geriet nahezu in Vergessenheit. Einmal kam die Anfrage eines Kabaretts, das die Melodie für eine Honecker-Parodie nutzen wollte. »Solch einen Humbug wollte Mutter nicht«, sagt Almut Jungnickel. Manchmal flatterten bei der hoch betagten Autorin noch Briefe der Verwertungsgesellschaft GEMA ins Haus: es ging um drei Mark oder 75 Pfennige.

Christel Ulbrich hat damit kein Geld verdient. Doch das Lied blieb lebendig und erfährt nun auch wieder eine öffentliche Anerkennung. Nicht nur auf Weihnachtsmärkten. Auch der Kinderchor der Philharmonie Dresden nahm es auf Platten auf. Almut Jungnickel bestätigt: »Es ist wieder auf dem Vormarsch«. Als »Oh, es riecht gut« im Hans-Otto-Theater in Potsdam erklang, schickte Frau Jungnickel ihre Enkeltochter zum Pianisten: »Geh hin und sag, das Lied ist von deiner Urgroßmutter …«

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