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Es muss ja nicht Bach sein

Weihnachtsoratorium

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Weihnachtsoratorium, wer denkt da nicht an Johann Sebastian Bach? Die Berliner Singakademie und ihr langjähriger Dirigent Achim Zimmermann. Mit einem »anderen« Weihnachtsoratorium, nämlich jenem von Carl Heinrich Graun, luden sie zu einer Entdeckungsreise in die Vergangenheit.

Carl Heinrich Graun (1703 oder 1704–1759), aus dem sächsischen Wahrenbrück stammend und in der Dresdner Kreuzschule musikalisch ausgebildet, später Hofkapellmeister Friedrichs II. in Berlin, war Zeitgenosse von Bach und Händel, deren gestalterische Meisterschaft ihn offenbar inspiriert hat: kompositionstechnisch, instrumentatorisch, gestisch. Sein Weihnachtsoratorium ist eigentlich eine umfangreiche Kantate: »Mache dich auf, werde Licht«. Das Libretto eines unbekannten Dichters fügt, durch Bibelverse ergänzt, Einzelsätze zusammen: Chöre, Rezitative, Arien. Die Musik, kunstvoll und abwechslungsreich, wirkt eher konzertant als verinnerlicht wie bei Bach. Virtuosität des Sologesangs brilliert in Dacapo-Arien, was den Opernkomponisten Graun erkennen, ja dominieren lässt. Die Chöre wandeln nicht selten auf Spuren Händels, wie die Eröffnung oder das von Trompeten überglänzte Finale. Choräle sind nicht nur Ruhepunkte, sondern ursprünglich auch dem Mitgesang der Kirchengemeinde vorbehalten und daher leider nicht ohne Überlängen (sieben Strophen bei »Wie soll ich dich empfangen«, bekannt aus Bachs Matthäuspassion). Überhaupt herrscht Kontemplatives vor, ist Dramatisches selten.

Der Text wirkt oft verschroben und ist mit merkwürdigen Sprachbildern versehen. So, wenn es heißt: »Abgrund krache, Tod erzittre«, wenn »des Herzens nasse Sehnsuchtstriebe« vernommen werden oder »… mein Herz dein Wohnhaus sein« muss. Das Ganze ist dramaturgisch problematisch. Aber: Was an diesem Abend zu hören war, fesselte. Zimmermanns intensives Dirigat brachte die musikantische Frische, die Klangfreude und Energie Grauns prachtvoll zur Geltung. Dabei war ihm das Ensemble aller Mitwirkenden zuverlässig und mit starker Ausstrahlung zur Seite: der glänzend einstudierte, homogen voluminöse Chor (der das Programm mit zwei Motetten von Heinrich Schütz in wunderbarem A-Cappella-Gesang begonnen hatte). Ferner das mit spielerischem Esprit (besonders bei obligaten Arienbegleitungen) aufwartende Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, ein vorzügliches Solistenquartett, das den virtuosen Belcanto brillant meisterte: vor allem Sophie Klußmann mit strahlendem Sopran und Susanne Langner mit schönem Alt. Sie bezauberten unter anderem im einzigen Duett durch feinen lyrischen Ausdruck. Dazu sonore Tenor- und Basswürde von Michael Smallwood und Tobias Berndt.

Bach und Graun, wer beide Weihnachtsoratorien gehört hat, wird einem Vergleich nicht ausweichen können. Er kann nicht gerecht sein. Da hat die Geschichte wohl ihr Urteil zu Gunsten des einstigen Thomaskantors gefällt. Aber die Musik des C.H.G. hat kraftvolle Ausstrahlung und ihre Hörer erreicht. Die Ensembles und ihr Dirigent hatten spürbare Freude an vitalem Spiel. Darin lag auch der Weihnachtsspaß fürs Publikum. Dankbarer Beifall.

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