Umweltschutz – ein Luxusproblem?

Muslime mahnen eine ökologische Neubesinnung ihrer Religionsgemeinschaft an

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 8 Min.
Umweltschutz – ein Luxusproblem?

Ein Winterabend in Berlin-Kreuzberg, Statthaus Böcklerpark. Kinder, Mütter und Mitarbeiter des türkisch-deutschen Umweltzentrums wärmen sich am Lagerfeuer und machen sich Stockbrot. Viele von ihnen sprechen abwechselnd Deutsch oder Türkisch, manche Frauen und Mädchen tragen ein Kopftuch. »Natur als Zweitsprache« heißt das Lern- und Erlebnisprogramm der binationalen Ökogruppe. Draußen im Park sein, ein erster Schritt, um mitten in der Stadt unter freiem Himmel eine Ahnung von der menschlichen Verbindung zur Umwelt zu erhalten.

Manche junge Mutter ist zum ersten Mal hier. Sie sei in der Stadt aufgewachsen und habe sich um Naturschutz bisher kaum gekümmert, sagt eine von ihnen, und noch weniger darum, dass das etwas mit ihrer Religion zu tun haben könnte. »Ich bin keine strenge Muslima. Es ist keine Abneigung, sondern eher Unwissenheit. Denn Umwelt geht uns alle an, egal welche Religion, Nationalität und Hautfarbe«, sagt sie. Eine andere Frau am Lagerfeuer erinnert sich: »Ich weiß, dass Großmutter auf dem Dorf immer Regenwasser gesammelt hat. Für uns Alewiten, für meine Omas und Opas, waren die fünf Elemente – Feuer, Sonne, Erde, Wasser, Luft – immer sehr wichtig.« Der Umgang mit der Natur und der Glaube, dass es sich um die bewahrenswerte Schöpfung Gottes handelt, war für die Großeltern noch eine Selbstverständlichkeit. Aber für die Kinder und Enkel mitten in der Stadt scheint der Glaube daran verloren zu sein. Das sei auch ein bisschen viel verlangt, ärgert sich eine dritte Muslima. »Ich denke, die Muslime hier in Deutschland haben gravierend andere Probleme, zum Beispiel, dass sie in die Schublade Muslim gleich Terrorist gesteckt werden«, klagt sie. Ist der Umweltschutz also nur ein Luxusproblem?

Das sieht der Gründer des türkisch-deutschen Umweltzentrums, der promovierte Agrarwissenschaftler Turgut Altug, ganz und gar nicht so.

Jeder könne in seinem Lebensbereich etwas tun. »Zum Beispiel haben wir einen interkulturellen Bio-Garten. Dort gärtnern 14 Familien aus verschiedenen Ländern. Für mich ist es ein guter Zugang zur Natur, sich mit Erde zu beschäftigen, etwas zu kochen oder Lebensmittel vorzubereiten«, schwärmt Altug. Auch wenn er sich selbst als Agnostiker bezeichnet, ist es für ihn wichtig, in Sachen Umweltzerziehung gerade auch die gläubigen Muslime mit ins Boot zu holen. »Wir haben bereits in Moscheen Klima-Frühstücke veranstaltet, um zu zeigen, welche Lebensmittel besonders umweltschädlich hergestellt werden. Wir würden gerne auch Workshops mit Imamen machen, weil sie bei Freitagsgebeten viele Menschen erreichen könnten«, versucht Altug das Umwelt-Engagement auch den Gläubigen schmackhaft zu machen.

Erstaunlich ist, dass bereits Ende der 1970er Jahre in den christlichen Kirchen eine breite Umweltbewegung entstand, die auch mit zur Gründung der Partei »Die Grünen« führte. »Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung« waren in den 1980er Jahren die Schlagworte fast jeder Predigt und des theologischen Denkens. Doch die über vier Millionen Muslime in Deutschland scheinen davon fast völlig unberührt zu sein. Eine Ökobewegung sucht man in den Moscheen bis heute vergebens.

Dabei ließen sich im Koran und in den Hadithen, den gesammelten Sprüchen des Propheten Mohammed, durchaus theologische Impulse dafür finden. »Das wissen die meisten Muslime nicht: Das erste, was Mohammed in Medina tat, war, dass er die heilige Stadt zu einer Sperrzone machte. Man darf dort nicht jagen, man darf keine Bäume schneiden«, weiß der Biologe Abdul Naser Al-Masri aus Hannover. Der Mensch gilt im Islam als Stellvertreter Gottes. Er ist also sein Kalif, sein Hüter der Schöpfung. Als Ideal der Schöpfung gilt im Islam bis heute das Paradies, nicht etwa als naturbelassener Urwald, sondern als Garten, altpersisch Para-daeza. Gut 130 Mal wird das göttliche Paradies als Verheißung für den gläubigen Muslim im Koran erwähnt. In manchen Suren wird sogar von vier Paradiesgärten gesprochen, oder eben von vier Paradiesflüssen, die das Paradies unterteilen. Eine göttliche Landschaftsarchitektur! Das arabische Haus gilt letztlich als Kopie dieses Paradiesgartens. Eine Außenmauer schützt vor der lebensfeindlichen und wasserarmen Außenwelt. In der Mitte des Hofes entspringt der Brunnen und ergießt sich in einen blühenden Innenhofgarten.

Vielleicht ist aber gerade auch diese Paradiesvorstellung ein Grund dafür, dass Muslime in ihrem Privatbereich oftmals auf penibelste Sauberkeit und geradezu himmlische Ordnung bedacht sind, vor der Haustür sich aber meist weniger um den Schutz der Umwelt scheren. Auch die Rechtsgelehrten und islamischen Rechtsschulen würden sich kaum um Umwelt-Probleme kümmern, Öko-Fatwas suche man weltweit vergebens, dabei stehen die Glaubensquellen des Islams dem im Grunde entgegen, empört sich der Biologe Abdul Naser Al Masri.

Eine Reihe kleinerer Umweltgruppen versucht allerdings seit Jahren, die Gläubigen auf die religiösen Grundlagen des Umweltschutzes aufmerksam zu machen. Sie drängen darauf, dass es angesichts der globalen Klimaprobleme nicht reicht, fünf Mal am Tag zu beten und die Fastenzeit einzuhalten, um ein gottgefälliger Muslim zu sein. Die junge Studentin Yasemin Aydemir vom Yesil Çember, dem Grünen Kreis beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), hält in der Kreuzberger DITIB-Moschee in der Wiener Straße einen Vortrag zum Energiesparen. Vor ihr sitzen rund zehn verschleierte Frauen im Hinterhofvortragsraum und lauschen ihren Ausführungen. »Der Prophet hatte wenig Kleidung. Dass wir heute im Überfluss leben, ist nicht gut. Zum Beispiel gehen wir zu H&M und kaufen für 4 Euro ein T-Shirt und wissen nicht, wo und wie das produziert wurde. Der Prophet sagt, dass wir bei der rituellen Waschung das Wasser nicht verschwenden sollen. Wir müssen Tiere mit Respekt behandeln und Fleisch nur in Maßen verzehren«, trägt Aydemir in fließendem Türkisch vor. Gerade in vielen muslimischen Haushalten gelte in puncto Fleischverzehr vor allem die Maxime: viel und billig! Bei überdurchschnittlich vielen türkischen und arabischen Kindern und Jugendlichen ist Übergewichtigkeit mittlerweile ein Dauerproblem.

Vor fünf Jahren wurde Yesil Çember gegründet. Heute sind es mehr als ein Dutzend Aktivistinnen, die in ihren Vorträgen unermüdlich etwa auf bewussten, reduzierten und möglichst ökologischen Fleischkonsum hinweisen. In der Regel geht es in ihren Vorträgen um zwei Punkte. Erstens: Der Koran und die Lehre des Islams verlangen einen achtsamen Umgang mit der Natur. Zweitens: Mit Mülltrennung, moderatem Heizen, kurzem Lüften der Zimmer, Einsatz von Energiesparlampen oder Steckerleisten, um den Strom generell abzuschalten, lässt sich jede Menge Geld sparen.

Die Frauen im Kreis sind beeindruckt. Bisher haben sie in ihrer Moschee kaum etwas vom Umweltschutz gehört. Bei der Freitagspredigt sei das nur ein Mal ein Thema gewesen, erinnern sie sich. Immerhin habe es im Umkreis der Moschee schon vorab eine Ausbildung interessierter Frauen zu Haushaltsberaterinnen gegeben. Aber dass Muslime sich konkret für den Umweltschutz einsetzten, sei leider noch ein sehr seltenes Phänomen. Das liege aber auch daran, dass sich die großen Verbände wie Greenpeace, Nabu, BUND oder WWF bisher kaum um diese Zielgruppe gekümmert hätten. Man hätte zu lange gewartet, auch Migranten auf die Umweltproblematik hin anzusprechen und zu mobilisieren. Und es sei vor allem verpasst worden, dieses Anliegen mit der Religion zu verknüpfen, sagt Yasemin Aydemir.

Braucht es also angesichts der weltweiten Klimaproblematik ein radikales Umdenken im Islam? Braucht es eine Art neuen »Öko-Islam« für die rund 1,5 Milliarden Muslime weltweit? Es gibt bereits erste Ansätze für ein neues Umweltdenken in muslimischen Communities. So wurde in Singapur im Mai 2009 die erste green eco mosque (Grüne Öko-Moschee) eingeweiht. »Die hat eine Solaranlage, um Wasser für die Gebetswaschungen zu erwärmen. Es gibt Solarschläuche, um Sonnenlicht zu konzentrieren und in den Innenraum zu führen. Es gibt ein Gartendach, Bewegungsmelder für Licht, wassersparende Systeme in den Sanitäranlagen, eine grüne Wand mit Pflanzen, damit im Gebetsraum angenehme Ruhe herrscht«, schwärmt der Aachener Politologe Mounir Azzaoui, der die Idee der »Grünen Moschee« weltweit untersucht hat. Ähnliche Projekte gibt es in Großbritannien und den USA.

Auch für Deutschland sieht Mounir Azzaoui gerade in den rund 2500 Moscheen enormes Potenzial für eine ökologische Neubesinnung. Die Imame könnten zu Multiplikatoren einer breiten islamischen Umwelterziehung werden. Doch die Realität sieht in der Regel anders aus. »Die 50- bis 60-Jährigen in den Moscheen machen sich wenig Gedanken darüber, was mit den Enkelkindern passiert. Es gibt keine Visionen und das lähmt uns«, beklagt Azzaoui. Ähnlich den Vorbildern im Ausland bräuchten die Muslime in Deutschland Mut für neue Moscheemodelle, ohne Minarette, dafür mit mehr Solarmodulen. Einfach nur das alte aus der Heimat zu kopieren, sei wenig hilfreich. Es fehle so etwas wie eine islamische Debatten-Kultur. Ein muslimischer Öko-Kirchentag zum Beispiel täte Not, regt Azzaoui an.


Die Sufis, die muslimischen Mystiker, betrachteten die Natur als allgegenwärtige Begegnungsstätte mit Gott. Die Rose nimmt dabei den höchsten Platz ein. Der Legende nach entstand sie aus einem Schweißtropfen, den Mohammed während seiner nächtlichen Himmelsreise vergoss. In manchen Texten wird Mohammed selbst mit einer Rose gleichgesetzt. Ihre rund um das Zentrum angeordneten Blätter symbolisieren die Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Propheten in der Mitte. Die Dornen gelten als Symbol für die Schwierigkeiten und Hindernisse, den Islam im Alltag zu leben. Der Duft des Rosengartens versinnlicht die Lieblichkeit der Einheit mit Gott.

Die einzige, die diese Botschaft wirklich versteht, sagen die muslimischen Mystiker, ist die Nachtigall. Wenn die Rose in der Morgensonne die Knospe öffnet, erzählt sie von der Schönheit Gottes, der Auferstehung und den Freuden des Paradieses. Die Nachtigall wird in der mystischen Dichtung zur Liebenden der Rose, sie bilden ein unzertrennliches Paar. In grenzenloser Liebe zu Gott ersticht sich die Nachtigall schließlich an den Dornen der Rose.

Tipp: Die Sendung »Hüter der Schöpfung – Wie grün sind die Muslime?« unseres Autors Thomas Klatt läuft am Sonntag, dem 30.1., von 9.04 bis 9.30 Uhr im rbb-Kulturradio.

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