Die Möglichkeit eines »neuen Sozialismus«
Der Franzose Eric Toussaint wirft einen ökonomischen Blick nach Lateinamerika
Das Thema einer neuen lateinamerikanischen Integration abseits vom kapitalistischen Weltmarkt, für die die »Bank des Südens« prototypisch stehen soll – zumindest aus der Sicht von Venezuela, Bolivien und Ecuador – ist höchst aktuell. Diesem Thema widmet sich der französische Wirtschaftswissenschaftler Eric Toussaint und schon weil zu dieser Frage bislang in Deutschland wenig veröffentlicht wurde, ist das Buch»Die Bank des Südens und die Weltwirtschaftskrise« eine wichtige Bereicherung der Debatte um eine alternative Entwicklung. Nicht zuletzt weil in ihm einige wichtige Stellungnahmen der sozialen Bewegungen des Kontinents zu den behandelten Themen erstmals in deutscher Sprache zugänglich sind, das gleiche gilt für Reden der Präsidenten Rafael Correa (Ecuador) und Evo Morales (Bolivien).
Die Darstellung der Weltfinanzarchitektur im ersten Teil unter dem Blickwinkel der Abhängigkeit der Staaten des Südens ist dabei ebenso gut als Einführung geeignet wie die Erläuterung der möglichen Aufgaben der Bank des Südens, die 2009 als Entwicklungsbank konstituiert wurde und an der so unterschiedliche Staaten wie Venezuela, Bolivien, Brasilien und Argentinien beteiligt sind. Manchmal wird dabei in der Darstellung allerdings nicht ganz klar, welches die offiziellen Positionen sind und welche Vorschläge von Toussaint kommen. Schließlich ist er auch Berater der Regierung Ecuadors in der Schuldenfrage.
So kommen an einigen Stellen neben den notwendigen Aktualisierungen – das Werk ist großteils bereits 2008 entstanden – weitere verwirrende Momente ins Werk. Sie tun der Nützlichkeit der Arbeit im Ganzen jedoch keinen Abbruch. Schließlich bringt Toussaint als Ökonom und Experte für die in Lateinamerika so wichtige Schuldenfrage einen anderen Blickwinkel in die Debatte um die Möglichkeiten eines »neuen Sozialismus«, die sonst meist von Politologen und Historikern bestritten wird. So weist er beispielsweise auf eine Folge der Sozialprogramme in Venezuela hin, die aufgrund der weiterhin kapitalistischen Banken, Lebensmittelindustrie oder Importwirtschaft auch dem nationalen Kapital viele Gewinne beschert. Mit Sozialismus hat das wenig zu tun.
Toussaints Vorschlag, die Außenwirtschaft und die privaten Banken zu verstaatlichen, klingt unter diesen Voraussetzungen erst einmal sinnvoll. Wenn er gleichzeitig aber auf die Probleme der Bürokratie hinweist und nach einer Verstaatlichung genau diese zunächst einmal die Kontrolle übernähme, zeigt dies zumindest einen Teil des Problems, das bei Toussaint unterbelichtet ist. Seine Lösungsvorschläge sind zu sehr auf den Staat fixiert, die Dialektik zwischen Staat und Bewegung, die den Staat beispielsweise im Sinne des »kommunalen Staates« in Venezuela von unten her neu konstituieren kann, betrachtet er zu wenig. Dass dieser Umbau nicht von heute auf morgen geht, ist klar. Dass die Regierungen in Lateinamerika auf dem Weg dahin einiges unternehmen können, um vielleicht auch nur in Teilen mit dem Weltmarkt zu brechen – beispielsweise durch das alternative Staatenbündnis ALBA –, macht Toussaint deutlich. Seine solidarische Kritik an den Entwicklungen ist vielleicht nicht immer zutreffend, es lohnt sich aber, über seine Vorschläge und den Blick des Ökonomen auf die aktuellen Probleme der Emanzipation in Lateinamerika nachzudenken und zu diskutieren. Nicht zuletzt enthält die deutsche Ausgabe einen umfassenden vierten Teil, der die Aussagen von 2008 auf den neuesten Stand zu bringen versucht.
Eric Toussaint: Die Bank des Südens und die Weltwirtschaftskrise. Bolivien, Ecuador, Venezuela und die Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus, Köln/Karlsruhe, Neuer ISP Verlag, 208 S., 19,80 €.
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