Erfolgreich, streitbar, angriffslustig

Der Schriftsteller Erich Loest wird heute 85 Jahre alt

  • Michael Hametner
  • Lesedauer: 6 Min.

Unter den vielen autobiografischen Rückblicken auf die DDR, ist mir Erich Loests »Durch die Erde ein Riß« das wichtigste Buch. Es hält die Augen offen für ein Land, das es heute nicht mehr gibt, aber von dem man einiges wissen muss: dass es seinen Bürgern misstraute, ihnen – wenn sie nicht so wollten, wie sie sollten –- das Recht auf ihr Leben nahm, sie von hinten und aus dem Dunklen heraus angriff. Zugleich erzählt Loests Lebensbuch davon, wie der Angegriffene, der in einem politischen Prozess zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, sich vor der Verzweiflung bewahrt und sich seine Lust zurückholt, Schriftsteller zu sein.

Lust war schon beim Zweiundzwanzigjährigen vorhanden. Sein erster Roman »Jungen, die übrig blieben« (1950) über den langen Weg vom Fanatismus ins Zivilleben hat Erfolg – bei den Lesern, muss man hinzusetzen. Die Parteipresse fragt Loest nach dem positiven Helden wie sie kurze Zeit zuvor bereits Brechts Mutter Courage zu ihren Einsichten in den Krieg befragt hatte. Loest schreibt und schreibt – Liebesgeschichten und Sportgeschichten.

Nach der langen Haftzeit entstehen dann vier oder fünf Krimis, die unter Pseudonym in der Heftchen-Reihe »Blaulicht« an den Zeitungskiosk kommen. Hauptsache: Schreiben und Geld zum Leben. In den 70ern wird ihm klar, dass er sich so als Schriftsteller abmeldet. Aus den Erzählungen seiner Söhne über das zähe Leben dieser Zeit filtert er Wolfgang Wülf heraus, den Helden seines Romans »Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene«. Höchstens noch Diplomingenieur werden, die Jahre bis zur Rente zählen (weil man dann in Westen reisen konnte) und wenn’s hoch kommt noch mal 'ne neue Frau, so leben viele im DDR-Mittelbau der 70er Jahre. Und viele Leser fühlen sich von Loest verstanden. Das Erscheinen des Romans 1977 verdankt sich einer Tauwetterperiode, die bei der Nachauflage schon von kälteren Winden abgelöst ist.

Wieder spult sich die alte Geschichte ab: Loest wird verdächtigt, von der Stasi überwacht und verschafft sich Luft, als er Anfang der 80er das Drei-Jahres-Visum zur Ausreise annimmt und nach Osnabrück aufbricht, später lebt er in Bad Godesberg. Mit dem Kopf bleibt er auf sächsischer Linie von der Geburtsstadt Mittweida bis Leipzig, schreibt seine heimatverbundenen Romane »Völkerschlachtdenkmal« (1984) und »Zwiebelmuster« (1985). Loest entwickelt zugleich Interesse an Stoffen seiner neuen (westdeutschen) Umgebung: am liebsten schreibt er Provinzpossen, spritzt reichlich sächsischen Humor in die Geschichten. Mit »Froschkonzert« schafft er 1987 die beste »Verwertungskette«: Roman, Film fürs Fernsehen und Hörspiel.

Als im Herbst '89 die Friedliche Revolution von Leipzig aus die DDR-Diktatur zum Einsturz brachte, erhielt Loest zu seiner Überraschung die Gelegenheit zur Rückkehr nach Leipzig, nahm 1990 hier einen zweiten Wohnsitz und ließ sich 1998 wieder in Leipzig nieder. – Wie er den Frontstellungen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts unterworfen war, wie Zeitgeschichte an sein eigenes Leben heranrückte und es einstecken wollte, das hat ihn literarisch zu dem gemacht, was er ist: ein Erzähler deutscher Geschichte. Mit dem Blick für die Bruchstellen der Geschichte und für die kleinen Helden.

Seine Vorliebe in der Sprache galt Hemingway: kurz, ohne Schnörkel. Aber in Stoffen und Perspektive des Erzählens »von unten« verwandt mit Hans Fallada, mit dessen Namen es einen Literaturpreis gibt, den er bereits 1981 erhielt. Auch wenn Erich Loerst kürzlich äußerte, er werde in seinem Alter keine Romane und längeren Erzählungen mehr schreiben, ist die Liste seiner Chronik deutscher Geschichte lang: u.a. gehören dazu seine Romane »Nikolaikirche« (1994), »Reichsgericht« (2001) und »Sommergewitter« (2005).

Wie sehr ihm das Erzählen deutscher Geschichte in Geschichten zur Passion geworden ist, bewies er, als er seinen Roman »Völkerschlachtdenkmal« unter dem Titel »Löwenstadt« weiter schrieb. Eine Rückschau auf etwas mehr als 150 Jahre deutsche und sächsische Geschichte, die endete, als die Geschichte an ihr Ende gekommen schien. Doch dann setzte die Friedliche Revolution einen neuen Anfang und Loest schrieb über das alte Romanende hinaus. Ein ungewöhnlicher literarischer Vorgang, aber für Erich Loest, den Erzähler deutscher Geschichte, mit Folgerichtigkeit.

Wenn Erich Loest heute 85 Jahre alt wird, kann er als Mensch wie als Schriftsteller auf ein stolzes Lebenswerk blicken.

Zwei Bücher – beide gerade erschienen – führen zu seinem 85. Geburtstag den Namen Loest im Titel. Da ist zum einen »Geschichte, die noch qualmt – Erich Loest und sein Werk«. Carsten Gansel und Joachim Jacob, beide von der Germanistik der Universität Gießen, hatten anlässlich von Loest dritter Ehrenpromotion 2009 zu einem Kolloquium nach Gießen eingeladen und bieten in dem Sammelband den Ertrag von 17 Autoren auf. Der kann sich lesen lassen, weil er erstmals Loests Werk umfassend betrachtet. Immer wieder werden die Werkspuren in Loests Biografie gesucht und gefunden, Schlüsselwerke auf Schreibweise und Technik untersucht. Im Urteil wird Loest nicht nur als Traditionalist unter den Erzählern anerkannt, sondern auch mit literarischen Techniken beschrieben, die zum modernen Schreibhandwerk gehören. Bereits sein Erstling »Jungen, die übrig blieben« als Roman in Short Storys steht dafür. Vieles an Meinungen über Loests Literatur wird bestätigt, manches durch Detailanalysen neu begründet. – Warum nur fehlt immer noch eine Wertung von Witz, Humor, Satire in seiner Literatur? Das bleibt zu leisten.

Schließlich erfreut sich der Jubilar selbst mit einem Buch: »Man ist ja keine Achtzig mehr« Er hebt damit keinesfalls seinen Entschluss auf, sich von großer Epik verabschiedet zu haben, sondern veröffentlicht die Tagebücher vom Sommer 2008 bis zum September 2010. Tagebuch hat Loest offensichtlich vorher nicht geführt. Jetzt wird ihm die Form der Notiz und des Tageskommentars zur Therapie gegen Beschäftigungslosigkeit. Was so im Understatement ausgedrückt wird, erweist sich als dickschädeliger Zeitkommentar. Die Lektüre fesselt, schon weil der Konflikt mit Sohn und Schwiegertochter, seinen ehemaligen Verlegern im Lindenverlag, breit – zu breit, möchte man rufen – einfließt. Aber nicht nur mit ihnen legt er sich an, auch mit der SPD, der das Interesse an Kultur immer wieder aus der Hand rutscht, mit Leipzigs Linker, der Universität, die zum Tübke-Bild steht und nicht zum von ihm in Auftrag gegebenen Gegenbild, mit den Medien, die ihn ungebührlich lange auf Antwort warten lassen. Auch ich werde vorgeführt, leider liegt dem Angriff ein Missverständnis Loests zugrunde. Aber bei diesen streitlustigen Attacken von ihm nichts abzubekommen, zumal man in derselben Stadt arbeitet, wäre nicht verzeihlich.

Und wo er Recht hat er Recht: Warum kann sich Leipzigs Uni nicht finden, Tübkes-Bild und Loests beim Leipziger Maler Minkewitz für eigenes Geld in Auftrag gegebenes Bild zusammen zu präsentieren? Die Geschichte, zumal der 40 Jahre DDR, braucht nichts mehr als den Dialog und wird ihn in zehn, zwanzig Jahren noch dringlicher brauchen. Für den Dialog steht Loest, zwar manchmal etwas sehr grummelnd, aber von seiner gut funktionierenden Lebenserinnerung in vielem gerechtfertigt. – Deshalb: von Herzen ein Glückwunsch dem Jubilar Erich Loest!

Geschichte, die noch qualmt – Erich Loest und sein Werk. Hg. v. Carsten Gansel und Joachim Jacob. 336 S.
Erich Loest: Man ist ja keine Achtzig mehr. 233 S., Beide Steidl Verlag, Leinen, je 18 €.
Alle Werke von Erich Loest sind im Vertrieb des Plöttner-Verlages Leipzig erhältlich.

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