Unisex-Tarife werden Pflicht

Europäischer Gerichtshof untersagt Geschlechterdiskriminierung bei Versicherungsverträgen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Gleichbehandlung der Geschlechter ist wichtiger als das Interesse der Versicherungswirtschaft. Dies entschied der Europäische Gerichtshof.

Bislang zahlen Männer und Frauen in vielen Fällen unterschiedlich hohe Versicherungsbeiträge. Damit soll es nun vorbei sein: Ab 2012 müssen Versicherer einheitliche Verträge, sogenannte Unisex-Tarife, anbieten, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg. Die Richter begründen ihr Aufsehen erregendes Urteil mit der »Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern«. (Rechtssache C-236/09)

Das Verbot von Diskriminierung nach Geschlecht, Alter oder Herkunft gehört zu den Grundsätzen der EU. Doch gemäß Ausnahmeklauseln unterschieden Versicherungsunternehmen bisher in ihren Tarifen nach Frauen und Männern. Daher gibt es in der Renten-, Lebens-, Kranken- und Kfz-Versicherung geschlechterspezifische Policen. Bei der Tarifkalkulation, so der deutsche Versicherungsverband GDV, handelt es sich um eine »Differenzierung nach dem Risiko, nicht um eine Diskriminierung«. Verbraucherschützer halten dem entgegen, Faktoren wie Lebensgewohnheiten oder ein mögliches Suchtverhalten hätten stärkeren Einfluss als das Geschlecht.

Früher war es noch schlimmer: Bis in die 1980er Jahre mussten Verbraucherinnen 50 Prozent höhere Beiträge für einen Schutz gegen Berufsunfähigkeit zahlen als Männer – egal, welchen Beruf sie ausübten. Die bundesdeutschen Versicherer begründeten diese Schieflage mit einem Mangel an Erfahrungen mit berufstätigen Frauen. Proteste von Verbraucherschützern und Frauenverbänden führten jedoch zum Ende dieser Diskriminierung. Berufsunfähigkeitstarife wurden neu kalkuliert und die Beiträge richten sich heute allein nach dem Risikofaktor, den der ausgeübte Beruf des Antragstellers mit sich bringt. Bei der Riester-Rente gelten seit 2006 Unisex-Tarife.

Bei anderen Versicherungsarten blieb alles beim Alten. Ein erster Versuch der EU-Kommission, geschlechterdifferenzierte Tarife zu verbieten, scheiterte am Widerstand der Versicherungslobby, die vor allem bei den lukrativen Renten- und Lebensversicherungen ein Abwandern der Kunden zu Fonds und Banken befürchtete. Im Oktober 2004 stoppten die nationalen Regierungen das Reformprojekt »Unisex-Tarife«. Gegen die Nichtumsetzung der EU-Richtlinie klagte die belgische Verbrauchervereinigung Test-Achats vor dem heimischen Verfassungsgerichtshof. Dieser rief den EuGH um eine Grundsatzentscheidung an.

Die Versicherungswirtschaft will sich damit aber nicht abfinden. So forderte der GDV indirekt den EU-Gesetzgeber zum Eingreifen auf. Der Luxemburger Gerichtshof habe »ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft in Frage gestellt«. Nach dem Urteil muss die Versicherungsbranche bis spätestens 21. Dezember 2012 einheitliche Tarife für Männer und Frauen anbieten. Ob auch bestehende Altverträge künftig ungültig sind, ließen die Richter in dem Urteil offen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte das Urteil, befürchtet allerdings, dass die Tarife zunächst für alle teurer werden könnten. Hier müssten die Aufsichtsbehörden genau hingucken. Verbraucherschützer raten, laufende Versicherungen nicht vorzeitig zu kündigen. Kommentar Seite 8

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