Der Labormaus-Retter

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Eines Abends gehe ich noch mal in mein Hongkonger Labor. Es raschelt in der Ecke. Ich schaue genauer hin: Meine chinesischen Labormäuse haben in ihrem Käfig ein Bild aufgehängt. Das Porträt eines unrasierten Mannes mit wuscheligem Haar und breitem Grinsen: Das ist doch Prof. Stefan Dübel, der kürzlich bei uns einen Vortrag gehalten hat! Treue Biolumne-Leser kennen ihn bereits. Er ist derzeit Leiter der Biotechnologie an der TU Braunschweig.

Wieso diese Mäuse-Verehrung für Stefan – und nicht für mich?! Nun, die Forschungen von Dübel versprechen, unzähligen Labormäusen das Leben zu retten!

Beim Besuch in Hongkong erzählte er mir: »Seit ich Student war, habe ich versucht, auf Tierversuche zu verzichten – aber in der biomedizinischen Forschung ist das nicht leicht. In einem Kurs während des Studiums zeigte man uns die Herstellung von Ascites. Da wurden den Mäusen Antikörper produzierende Hybridom-(=Krebs)-Zellen in die Bauchhöhle gespritzt, damals das Standardverfahren zur Produktion großer Mengen monoklonaler Antikörper. Die Mäuse entwickeln danach stark aufgeblähte Bäuche voller Tumormasse. Zum Glück ist das jetzt in den meisten Ländern verboten. Trotzdem impft man noch immer unzählige Mäuse, um später ihre Milz zu gewinnen – zur Herstellung monoklonaler Antikörper. Dabei ist das gar nicht nötig!«

Bis zu 100 000 Tiere werden pro Jahr weltweit für die Erzeugung von Antikörpern geopfert. Das Antikörper-Phagen-Display, an dessen Entwicklung Dübel und sein Heidelberger Kollege Frank Breitling maßgeblichen Anteil hatten, kommt ohne Tiere aus. In einem kürzlichen Wettbewerb um die effektivste Herstellung von Forschungsantikörpern zeigte sich das deutlich: Von den fünf erfolgreichen Labors, die Antikörper gegen die 20 vorgegebenen Antigene erzeugen konnten, arbeiteten bereits vier mit Phagendisplay!

Kurze Wiederholung: Erbsubstanz-Stücke für sehr viele unterschiedliche Antikörper werden in bakterienbefallende Viren (Phagen) gepackt. Die Phagen produzieren dann jeweils einen Antikörper auf ihrer Oberfläche, jeder bindet an ein anderes Eiweiß (Antigen). Man kann nun die Erbsubstanz für den »richtigen« Antikörper herausfischen, da er am Antigen hängenbleibt. Die gefundene Antikörper-Erbsubstanz schleust man in kultivierte Zellen ein. Diese produzieren die Antikörper in Riesenmengen ... ganz unblutig. Kein einziges Tier muss geopfert werden.

Die meisten Kollegen verwendeten dieses Phagendisplay schon länger zur finanziell lukrativen Herstellung von therapeutischen menschlichen Antikörpern. Dübel startete bereits 2003 ein Projekt zur Herstellung von Forschungsantikörpern mit dieser Methode.

Heute benutzen sogar die US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) das Verfahren für ihr Großprogramm zur Herstellung von Antikörpern für sämtliche 30 000 menschlichen Proteine. Bei der klassischen Methode würde dieses NIH-Projekt über 100 000 Mäuse das Leben kosten.

Prof. Dübel verwies in seinem Vortrag in Hongkong auf einen weiteren Vorzug: »Die Technologie ist heute sogar schneller und preiswerter als die Maus-basierte Antikörperherstellung.«

Zurück ins Labor! Bei den Mäusen knallen die Sektkorken mit dem typisch chinesischen Trinkspruch: »Prof. Dübel, er lebe 100 Jahre und mehr!« Doch das war wohl nur ein seltsamer Traum. Die Phagendisplay-Technik aber ist Realität ...

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