Eduard Fuchs und Haus Perls: Museum eines Sammlers

Die berühmte Kunstsammlung von Eduard Fuchs residierte im Berliner Haus Perls – bis dieses in den Besitz eines NS-Rüstungsproduzenten gelangte

  • Christian Hufen
  • Lesedauer: 13 Min.
Fotografie der Sammlung von Eduard Fuchs im Haus Perls von 1928
Fotografie der Sammlung von Eduard Fuchs im Haus Perls von 1928

In einem Zehlendorfer Villenviertel steht ein einzigartiges Architekturdenkmal der Moderne, das mehr Beachtung und Pflege verdient, als ihm bisher zukam. Die Rede ist von Haus Perls, einem Frühwerk des deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969), erbaut 1911 als Wohnhaus für den jungen Anwalt und Kunstsammler Hugo Perls und dessen Frau weit vor der Reichshauptstadt, sowie von dem modernen Galeriegebäude, das Mies 1928 auf einem Nachbargrundstück errichtete. Beide Gebäude bilden ein Ensemble, das einzige dieses weltberühmten Architekten in Berlin.

Das Verdienst, diesen ersten Museumsbau des Baumeisters initiiert zu haben, gebührt dem Kunstschriftsteller Eduard Fuchs (1870–1940). Seit 1918 beherbergte Haus Perls seine wachsende kulturhistorische Sammlung, die Zeitgenossen als größte Privatsammlung ihrer Art in Deutschland ansahen. Unterstützt von seiner zweiten Frau Grete, geb. Alsberg (1885–1953), plante Fuchs, Marxist und Aktivist der internationalen kommunistischen Bewegung, die Einrichtung eines Sammlermuseums für europäische und außereuropäische Werke.

Die politische Entwicklung in Deutschland machte diese Pläne zunichte. Fuchs war ein durch seine »Sittengeschichte« bekannter Autor und Herausgeber der Schriften des marxistischen Historikers Franz Mehring. Als Vertreter der linksliberalen Kulturprominenz in der Weimarer Republik, der in seinem Haus wiederholt sowjetische Gäste beherbergte und vor der wachsenden faschistischen Gefahr in Europa warnte, rechnete der Sammler mit politischer Verfolgung durch die Nazis. Nach dem Reichstagsbrand floh er mit seiner deutsch-jüdischen Frau ins Ausland. Durch den erzwungenen Gang ins Exil verlor das Ehepaar Fuchs den Großteil der Sammlung sowie das Anwesen.

Erst in jüngster Zeit wurde – mit staatlicher Unterstützung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg – die Geschichte der verlorenen Sammlung Fuchs rekonstruiert. Der Provenienzforscher Ulrich Weitz entdeckte seit 2020 im Auftrag der Erben viele Gemälde, Skulpturen, Ostasiatika und Teile der exorbitanten Grafik-Kollektion; auch die Staatlichen Museen zu Berlin erklärten sich daraufhin zur Restitution eines chinesischen Dachreiters bereit, einer figürlichen Tempelbekrönung, die nachweislich aus der von den Nazis aufgelösten Sammlung Fuchs stammt.

Die Spurensuche führte zur Auffindung der Grundstücksakten, die der internationalen Forschung zum Werk von Mies van der Rohe bis heute nicht bekannt sind. Sie dokumentieren den erzwungenen Verkauf des Sammlermuseums Fuchs unter nationalsozialistischen Bedingungen und damit einen »NS-bedingten Kulturgutverlust«. Diese Geschichte wird die Berliner Debatte um das bauliche Erbe von Mies van der Rohe in der deutschen Hauptstadt neu entfachen. Der Fall sollte auch die Bundespolitik interessieren, zumal der neue Koalitionsvertrag ein Restitutionsgesetz ankündigt. Die Sammlung Fuchs dürfte zur Beantwortung der Frage beitragen, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen auch Architektur als Kulturgut anzusehen ist, das bei NS-bedingtem Verlust restituiert werden soll.

Kunstsammler und Kommunist

Im Sommer 1918 übernahm Eduard Fuchs Haus Perls, der Legende nach im Tausch gegen fünf Gemälde von Max Liebermann. Der gebürtige Schwabe war Vieles: als Jugendlicher Anarchist und mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, vor dem Ersten Weltkrieg linksradikaler Sozialdemokrat, Verleger und Autor kulturhistorischer Schriften wie einer mehrbändigen, illustrierten Sittengeschichte, die ihn reich und berühmt machte. Der »Sittenfuchs« war das beste Pferd im Stall des Münchner Verlags Langen: auch seine Bände zur Geschichte der Karikatur, über Daumier, zum Bild der Frau und des Juden in der Karikatur, in den 1920er Jahren über chinesische Kunst und »Die großen Meister der Erotik«, mit Bildbeispielen von der Antike bis zu George Grosz, wurden Verkaufserfolge.

Neben Einkünften aus Buchverkäufen und Tantiemen stand dem Erfolgsautor ein Etat für Kunstkäufe zur Verfügung, womit er seine Kollektion zielstrebig erweiterte: um Schaustücke und ganze neue Sammelgebiete, etwa chinesische Dachbekrönungen aus der Tang-Periode, japanische Schwertstichblätter oder tibetanische Tempelfahnen. So entstand bis 1933 eine Monografie nach der anderen, und Fuchs sparte Kosten für Bildrechte.

Fuchs war während des Weltkriegs und nach dessen Ende – in Abstimmung mit der Reichsregierung – Vertrauensmann für russische Kriegsgefangene in Deutschland. Als Mitgründer des Spartakusbundes und Vertrauter von Rosa Luxemburg reiste er Ende 1918 nach Moskau. Er traf Lenin, den er seit 1900 persönlich kannte, und kehrte mit zwei Koffern voller Banknoten und Juwelen nach Berlin zurück, Fördermittel für eine deutsche Revolution. In der frühen Weimarer Republik hatte er eine Schlüsselrolle in der KPD und in der internationalen kommunistischen Bewegung inne; eine zeitgenössische Quelle bezeichnete ihn als Finanzchef des Westbüros der Komintern. Wie Victor Serge berichtete, diente Haus Perls unter Fuchs als Treffpunkt von Komintern-Kurieren und Berliner Linken, sogar Trotzki und der berühmte Filmregisseur Sergej Eisenstein weilten hier als Gäste.

Das Ensemble ist nicht nur ein Denkmal der Architekturgeschichte der Moderne, sondern auch der Geschichte des internationalen Kommunismus.

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Fuchs engagierte sich, mit bekannten Künstlern, Schriftstellern, Wissenschaftlern wie Albert Einstein, Thomas Mann, den Verlegern Rowohlt und Fischer sowie dem Dichter und späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher in der 1923 gegründeten »Gesellschaft der Freunde des neuen Russland«. Er reiste 1927 mit einer Berliner Delegation, der auch Käthe Kollwitz angehörte, zu den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution erneut nach Moskau, kooperierte mit sowjetischen Wissenschaftlern für die Marx-Engels-Gesamtausgabe und unterbreitete Vorschläge zur Reorganisation des dortigen Museumswesens. Fuchs verlor zwar das Vertrauen an die KPD unter Thälmann und trat aus, unerschüttert blieb aber sein Glaube an die gesellschaftliche Umwälzung, wie vom Marxismus versprochen. So erklärte er 1928, zur Zeit des Museumsbaus: »Deutschlands Zukunft wird in sehr absehbarer Zeit die gleiche stolze sein wie die heutige Gegenwart Sowjetrusslands. Das ist ein historisches Muss. Denn die Logik der geschichtlichen Entwicklung endigt nur für Schwachköpfe mit den ›Herrlichkeiten‹ eines imperialistischen Kapitalismus.«

Das Mies-Ensemble ist also nicht nur ein Denkmal der Berliner Architekturgeschichte der Moderne, sondern auch ein Ort der deutsch-russischen sowie der Geschichte des internationalen Kommunismus.

Antimuseum Fuchs

Im April 1928 veröffentlichte die Berliner Modezeitschrift »Die Dame« eine Reportage über die Kunstsammlung im Haus Perls. Die Fotostrecke zeigt die Verteilung der Kunstwerke in Haus und Garten; sie vermittelt einen Eindruck von Reichtum und Diversität dieser Kollektion. Laut Begleittext besaß Fuchs die »größte deutsche kulturhistorische Sammlung«. Wir sehen prall gefüllte Räume, eine Schausammlung, die aus allen Nähten zu platzen scheint. Wertvolle Möbel und Teppiche, Vitrinen mit kostbarem Porzellan aus Europa und Fernost, das Triptychon »Die Heimkehr des verlorenen Sohnes«, ein Hauptwerk des deutschen Impressionisten Max Slevogt im Dialog mit farbig glasierter chinesischer Keramik. Wo sonst gab oder gibt es eine solche Zusammenstellung europäischer und asiatischer Kunst?

Nicht zu vergessen: die berühmte Grafiksammlung. Fuchs hatte, wie das Magazin des Ullstein-Konzerns erläuterte, das Werk des französischen Künstlers und Pressezeichners Honoré Daumier wiederentdeckt. Was die Revue zu erwähnen vergaß: Die umfangreiche Daumier-Kollektion bildete den Kern der weltweit größten Sammlung politischer Grafik. Weitere europäische und außereuropäische Bildwerke schmückten den Außenbereich, etwa chinesische Wächterfiguren am Hauseingang und im Senkgarten. Dort stand zudem noch ein Renaissance-Brunnen von Peter Vischer aus Nürnberg und, wohl eines der wertvollsten Objekte der ganzen Kollektion, die Bronzeskulptur »Die Empörung« von Auguste Rodin. Diese allegorische Figur, bekannt auch als »Genius des Krieges«, sollte nach Wunsch von Fuchs das Grab von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bewachen.

Im Auftrag der KPD hatte Fuchs den Architekten Mies van der Rohe, der mit visionären Entwürfen wie dem Hochhaus aus Beton, Stahl und Glas am Bahnhof Friedrichstraße hervorgetreten war, mit dem Entwurf des Revolutionsdenkmals auf dem Friedhof Friedrichsfelde betraut. Mies wischte den Vorschlag vom Tisch, eine tempelartige Anlage zu errichten (mit Kunstwerken aus der Sammlung Fuchs, die an die Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 erinnerten). So etwas würde für einen Bankier passen! Fuchs akzeptierte den Alternativentwurf, und durch seine Fürsprache kam das berühmt gewordene avantgardistische Monument – eine durch Vor- und Rücksprünge dynamisch bewegte Backsteinwand – 1926 zur Ausführung (1936 zerstört).

Anschließend beauftragte er Mies, zwei Erweiterungsbauten für die eigene Sammlung zu entwerfen. Seine Gemäldesammlung (unter anderem Slevogt, Liebermann, Daumier) und eine wachsende Ostasiatika-Abteilung sowie weitere Zeugnisse außereuropäischer Kulturen sollten gleichberechtigt präsentiert werden. Infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1928 wurde nur ein Neubau errichtet.

Eduard Fuchs, gemalt von Max Slevogt, 1905
Eduard Fuchs, gemalt von Max Slevogt, 1905

Der über einen modernen Zwischenbau mit Haus Perls verbundene, im rechten Winkel zur Gartenfassade stehende Ausstellungssaal variiert an der Schauseite Motive des benachbarten Frühwerks; sein irregulärer Grundriss und das Flachdach sowie die Figur des Zwischenbaus mit schwebender Betonscheibe – ein gebautes Fenster ins Grüne – nehmen innovative Ideen des Avantgardevertreters Mies auf oder vorweg. Eine moderne, architektonisch einfühlsame wie innovative Erweiterung des eigenen neoklassizistischen Frühwerks durch den Jahrhundertarchitekten Mies findet sich nur an diesem Ort.

Durch den Kauf von Nachbargrundstücken war es dem Sammler möglich, an der Längsseite seines Senkgartens ein Volumen in den Dimensionen von Haus Perls zu errichten. Mies übernahm und variierte den Grundriss des Altbaus und schuf für den Neubau ein durch Wandscheiben gegliedertes Raumkontinuum. Die Galerie Fuchs bekam ihren eigenen repräsentativen, separat zugänglichen Eingang. Davon erhalten blieben die schwere, vergitterte Metalltür, ebenso ein raumhohes Wandregal für Skulpturen. Verschwunden ist leider der fließende Raum, der Ausstellungsparcour.

Wenn Kommunisten träumen

Nach Heirat mit der Kölner Kaufhauserbin Grete Alsberg im Januar 1920 schrieb der Erfolgsautor und KPD-Aktivist seinem Künstlerfreund Max Slevogt am 8. Juli 1921, er verfolge mit seiner Frau »dasselbe Ideal (…), dass meine Sammlung in ihren Hauptteilen eines Tages Allgemeinbesitz« werde. Dem Stuttgarter Museumsdirektor, der sich gern das Beste herausgepickt hätte, beschied Fuchs im Mai 1922, er sammle nicht bloß Spitzenstücke, weswegen das Konzept öffentlicher Museen nicht zu ihm passe. Nun plane er für Berlin und wolle der Stadt dafür die Hälfte seiner Bucheinnahmen überschreiben. Fuchs hielt große Stücke auf die Hauptstadt, die mit Eröffnung der U-Bahnstation Krumme Lanke auch für eine gute Verkehrsanbindung sorgte. Genüsslich rechnete er »urreaktionären« schwäbischen Landsleuten vor, was ihnen entgangen sei: Der Neubau des Museums wäre »an sich schon eine künstlerische Sehenswürdigkeit«, eine »geniale Lösung« und »ideale Hülle« für seine Sammlung.

Um das Museumsprojekt zu verwirklichen, planten Margarete und Eduard Fuchs die Gründung einer Stiftung. Nach einer Notiz im Berliner Nachlass des Sammlers vom 1. Juli 1930 sollten die ganze Sammlung sowie Haus und Grundstück dort eingehen. Das Bankvermögen der Gattin und die daraus erwachsenden Zinsen bildeten die Finanzierungsgrundlage. Das Museumsprojekt wurde also von beiden Eheleuten gewünscht und finanziert. Weiter heißt es: »Der Stiftungsfonds soll, wenn irgend möglich, zum Bau des vorgesehenen zweiten Flügels verwendet werden.« Beide Stifter wünschten, die Anlage weiter auszubauen.

Ein Museumsbesuch war 1930 nach Anmeldung schon möglich. »Es kann in absehbarer Zeit ein bestimmter Wochentag für allgemeineren Besuch festgelegt werden«, so enden die Notizen. Wie weit die Verhandlungen mit der Stadt bis zum Januar 1933 gediehen waren, wissen wir nicht. Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Justiz ist in deren Register älterer Berliner Stiftungen keine Museumsstiftung Fuchs verzeichnet.

Zerstörung einer Sammlung

Was 1933 in der Hermannstraße geschah, schildert Ulrich Weitz in seiner Fuchs-Biographie »Der Mann im Schatten«: Die Gestapo beschlagnahmte allen Besitz, räumte die beiden Häuser aus. Zwar erreichte der gut vernetzte Sammler, unterstützt vom Direktor der Berliner Nationalgalerie Eberhardt Hanfstaengel, von Paris aus die Freigabe von Gemälden, die in die Kunsthalle Basel verbracht wurden. Als die in Deutschland lebende Tochter aus erster Ehe, Gertraud Fuchs, von Behörden bedrängt wurde, sah Eduard Fuchs sich genötigt, auch diese Werke in Berlin zwangsversteigern zu lassen. Das Berliner Kunsthaus Lepke verramschte 1937 seine Gemälde und Asiatika, Boerner in Leipzig im selben Jahr die Grafiksammlung.

Eine Zeit lang hüteten Vertrauensleute des Ehepaares die Häuser, bis 1938 Dr. Bruno Lange auf den Plan trat. Der Physiker, Erfinder der Selen-Fotozelle, hatte mehrere Patente angemeldet und 1933 eine eigene Firma gegründet; das Anwesen an der Hermannstraße schien ihm als Firmenstandort geeignet. Die Tinte unter dem Kaufvertrag war noch nicht trocken, da stellte er einen Antrag auf bauliche Erweiterung. Er erwähnt darin seine Kooperation mit dem deutschen Militär und deutet Geheimhaltungsauflagen an; die Ansiedlung in der Villengegend wäre aus Tarnungsgründen wünschenswert.

Haus Perls wurde zum Familien- und Firmensitz. Der Galerieanbau nahm Labor und Werkstätten auf. Der mit dem Um- und Ausbau beauftragte Architekt gab dem Mies-Ensemble, das um einen Neubau an der Hermannstraße ergänzt wurde, nach außen hin das Aussehen einer hochherrschaftlichen Grunewald-Villa. Wie aus Patentregistern ersichtlich, entwickelte das mittelständische Unternehmen bis 1945 Nachtsicht-Tachometer, die in Militärfahrzeugen, sicher auch in Flugzeugen Verwendung fanden. Einige Autoren geben an, die Firma habe Bauteile für die Raketenwaffe V2 produziert. Nachweise dafür fehlen, doch nicht alle Patente sind öffentlich einsehbar.

Der Weiterverkauf 1938 kam nach staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Emigranten Fuchs zustande. Die jetzt entdeckten Grundakten dokumentieren das konzertierte Vorgehen reichsdeutscher, preußischer und Berliner Behörden. Eduard Fuchs erwirkte eine Rücknahme der 1933 veranlagten, 1934 auf über 100 000 Reichsmark hochgerechneten, teils fiktiven Steuerschulden (Reichsfluchtsteuer) durch Eintragung einer neuen Grundschuld. Dennoch musste Tochter Gertraud, die ihren aufgrund fortbestehender Gefahr um Leib und Leben abwesenden Vaters vertrat, einer Zwangsvollstreckung zustimmen.

Handschrift von Eduard Fuchs: »Deutschlands Zukunft wird in sehr absehbarer Zeit die gleiche stolze sein wie die heutige Gegenwart Sowjetrußlands. Das ist ein historisches Muß. Denn die Logik der geschichtlichen Entwicklung endigt nur für Schwachköpfe mit den ›Herrlichkeiten‹ eines imperialistischen Kapitalismus.«
Handschrift von Eduard Fuchs: »Deutschlands Zukunft wird in sehr absehbarer Zeit die gleiche stolze sein wie die heutige Gegenwart Sowjetrußlands. Das ist ein historisches Muß. Denn die Logik der geschichtlichen Entwicklung endigt nur für Schwachköpfe mit den ›Herrlichkeiten‹ eines imperialistischen Kapitalismus.«

Der Einheitswert des gesamten Grundbesitzes von Eduard Fuchs wurde 1936 auf 69 500 Reichsmark festgesetzt. Am 11. August 1938 wurde die Annahme des Kaufangebots von Lange beurkundet. Der Kaufpreis betrug 45 000 Reichsmark. Davon wurden 23 650 Reichsmark auf das Auswanderersperrkonto des Verkäufers bei der Dresdner Bank überwiesen, worüber Fuchs (beziehungsweise dessen Tochter) nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügen durften; 20 000 Reichsmark wurden als Restkaufgeldhypothek für den Verkäufer ins Grundbuch eingetragen. Unter der NS-Herrschaft erhielt Gertraud Fuchs vom Guthaben auf dem Sperrkonto nur eine kleinere Teilsumme in Höhe von rund 4000 Reichsmark ausgezahlt. Mit Hilfe eines Anwalts erwirkte sie Ende 1947 die Auszahlung der eingetragenen Hypothekenschuld durch Lange.

Der Sammler Eduard Fuchs verstarb 1940 im Pariser Exil. Margarete Fuchs konnte in die USA auswandern, wo sie in den 50er Jahren bei einem Fenstersturz in New York ums Leben kam. Ihre Versuche und die Anstrengungen der Tochter Gertraud, bei deutschen Behörden eine Entschädigung für den erlittenen Verlust zu erlangen, blieben ohne Erfolg.

Neue Fassade, fehlender Text

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte der Rüstungsproduzent auf Medizintechnik um – und war damit sehr erfolgreich. Als die Grenzen des Wachstums erreicht waren, fand die Firma Dr. Lange mit Hilfe des Westberliner Senats einen neuen Standort. Nach Übernahme der Immobilien und des Firmengeländes durch die Lottostiftung erfolgte im Auftrag des Westberliner Landeskonservators ab 1977 die Restaurierung der durch Umbauten entstellten Gebäude von Mies van der Rohe. Erklärtes Ziel war die »originalgetreue Wiederherstellung« des Ensembles. Der damit beauftragte Architekt Dietrich von Beulwitz beurteilte das Ergebnis kritisch: »Selbst jetzt, nach der Restaurierung des Äußeren, befindet sich das Haus weiter in der Zwangslage zwischen der neuen aggressiven Nutzung und den Forderungen der Geschichte. Lassen Sie uns hier in 60 Jahren noch einmal zusammenkommen.« Sein Bericht erschien 1983 in einer britischen Fachzeitschrift, eine deutschsprachige Veröffentlichung kam wohl nicht zustande.

Zur Erläuterung: Im Stiftungsrat der Lottostiftung sitzen Vertreter der in Westberlin, seit 1990 im wiedervereinigten Berlin regierenden Parteien, an der Spitze der Regierende Bürgermeister. Stiftungszweck ist die Förderung kultureller und sozialer Einrichtungen mit Geldern aus dem staatlichen Lottomonopol. Zum Nachnutzer des ehemaligen Firmengeländes zwischen Hermannstraße und Quermatenweg bestimmte das Gremium eine private Schule für Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Seit mehr als vier Jahrzehnten werden auch die vormals dem Sammlerehepaar Fuchs gehörenden Häuser von dieser Einrichtung genutzt. Die »aggressive Nutzung« (von Beulwitz) und das unaufgeklärte NS-Unrecht, das bis heute weder anerkannt noch wiedergutgemacht ist, stellten für Eigentümer und zuständige Behörden kein Problem dar.

Nur das äußere Erscheinungsbild beider Bauten von Mies entstand neu. Die Rekonstruktion gelang nur halb: Der offene, von Wandscheiben gegliederte Innenraum des Galeriebaus sowie der von Mies entworfene Senkgarten wurden nicht wiederhergestellt. Seit 1980 stehen Haus Perls und dessen Erweiterung für den Sammler Fuchs unter Denkmalschutz. Bis heute fehlt eine amtliche Beschreibung des Baudenkmals. Die zuständige Behörde weiß nicht, worin der Denkmalwert dieses Ensembles besteht und was unter Schutz steht!

Der doppelte Verzicht – auf die vollständige Rekonstruktion sowie den amtlichen Text – kam der gewünschten Nutzung entgegen. Zum Komplex der privaten Sonderschule, die das Zehlendorfer Firmengelände nutzen darf und durch Neubauten im Bestand erweitert hat, gehört auch Haus Werner von Mies van der Rohe, errichtet 1913. Dessen originalgetreu wiederhergestellter Garten grenzt an das Grundstück von Haus Perls – der schönste Schulhof Berlins.

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