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Cäsarismus: Eine Frage der Gewalt
Warum der gegenwärtige Autoritarismus sich in Anlehnung an Franz L. Neumann besser als Cäsarismus denn als demokratischer Faschismus fassen lässt
Mit US-Präsident Donald Trumps Entscheidung, die Nationalgarde und Militär über den Kopf des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom hinweg zu mobilisieren, um Proteste in Los Angeles gegen die brutale Abschiebepolitik der Regierung zu unterdrücken, droht eine weitere autoritäre Zuspitzung. »So sieht Autokratie aus«, kommentierte dazu die »New York Times«. Andere gingen einen Schritt weiter und sprachen von faschistischer Machtergreifung. Über die Frage, wie sich die gegenwärtigen autoritären Entwicklungen begrifflich fassen lassen, wird derzeit lebhaft diskutiert.
Erst Anfang Mai intervenierten die Literaturwissenschaftlerin Carolin Amlinger und der Soziologe Oliver Nachtwey mit einem »Jacobin«-Beitrag in die laufende Debatte und wandten sich sowohl gegen eine zu enge als auch zu weite Anwendung des Faschismusbegriffs. Sie schlagen dagegen vor, von einem »demokratischen Faschismus« zu sprechen, weil sich dieser, anders als der historische Faschismus, »im Normalbetrieb der parlamentarischen Demokratie« vollzieht. Dabei stützen sie sich auf gängige Faschismusdefinitionen und betonen die Ideologie des ethnisierten Ultranationalismus sowie die Gewalt als Kernmerkmal. In Anlehnung an Klaus Theweleit fassen sie dabei auch die praktische Erfahrung der Gewaltausübung als elementar für den Faschismus. Diese trage zur Formung eines patriarchalen Körperpanzers im Männerbund bei. Zum Faschismus gehören deshalb auch immer Milizen mit ihrer entfesselten Gewaltdynamik.
Ist das schon der Unstaat?
Mit der Gewalt geht es zugleich um die Frage der politischen Ordnung. Amlinger und Nachtwey diskutieren diese in Anlehnung an die materialistische Analyse der nationalsozialistischen Herrschaft des Juristen und Politikwissenschaftlers Franz L. Neumann. Er hatte den NS-Staat als »Behemoth«, die Negation des Hobbesschen »Leviathan«, gefasst: die konkurrierenden Banden wie NSDAP, SS, Wehrmacht und SA, die sich im Nationalsozialismus von den Fesseln des durch das Parlament vermittelten allgemeinen Gesetzes lösten. So verschafften sie sich für ihre jeweiligen Bereiche einen unverhohlenen Zugriff auf die exekutive Gewalt. Elementares Merkmal des NS ist laut Neumann die Regression des Staates, dass sich also der Ausnahmezustand ins »Innere« zurückverlagert und die Gesetzesherrschaft dialektisch in Gewaltherrschaft umschlägt. Im Nationalsozialismus radikalisierte sich diese Dynamik kumulativ bis hin zum antisemitischen Vernichtungswahn der Shoah.
Amlinger und Nachtwey halten fest, dass das, was gegenwärtig als Faschismus bezeichnet wird, kein »Machtkartell eines entfesselten Behemoth« und auch nicht gleichzusetzen ist mit dem italienischen Faschismus. Es handle sich »eher um ein Joint-Venture«, also um einen losen Zusammenschluss, der durch wirtschaftliche Interessen gebunden ist. Aber es gibt ein »faschistisches Moment« in einer widersprüchlichen Situation: Nach wie vor herrscht ein realer politischer Wettbewerb um die Macht, »Wahlen finden statt, auch wenn die autoritären Amtsinhaber die Bedingungen des politischen Wettbewerbs asymmetrisch gestalten«. Es gehe dem »Trump-Faschismus« nicht »um die Schaffung eines neuen Behemoths, eines staatlichen Ungeheuers«, sondern um die Entmantelung der Demokratie »vom gesellschaftlichen Liberalismus«.
Doch Neumann fasste den Behemoth mit Blick auf die NS-Racket-Herrschaft als »Unstaat« und eben nicht als »staatliches Ungeheuer«. Der staatstheoretische Unterschied ist, dass der Behemoth als Zusammenschluss konkurrierender Rackets, anders als der Leviathan, kein einheitliches Zentrum hat. Und das wirft die Frage nach der Sinnhaftigkeit der von Amlinger und Nachtwey vorgeschlagenen Begriffskonstruktion auf. Denn die Annahme, es gebe eine demokratische Variante des Faschismus, mag mit Blick auf die Strategie einiger Akteur*innen zwar zutreffen, weil sie Teile ihrer ideologischen Programmatik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie umsetzen können. Was die politische Ordnung betrifft, verunklart der Vorschlag die Analyse eher. Diese ist jedoch entscheidend, um zu verstehen, womit wir es zu tun haben – und um angemessene Gegenstrategien zu entwickeln.
Herrschaft des Plebiszits
In Neumanns nach dem »Behemoth« veröffentlichten Arbeiten findet sich ein Begriff, der vor dem Hintergrund deutlich angemessener ist: Cäsarismus. Der als Jude und Sozialist bereits 1933 vor nationalsozialistischer Verfolgung in die USA geflohene Neumann hatte das Konzept erstmals im »Behemoth« angerissen. Doch erst in seinem letzten Vortrag unmittelbar vor einem tödlichen Autounfall in den Schweizer Bergen lieferte er eine konzeptuelle Skizze mit dem Titel »Angst und Politik«. Zu dem Zeitpunkt arbeitete er als Professor für Politikwissenschaften an der Columbia-Universität in New York an einer allgemeinen Theorie der Demokratie und der Diktatur, die er in Anlehnung an die Kritische Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos und im Austausch mit der Soziologin Helge Pross entwickelte.
Mit Cäsarismus kann das diktatorische Potenzial des Autoritarismus entschlüsselt werden, das der Demokratie selbst innewohnt.
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Der fragmentarisch gebliebene Entwurf zum Cäsarismus bringt eine notwendige Ausdifferenzierung in die Debatte. Denn damit kann das diktatorische Potenzial des Autoritarismus entschlüsselt werden, das der Demokratie selbst innewohnt. In seinem Aufsatz listet Neumann eine Reihe historischer Epochen auf, um das Konzept zu begründen. Laut Neumann lasteten die verschiedenen cäsaristischen Bewegungen den Niedergang der Gesellschaft zu bekämpfenden Eliten an und inszenierten sich als authentischer Ausdruck des »Volkswillens«. Diese Programmatik bezeichnet er als »Geschichtsbild der falschen Konkretheit«, die eng mit Verschwörungsideologien verknüpft ist. So verweist er auf die cäsaristische Tradition im Nordamerika des 19. Jahrhunderts in der Ära der Jacksonian Democracy. Heutzutage tritt Trump dieses historische Erbe an, indem er unmittelbar nach seinem Wiedereinzug ins Weiße Haus ein Porträt des Namensgebers dieser Epoche, Andrew Jackson, aufhängen ließ. Der Befürworter der Sklavenhalterdemokratie war von 1829 bis 1837 US-Präsident.
Dem Cäsarismus liegt ein bestimmtes Demokratieverständnis zugrunde, das auf mythische antike Bilder rekurriert. So ist auch nicht zufällig, dass während der Conservative Political Action Conference (CPAC) im Februar auf Aufstellern das Konterfei Trumps im Stile Cäsars zu sehen war: bekleidet mit einer Toga und einem Lorbeerkranz, der höchsten militärischen Auszeichnung im antiken Rom. Darüber und darunter war in weißen Lettern auf schwarzem Grund zu lesen: »Third Term Project. For Trump 2028 … and beyond!« In diesem cäsaristischen Demokratieverständnis wird der Doppelcharakter moderner Demokratie, einerseits »Volksherrschaft«, andererseits aber Vermittlung widersprüchlicher (und ungleicher) gesellschaftlicher Interessen über das Parlament zu sein, zur Herrschaft des Plebiszits hin aufgelöst.
So werden im Cäsarismus »Volkswille« und exekutive Macht zunehmend in eins gesetzt, was sich auch mit Blick auf die aktuelle Transformation der Staatlichkeit beobachten lässt, die den Staat veränderten wirtschaftlichen Erfordernissen anpassen soll und sich durch eine substanzielle Kräfteverschiebung innerhalb der Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive auszeichnet. In der »Ära des Deals« ist das Regieren anhand von Dekreten und Maßnahmen erforderlich, um agil auf weltwirtschaftliche und geopolitische Verwerfungen sowie, und das ist aus materialistischer Perspektive entscheidend, auf die zunehmende Konzentration ökonomischer Macht reagieren zu können. Eine Entwicklung, die im Kapitalismus periodisch auftritt und sich derzeit besonders deutlich in der Tech-Branche zeigt.
Politik der Machtkonzentration
In einer Situation, in der der Staat zunehmend ökonomische Einzelfälle regeln muss, wird die Rechtsform hinderlich, wie Neumann betont. So erodiert strukturell die Funktion des Parlaments als Vermittlungsinstanz zwischen gesellschaftlichen Machtgruppen. Deren objektive Gegensätze können immer weniger in Gesetzen aufgehoben werden, die allgemein für alle gelten. Zudem werden die Gewaltenteilung und damit auch die Parlamentsmacht durch Angriffe auf das Haushaltsrecht der Legislative ausgehöhlt. Dies geht mit einer Schwächung der Gerichte einher, die den Notwendigkeiten des exekutiven Durchregierens und der Inszenierung von Potenz im Wege stehen. Vergleichbare Angriffe auf die Judikative sind derzeit auch in Deutschland zu beobachten, wenn die Bundesregierung ankündigt, Gerichtsbeschlüsse etwa in Bezug auf Grenzkontrollen zu ignorieren.
Mit der wachsenden Konzentration ökonomischer und politischer Macht geht eine zunehmende gesellschaftliche Ohnmacht einher, wie Neumann betont. Diese bildet die ideologische Bedingung des Cäsarismus, die gegenwärtig durch wirtschaftliche Verwerfungen, die Inflation oder die Klimakrise befeuert wird. Bestehende »neurotische Ängste« im Kapitalismus werden so verstärkt und führen vermehrt zu projektiver Angstbewältigung, etwa im antisemitischen Wahn. Hier kommt die Rolle von sozialen Medien zum Tragen, weil sie die plebiszitäre Akklamation der Cäsaristen, den jubelnden Zuruf des Volkswillens, digitalisieren. Die Anrufung des Plebiszits, also die Suggestion der Massenteilhabe an der politischen Macht, etwa durch Plattformen wie X, Truth Social oder Tiktok, dient der scheinbaren Kompensation der Ohnmachtserfahrung. Die Suggestion verschleiert einerseits den derzeit rechtlich noch eingehegten wachsenden Zugriff von Banden auf die exekutive Macht. Andererseits ist die Teilhabe nur simuliert, wodurch ein destruktiver Teufelskreis entsteht.
Das kann in eine entfesselte Gewaltdynamik sowohl von faschistischen Banden auf der Straße als auch der exekutiven Herrschaft münden, deren erste Anzeichen durchaus erkennbar sind. Aber analytisch zu differenzieren, ist von entscheidender Bedeutung, damit der Faschismusbegriff als Instrument auch dann zur Verfügung steht und als politischer Begriff Wirkung entfalten kann, wenn die Gesetzes- in Gewaltherrschaft umschlägt.
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