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Mietrebellen statt Eigentümer
Die Abhängigkeit von Mieter*innen durch noch mehr Wohneigentum lösen zu wollen, wäre das Ende des solidarischen Bewusstseins
»Wäre es nicht nachhaltiger, aus abhängigen Mietern unabhängige Wohnungseigentümer zu machen?« Man würde eine solche Frage vielleicht von Christian Lindner oder aus dem Umfeld von Friedrich Merz vermuten. Doch sie kam von nd-Autor Frank Jöricke. Sein Artikel »Die vergessene Mittelschicht« in »nd.DieWoche« vom 23. Mai ist eine Eloge auf das Privateigentum, die mit der Maxime endet: »Solange der Kommunismus auf sich warten lässt und das Privateigentum nicht verschwunden ist, hilft nur eines: selber zum Besitzer zu werden.«
Damit wird den Menschen nicht nur ein kommunistisches, sondern gleich jedes solidarische Bewusstsein ausgetrieben. Nicht umsonst sind die Ideolog*innen des Kapitalismus – von Ayn Rand über Margret Thatcher bis zum Anarchokapitalisten Javier Milei in Argentinien – dem gar nicht so neuen Credo gefolgt, aus Mieter*innen Wohnungseigentümer*innen zu machen. Das galt etwa auch in Zeiten des Franco-Regimes in Spanien. Die Mieter*innen, die laut Jöricke nur darauf warten, »sich aus der Abhängigkeit von ihren Hauswirten zu lösen«, kamen als vermeintlich Besitzende dann unter die Knute der Banken, die monatlich die Raten für die Hypotheken einfordern. In der Finanzkrise vor 15 Jahren verloren in Spanien Zigtausende dieser Eigentümer*innen ihre Wohnungen. Sie wurden zwangsgeräumt und saßen trotzdem weiterhin auf dem Schuldenberg.
Aus ihren Reihen entstand die immer noch existierende Plattform der Hypothekenopfer. Sie besetzen leerstehende Wohnungen und kämpfen gegen jene Eigentumsideologie, die Jöricke den Linken als Erfolgsrezept empfiehlt – eine weitere Anpassung linker Politik an den vermeintlich unbesiegbaren Kapitalismus. Für die Folgen gibt es nicht nur in Spanien und Großbritannien genügend abschreckende Beispiele. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« hatte die Berliner Mieter*innengemeinschaft (BMG) aktive Mieter*innen aus verschiedenen Ländern Europas und auch aus anderen Kontinenten eingeladen, die gegen eine konservative Eigentumspolitik kämpfen. Sie berichteten von genau jener Ideologie angeblicher Befreiung aus den Zwängen des Mietverhältnisses, die auch Jöricke ganz ohne Ironie verbreitet.
Viele der Mieteraktivist*innen blickten sogar mit etwas Wehmut auf Deutschland, weil hier der Anteil der Wohnungseigentümer*innen wesentlich niedriger als in vielen europäischen Nachbarländern ist. In Metropolen wie Berlin gibt es besonders viele Mieter*innen. Genau das gilt es zu verteidigen. »Wir sollten mit Stolz unsere Rechte als Mieter*innen einfordern und diesen Status keineswegs aufgeben«, erklärt der Soziologe Matthias Coers, der vor mehr als zehn Jahren den Film »Mietrebellen« drehte. Er hat den vielen aufmüpfigen Mieter*innen, die nicht nur in Berlin für ihre Rechte kämpfen und sich nicht einfach für die Profitinteressen von Wohnkonzernen vertreiben lassen wollen, einen Namen gegeben. Das ist die reale Alternative für die von Jöricke angeführten frustrierten Mieter*innen. Diese Solidarität ist aber nur möglich, wenn man der Ideologie des angeblich so befreienden Wohnungseigentums eine klare Absage erteilt.
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