Knete selbst gemacht
Ein Kindergarten an der Lahn zeigt, dass eine unbedenkliche Kita-Ausstattung nicht viel kosten muss
Mainz. Im rheinland-pfälzischen Langenscheid, einem kleinen Dorf an der Lahn, startet die Evangelische Kindertagesstätte gerade einen Anbau, um mehr Plätze für unter Dreijährige anbieten zu können. Kindergartenleiterin Thea Schuhen achtet peinlich genau darauf, dass dabei keine gesundheitsschädlichen Materialien zum Einsatz kommen. Plastik bei Spielgeräten und Einrichtungsgegenständen sei ohnehin tabu – mit Ausnahme einiger Sandkasteneimerchen. »Das habe ich alles abgeschafft«, versichert Schuhen.
Nicht nur Spielgeräte
Das Thema Schadstoffe in Kitas steht wieder oben auf der Tagesordnung, seit eine dieser Tage vorgestellte Studie zu dem Ergebnis kam, dass der Staub vieler Kindergärten im Schnitt dreimal stärker mit gesundheitlich bedenklichen PVC-Weichmachern belastet ist als der Staub in Haushalten.
»Die Verantwortlichen haben sich zu sehr auf Spielgeräte konzentriert«, glaubt Erwin Manz von der Umweltschutzorganisation BUND, die die Untersuchung in Auftrag gegeben hatte. Dinge wie Fußböden und Kunstledermöbel seien dabei aus dem Blick geraten. Die Kindergärten müssten ihre komplette Einrichtung von Grund auf nach PVC-Weichmachern durchforsten, fordert Manz: »Es ist nicht damit getan, irgendwo ein Teil auszutauschen.« Als Sofortmaßnahme empfiehlt er häufiges Lüften und Staubsaugen in den Kindergärten. Mehrere Weichmachern aus der Klasse der Phtalate sind EU-weit in Spielsachen bereits verboten, da sie das menschliche Hormonsystem schädigen können und Studien zufolge unter anderem das Risiko von Unfruchtbarkeit, Brust- und Hodenkrebs erhöhen können. Der BUND fordert, die Verwendung von Phtalaten in allen Produkten zu verbieten, die »im Umfeld von Kindern verwendet werden«.
Die Kirchen, wichtige Träger von Kindergärten, nehmen die BUND-Studie durchaus ernst. »Wir werden die an alle Kitas weiterleiten und sie darauf hinweisen«, verspricht Sabine Herrenbrück, für Kindertagesstätten zuständige Fachbereichsleiterin der hessen-nassauischen Landeskirche. Die Kirche kaufe Möbel, Turnmatten und Spielwaren ausschließlich bei renommierten Spezialausstattern, denn Waren aus dem gewöhnlichen Handel seien normalerweise nicht für Kindergärten geeignet. »Wir brauchen robuste, langlebige Dinge«, sagt Herrenbrück. Für Neu- und Umbauten gebe es inzwischen Ökorichtlinien der Kirche. So werde in allen neuen Einrichtungen Linoleum anstelle von PVC-Böden verlegt.
Weichmacher sind überall
Welche Gefährdung von der Weichmacherkonzentration im Staub tatsächlich für Kinder ausgeht, ist nicht geklärt. »Grundsätzlich kann man sagen, dass sich Weichmacher eigentlich überall in der Umwelt befinden«, sagt Regine Nagorka vom Bundesumweltamt in Berlin. »Der Hauptaufnahmeweg ist nach wie vor die Nahrung.« Die BUND-Studie über Staub in Kindergärten und die Daten des Bundesamtes aus Privathaushalten ließen sich zudem nicht unbedingt vergleichen. Eine komplette Neuausstattung von Kitas hält Nagorka nicht für unbedingt geboten.
Thea Schuhen vom evangelischen Dorfkindergarten an der Lahn ist davon überzeugt, dass eine gesundheitlich unbedenkliche Ausstattung nicht an mangelndem Geld scheitern muss. Dafür hat sie einiges in Bewegung gesetzt, unter anderem die Eltern ihrer Kinder. Um zu sparen, haben diese viele Arbeiten übernommen. Für die Umgestaltung des Geländes wurden Spenden gesammelt, örtliche Unternehmer stellten kostenlos Bagger zur Verfügung, die Gemeinde schenkte der Kita Holz. Die Eigeninitiative reicht mittlerweile von der Gestaltung des Außenspielplatzes bis zum Bastelmaterial. »Sogar die Knete machen wir hier selbst«, sagt Schuhen.
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