Pech für Heidi

Vor dem Leipziger Entertainer Ralf Donis ist keiner sicher, nicht mal er selbst

  • Stefan Fulz
  • Lesedauer: 9 Min.
Pech für Heidi

Can't stop me now« schallt es aus den Lautsprechern im Leipziger Club Ilses Erika. Donis ist der Star dieses Abends. Der Club setzt nicht nur auf Konzerte, sondern auch auf kreative Ideen in der Abendgestaltung. Er ist für seine Latenights und Shows wie »Riskier dein Bier« bekannt. Hier fand auch Donis den Einstieg in das Showgeschäft. Damals, in den 90ern, schaute er sich hier die Chrisse-Krass-Show an und dachte: Das will ich auch machen!

Wenig später und dank der Offenheit der Clubbetreiber für neue Ideen war es so weit. Donis kann sein Lampenfieber nicht ganz verbergen, als er auf die Bühne tritt. Das ist nichts Ungewöhnliches, das ist vor jeder Show so. Anders als bei Harald Schmidt ist nicht der unsichtbare Gagschreiber verantwortlich, wenn die Pointe nicht sitzt oder die Geschichte nicht ankommt. Donis ist Selfmade-Entertainer. Die Geschichten kommen aus seinem Leben. Die Person ist nicht bloß Präsentation.

In der Show offenbart Donis seinen persönlichen Blick auf die Welt. Er sitzt einer bunten Publikumsmischung mit studentischen und alternativen Anteilen, städtischem Prekariat und eher bildungsbürgerlichen Erscheinungen gegenüber. Seine Gäste sind schwer auf einen anderen gemeinsamen Nenner zu bringen als den des Interesses an diesem persönlichen Blick und dem Spaß an der Darbietung. Jeden letzten Dienstag im Monat, hier im Leipziger Süden, unweit vom Connewitzer Kreuz.

Davor hatte Donis schon eine beachtliche Karriere in der Musikbranche hinter sich gebracht. Die Bühne war für ihn nicht neu, aber das Format wurde ein anderes. Nebenbei war und ist er DJ und passionierter Musikkritiker, in unterschiedlichen Magazinen zu finden. »Love Is Colder Than Death« und »Think About Mutation« heißen die beiden Banderfolge, die er miterleben durfte.

Zur ersten Band stieß er eher zufällig. Weil ein Bandmitglied nicht zu einem Konzert kommen konnte, wurde Donis angefragt, und er sprang ein. Mit Erfolg: Das Publikum tobte, er wurde Frontmann, der Name der Band geändert und der Musikstil erweitert. Frontmann war er auch in der zweiten Band, mit ihr bestritt er einen seiner denkwürdigsten Auftritte: Als Vorband von Depeche Mode in seiner Heimatstadt Leipzig. Aber irgendwann fiel ihm auf, dass seine Ansagen zeitlich das Ausmaß der Musikstücke annahmen. Da wurde ihm klar: Zeit für einen Genre-Wechsel.

Auf der Showbühne ist Donis das, was man umgangssprachlich auch Rampensau nennt. Er liebt die Bühne, er liebt sein Publikum, und das Publikum liebt ihn. Er gibt dem Publikum Getränke aus, die er in der Abteilung »Billiger Fusel« vermutlich aufgrund der ungesunden Farbe faszinierend fand – die Leute trinken dankbar.

Auf der Showbühne findet er Sicherheit, vor ihm ist keiner sicher. Auch nicht das unschuldige, schielende Opossum Heidi, momentaner Shootingstar des Leipziger Zoos. Für das Regionalblatt LVZ ist es einer der hundert Gründe, warum Leipzig lebenswerter als die direkte Konkurrenz Dresden sei – das arme Tier wird mehrere Male mit einem musikalischen Sidekick erschossen, und es quietscht symbolisch auf, wenn Donis es zertritt. Man muss seinen Humor mögen.

Er selbst ist auch nicht vor sich sicher, gibt Anekdoten aus der Theaterprobe des Centraltheaters wieder, wo er bei dem neuen Stück »Neue Deutsche Welle« mitwirkt. Er erzählt von der schönen Schauspielerin, die ihm als selbsterklärtem Womanizer auffiel. Was er nicht bedachte: Leipzig ist klein. Ein Kollege vom Centraltheater war bei der Vorstellung anwesend und ließ es sich natürlich nicht nehmen, mit dieser Geschichte die Pausen bei der nächsten Probe zu füllen. Für einen Entertainer sind die Grenzen zwischen privat und öffentlich eben fließend.

Vor einem Entertainer vom Schlage Donis' war auch der bei der Show anwesende Autor nicht sicher. Aus dem Buch »Freundschaft, Zusammenarbeit, Beistand: Besuch d. Partei- u. Staatsdelegation d. DDR in d. UdSSR vom 6. bis 13. Okt. 1975« las Donis zur Begrüßung aus dem letzten Kapitel über die Rückkehr der Delegation. Besonderen Spaß bereitete ihm die Stelle, an der das werktätige Volk der Verhandlungskommission des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartee Deutschlands zuruft: »Genossen, ihr habt einen guten Vertrag gemacht!« Grund genug zur Frage, was Donis in der DDR gemacht hat.

Mit bürgerlichem Namen Ralf Donis, geboren 1968, erlernte er zunächst im VEB Kombinat Geophysik den Beruf des Geologiefacharbeiters und suchte nach Bodenschätzen. Nebenbei widmete er sich der Musik. In der legendären Leipziger Diskothek »Eden« spielte man vorwiegend »Die Anderen Bands« – so wurden beim DDR-Jugendradio DT 64 die nicht immer ganz systemkonformen Bands aus dem alternativen Bereich bezeichnet. Feeling B, Herbst in Peking, Freygang, Die Art und Sandow gehörten dazu, um nur einige zu nennen. Und Donis war dabei – nicht so sehr wegen der Politik, mehr wegen der Musik. Nicht ganz den Vorgaben des DDR-Systems entsprach er, als er die britischen Independent-Charts auf RIAS Berlin hörte – eine Inspiration für ihn, die zu Bandproben der »Cleaned Windows« im Kinderzimmer führten. Eine Kassettenaufnahme existiert wohl noch aus der Zeit, wird aber vorerst von ihm im Panzerschrank aufbewahrt. Wenig später kamen erste Versuche im Bereich der elektronischen Musik hinzu, die Band trug den Namen »Variationen der Anklage«.

Die Zeit um den Mauerfall war für Donis eine eher verwirrende Zeit. Einerseits war er bei der NVA Baupionier, war dort mit einem Teil der Gesellschaft zusammen, für den der Arbeiter-und-Bauern-Staat immer noch ein stabiles und zu erhaltenes System war. Andererseits lief er bei den Montagsdemonstrationen mit, als die Demonstranten von Stasi und Polizei verfolgt wurden. Zurück von der NVA, musste er feststellen, dass achtzig Prozent seiner Freunde nicht mehr in der Stadt, sondern im »Westen« weilten.

Donis blieb. Er hat nie daran gedacht, die Stadt zu verlassen. Das liegt ganz wesentlich an der Leipziger Luft, in der Kultur in verschiedensten Variationen gut gedeihen kann. Der faszinierende sächsische Dialekt und die liebenswerte Provinzialität tragen ihr Teil dazu bei. Donis findet es schade, dass sich die Leipziger Schule der bildenden Künste momentan im Niedergang befindet. Er findet es gut und zu wenig beachtet, dass die Leipziger elektronische Musikszene weltbekannte Namen wie Matthias Tanzmann, Good Guy Mikesh und Filburt hervorgebracht hat. Überhaupt sind kulturelle Begrenzungen wie die zwischen Hochkultur, Pop, Underground und Trash für ihn nicht plausibel. Kultur sucht vielleicht die Konfrontation, vielleicht soll sie gefallen und einfach nur Spaß machen. In jedem Fall aber muss man seine Ideen ausprobieren dürfen und können. In Leipzig geht das ganz gut. Donis ist zum Beispiel nebenbei anerkannter Experte auf dem Gebiet Horrorfilm geworden und hat zum Thema auch schon Vorträge an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst gehalten.

Anderswo könnte er mit seinen Shows mehr Geld verdienen. Vielleicht versucht er das auch noch mal, aber nicht für längere Zeit. Spätestens nach drei Wochen, so seine Erfahrung, ist es dann genug mit der Fremde, und er bekommt Heimweh. Dabei wäre das Geld gar kein so schlechtes Argument. Als er in seiner Show eine Büchse Energie-Drink auf den erfolgreichsten der wenig erfolgreichen Fußballclubs Leipzigs auf ex trinkt, rutscht ihm raus: »Zusammendrücken wäre jetzt geil gewesen, aber das können wir uns hier nicht leisten, denn da is Pfand drauf«

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ihm der Strom in seiner Wohnung wegen unbezahlter Rechnungen abgestellt. Er arbeitet deshalb für seinen Club nicht nur als Entertainer, man kann ihn auch als Türsteher dort antreffen. Als Türsteher erfährt er, dass andere ebenfalls nicht im Geld schwimmen: Bei Konzerten bleiben die Leute nicht selten vor der Tür stehen, bis das Konzert vorbei ist – der Eintritt wird dann billiger.

Mittlerweile ist Donis seriös geworden. Zumindest im Gegensatz zu seinen ersten Shows. Die liefen Anfang der 90er am gleichen Ort. Mit Uwe Fischer präsentierte er die D.U.-Show, inspiriert vom allabendlichen Fernsehtrash und der dazugehörigen Parodie Schlingensiefs, dem Talk 2000. Er kann sich immer noch gut an Hugo-Egon Balders »Tutti Frutti« erinnern, bei der zahlreiche mehr oder weniger gut aussehende Frauen »von nebenan« und ein dem Geschmacksurteil »schön« in der Regel nicht entsprechender Alibi-Mann, begleitet von den wenig bekleideten »frechen Früchtchen«, die Hüllen fallen ließen. Donis' Faszination für den Trash von der Mattscheibe genießt auch noch sein heutiges Publikum, dem er ab und an Zusammenschnitte der mitreißendsten Szenen aus aktuellen Reality-Shows oder dem Leipziger Lokalfernsehen präsentiert.

Uwe Fischer und er wollten damals wie Schlingensief »alle Grundwerte des Entertainments mit Füßen treten«, den medialen Zeitgeist auf die Spitze treiben. Der Spaß für die Zuschauer war kein Spaß für die geladenen, oftmals ahnungslosen Gäste. So begleitete eine Band die Show über mehrere Monate unfreiwillig in dem Glauben, Gast eines von L'Oreal gesponserten Garth-Brooks-Coverwettbewerbs zu sein. Von der Band gelieferte Coverversionen wurden genauso Stoff für die Show wie Fotos von Bandmitgliedern mit Fönfrisuren. Schließlich wurde den verdutzten, mit perfekt gestylten Frisuren auftretenden Jungs der Sachverhalt auf der Showbühne dargelegt. Sie dachten, sie würden hier einen Auftritt im Rahmen des Wettbewerbs haben. Teilweise waren sie hinterher wohl etwas wütend. Nicht verwunderlich ist für Donis heute, dass beim folgenden Format »Toledo Nights« keine Gäste kommen wollten. In dieser Show war eigentlich ein seriöserer Talk geplant. Geglaubt hat man ihm das vorsichtshalber erst mal nicht.

Momentan bemerkt er, dass er älter wird. Ändern will er sich deswegen nicht, sondern in zehn Jahren noch genauso leben wie heute. Das heißt: in zweiundneunzig Prozent seiner Zeit das machen, was er will. Seine Shows sind in jedem Fall gefragt. Zur Leipziger Buchmesse gab es die Eröffnungsrevue mit dem klassisch sächsischen Titel »Mei Leipzsch lob'sch mir!«. Vielleicht wird er zukünftig mehr moderieren, weniger in seiner Latenight an die Grenze der Selbstverletzung gehen.

Auch wenn der Entertainer ein Ossi ist, ist er keine Ostalgiker. Aber eine Sache fand er dann an '89 doch schade: Der Zusammenhalt in der Musikszene über die Genre-Grenzen hinweg verflüchtigte sich in etwa so schnell wie die Mauer fiel. Man teilte auch schnell in »Underground« und »Overground«, Indepentent- und »normale« Musik ein. Wenn man als Musiker – wie er – bei einem der großen Label einen Vertrag bekam, war der Verlust von Bekannten inklusive. Warum man dann so etwas wie ein Verräter an der Sache wurde, konnte er nie verstehen.

Was er auf jeden Fall später nicht will? Der Jugendkultur entgegentreten und sagen: »Das geht gar nicht.« Dafür ist er viel zu sehr Kulturmensch, und Kultur ist eben da, wo man seine Ideen ausprobieren kann.

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