Gibt es überhaupt Geschlechter?

Daniela S. über eine Bewegung, die feste Rollen ablehnt

  • Lesedauer: 5 Min.
Daniela S. lebt in Potsdam und ist im queer-feministischen Umfeld aktiv. Zurzeit ist er eher Mann als Frau. Daran ändert auch die biologische Festlegung auf einen weiblichen Körper nichts. Mit Daniela S. sprach Anja Laabs.

ND: Wie darf ich Dich ansprechen?
Daniela: Ich bin lieber DER Daniela. Aber es ist mir egal, wie Du mich nennst.

Es ist Dir nicht wichtig, wie Du angesprochen wirst?
Doch. Aber ich will niemanden bekehren. Nur in meinem Freundeskreis ist es wichtig für mich. Da korrigiere ich auch hin und wieder, wenn ich als Frau angesprochen werde. Wenn es sich nicht netterweise so fügt, werde ich mit der Zeitungsfrau um die Ecke keine Diskussion über meine Identitätswahrnehmung führen.

Du bist keine Frau?
Die Zuordnung als Frau lehne ich ab.

Bist Du ein Mann?
Auch. Es gibt Momente, wo ich sehr männlich nach außen wirke und auch mit einem Bart herumrenne. Das verwirrt. Diese Irritation mag ich. Es verunsichert Menschen, wenn ihre verinnerlichten Kategorien wie die von Mann und Frau plötzlich nicht mehr anwendbar sind, einfach nicht stimmen.

Was gibt Dir Halt?
Du wirst zu einer Frau gemacht. Mit dieser Realität, so der gesellschaftliche Tenor, musst Du irgendwie leben. Aber musst Du das wirklich? In den letzten zehn Jahren hat sich in allen größeren Städten eine mehr oder weniger starke queer-feministische Szene entwickelt. Auch in Potsdam. Diese Szene, dieses Umfeld, gibt mir die Kraft, die gesellschaftliche Realität nicht einfach so zu akzeptieren.

Kannst Du die Diskrepanz zwischen deiner biologischen Festlegung als Frau und deinem Bedürfnis nach einer bestimmten Lebensform zeitlich zurückverfolgen?
Es ist kaum möglich, solche Prozesse zeitlich zu verorten, schon weil ich früher die Worte dafür nicht hatte. Mit 20 kannte ich weder die Begriffe Queer noch Transgender. An meinem Bedürfnis änderte das nichts, nur an meiner Fähigkeit, diesem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen. Als Siebenjährige durfte ich nicht zum Mädchenfußball, weil das meinen Eltern zu jungenhaft war. Zu bestimmten Anlässen musste ich gegen meinen Willen Röcke und Kleider tragen. Als Hobbies wurden mir sehr rollenspezifische Angebote wie Häkeln, Sticken und Stammbuchsammeln »ans Herz gelegt«. Heute kann ich darüber reden, weil ich Worte dafür habe. Ich brauche kein Verständnis für mein Bedürfnis, aber Worte, die verstanden werden.

Du arbeitest in der linksalternativen Projektkneipe »Olga« im Stadtzentrum mit. Hat die mit der Queer-Szene zu tun?
Seit fast vier Jahren gibt es hier einmal im Monat den Frauen, Mädchen, Transgender Abend. Männer haben da keinen Zutritt.

Mit Queer ist ja eine ganze Bewegung gemeint, zu der Menschen, egal ob schwul, lesbisch, bisexuell, intersexuell, transgender, pansexuell, heterosexuell usw., gehören. Entscheidend dabei ist, dass diese Menschen feste Geschlechterrollen ablehnen. Ein Kneipenabend ohne Männer und Queer-Denken mit dem Fokus auf Feminismus. Ist das nicht auch eine Abgrenzung – vom Männlichen?
Das Fundament dieser Gesellschaft sind männlich dominierte Machtstrukturen. Die treffen vor allen Dingen Frauen. Aber eben nicht nur. Männer sind durch ihre funktionellen Rollenzuschreibungen genauso betroffen. Queer-Feminismus wehrt sich gegen patriarchale Herrschaft und Heteronormativität. Der Frauen-, Mädchen- und Transgenderabend ist ein wichtiges Symbol. Er zeigt, dass es möglich und nötig ist, sich gesellschaftliche Freiräume zu nehmen und zurückzuerobern. Und er zeigt, dass kein Mensch festgeschriebenen gesellschaftlichen Vorstellungen und Vorurteilen entsprechen muss.

Dabei nehmt ihr in Kauf, andere Menschen auszuschließen.
Ja. Willkommen sind nur Frauen oder Transmenschen. Nur durch diesen Ausschluss können ansonsten alltägliche und als normal wahrgenommene Ausschlüsse in der Gesellschaft sichtbar gemacht werden.

Gehören linkes politisches Engagement und Queer als gesellschaftspolitisches Aktionsmodell zusammen?
Es gibt und gab immer auch schwule Nazis. Identitätsfindungen sind unabhängig von politischen Ausrichtungen. Aber es gibt eine feministische Queer-/Transszene, die sich im linken Spektrum verorten lässt. Definitiv hat die aber nichts mit der parteipolitischen linken Szene zu tun. Selbst wenn Queerthemen parteipolitisch erwähnt werden, so ist das nur Makulatur und weitestgehend inhaltslos.

Denken wir, zum Beispiel, an den Internationale Frauentag. Er kämpft für grundlegende Menschenrechte. Für die Rechte von Frauen.
Und dieser Frauentag ist, wenngleich nur ein Hilfsmittel, doch eine wichtige Institution im Kampf für Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit. Ich unterstütze ihn, habe aber Schwierigkeiten damit, dass sich der Kampf um Frauenrechte eben an der gesellschaftlich zugeschriebenen Frauenrolle orientiert. Das ist vergleichbar mit dem Gender-Mainstreaming-Programm der Bundesregierung. Ein Programm zur oberflächlichen Gleichstellung der Geschlechter, eine neue Hülle für ein altes System, weil es eben immer von den zwei Geschlechtern – Mann und Frau – ausgeht.

Was ist die Alternative?
Seit den 90er Jahren gibt es die dritte Welle des Feminismus. Ihre Wurzeln hat sie in den USA. Aus ihr geht übrigens auch die queer-feministische Bewegung hervor. Sie lehnt die Zweier-Geschlechtigkeit ab. Alle anderen Geschlechter werden mitgedacht.

Wie viele andere Geschlechter gibt es?
Gibt es überhaupt Geschlechter? Ich vermute, wenn es sie gibt, gibt es so viele, dass es unmöglich, ja absurd wäre, sie benennen und einordnen zu wollen. Allein die Frage nach der Anzahl der Geschlechter zeigt, dass in spezifischen Geschlechterkategorien gedacht wird. Diese Gesellschaft zeichnet sich durch einen Kategorisierungswahn aus. Die beste Voraussetzung für Ausgrenzung, Diskriminierung und Machtausübung.

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